Lebenslange Haft für Mord in Kufstein: „Reue nun größer als Erleichterung“
Mit über 30 Messerstichen hatte ein 30-Jähriger im Juni einen 77-jährigen Kufsteiner ermordet. Die Tat war Ausfluss einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Lebenslange Haft mit Anstaltseinweisung erging.
Von Reinhard Fellner
Innsbruck, Kufstein – Im Juni war ein heute 30-Jähriger bei der Polizeiinspektion Kufstein erschienen, um zu melden, dass er gerade einen Mord begangen habe. Da die Geschichte plausibel klang, wurde der unaufgeregt wirkende Einheimische nach vier Minuten verhaftet. In einem Waldstück fand sich indes die Leiche eines 77-Jährigen. Mit über 30 Messerstichen war der Rentner in auffallend brutaler Weise ermordet worden. Noch mehr überraschten die Polizei aber die weiteren Aussagen des Geständigen. So wollte dieser allein getötet haben, um nur ja lange ins Gefängnis zu kommen. Über drei Wochen sei er dazu schon mit einem 35 Zentimeter langen Messer in der Tasche durch Kufstein gegangen, um nach einem geeigneten Opfer Ausschau zu halten. Am Mittwoch beim Schwurgerichtsprozess am Landesgericht beteuerte der Mordangeklagte aber erneut, dass er Kinder, Frauen und Gleichaltrige nie ins Visier genommen hätte.
Offenbar Pech für den 77-Jährigen aus der Nachbarschaft des Mannes. Er wurde laut Staatsanwalt Johann Frischmann wohl zum willkürlichen Opfer einer schweren Persönlichkeitsstörung seines Mörders. Verteidiger Alexander Swancar ortete das Tatmotiv nach eingehenden Gesprächen mit seinem Mandanten und dessen Familie indes in der Vergangenheit. So hatten der Angeklagte und dessen Vater über sexuelle Belästigungen durch den einstigen Nachbarn berichtet – ohne diese freilich im Prozess näher konkretisieren zu können: „Es war etwas Schlimmes, aber mir fehlt die Erinnerung“, so der 30-Jährige zu den Geschworenen – und führte mit einer Messerattrappe noch einmal vor, mit welchen Hiebbewegungen er die Stiche ausgeführt hatte.
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„Übertötung“
Laut Gerichtsmediziner Walter Rabl mit einem „überaus hohen Maß an Stichenergie“, eine klassische „Übertötung“ (Gewalt, die für den Tod eines Opfers gar nicht mehr nötig wäre; Anm.). Nach den Stichen auf den vermeintlichen Peiniger will der 30-Jährige Erleichterung verspürt haben. Ein halbes Jahr später gab sich der Kufsteiner jedoch gegenüber der Schwurgerichtsvorsitzenden Helga Moser geläutert: „Die Reue ist nun wirklich größer, als die Erleichterung. Mir wäre lieber, wenn er noch leben würde – ich würd’ ihn heute nicht mehr umbringen.“
Für die erfahrene Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter Ausfluss einer kombinierten Persönlichkeitsstörung des Untersuchten.
Nach einem Leben ohne erlernten Beruf, eigene Familie und Freunde war er erstmalig 2015 in der Psychiatrie Kufstein vorstellig geworden, um von Angstzuständen und Wahnvorstellungen zu berichten. In diese Zeit dürfte auch die zunehmende Empfänglichkeit des Mannes für allerlei Verschwörungstheorien fallen. Ein Leben lang unter dem Dach der Eltern versorgt, hatte sich laut der Psychiaterin in diesem Umfeld ein Versorgungsbedürfnis manifestiert. Als die Eltern den 29-Jährigen dann letzten April zum Auszug bewogen und ihm eine Wohnung besorgt hatten, reagierte dieser mit Angstzuständen. Da er sich trotz Führerscheins und polytechnischen Abschlusses niemals arbeitsfähig gesehen hatte, hatte er von einem Psychiater eine Krankschreibung gefordert, um das AMS ruhig zu stellen. Verschwörungstheorien würden ihm die Konzentration rauben.
Kombinierte Persönlichkeitsstörung
Letztlich attestierte Psychiaterin Wörgötter dem Kufsteiner zwar ganz klar Zurechnungs- und Schuldfähigkeit, jedoch auch „eine Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, narzisstischen und schizoiden Anteilen“. So könnte der 77-Jährige sein Leben aufgrund eines wirren Versorgungsgedankens lassen haben müssen. So lautete laut Psychiaterin das Denkmuster: Wenn mich nicht mehr die Eltern versorgen, muss es jetzt die Gesellschaft tun. So mache auch die Tat zur Ermöglichung eines Gefängnisaufenthaltes für den 30-Jährigen Sinn. Wörgötter: „Er spekulierte bereits, dass er nach Entlassung aus so einer langjährigen Haftstrafe wohl gleich Anrecht auf eine Pension habe. Dieses bizarre Denken ist bei ihm durchgängig und entspricht einer Persönlichkeitsstörung – insgesamt einer seelisch-geistigen Abartigkeit höheren Grades.“ Auch die Gefährlichkeitsprognose fiel aufgrund fehlender Krankheitseinsicht, antisozialer Einstellung, fehlendem sozialen Empfangsraum und der Verfügbarkeit von weiteren Zufallsopfern düster aus.
So sprach sich die Psychiaterin klar für eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher aus.
Die Geschworenen entschieden darauf nicht rechtskräftig einstimmig auf verübten Mord, lebenslange Haft und Anstaltseinweisung.