Bundespräsident Van der Bellen gedenkt der Holocaust-Opfer
Zahlreiche Politiker mahnten am Donnerstag die Erinnerung an die Opfer ein. Kanzler Nehammer versichert Kampf "gegen jede Form von Antisemitismus".
Wien – Zum Internationalen Holocaust-Gedenktag haben am Donnerstag zahlreiche Politikerinnen und Politiker die Erinnerung an die Opfer eingemahnt. Man müsse dafür sorgen, "dass Menschenverachtung, Sündenbockdenken und Gewalt niemals wieder als politisches Instrument eingesetzt werden", betonte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer Stellungnahme auf Facebook. Man werde weiterhin gegen jede Form des Antisemitismus kämpfen, versicherte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP).
Internationaler Gedenktag
Der Internationale Holocaust-Gedenktag erinnert an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. "Wir gedenken heute der Millionen Menschen, die von den Nationalsozialisten vertrieben, gefoltert und ermordet wurden", schrieb Van der Bellen. "Es ist unser Wille und unsere Verpflichtung, die Erinnerung an die Opfer zu bewahren. Und es ist unser Wille und unsere Verpflichtung, daran zu erinnern, dass nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter und Täterinnen Teil unserer Gesellschaft und von ihr geprägt waren." Man werde dem Andenken der Opfer nur gerecht, wenn man Antisemitismus und Rassismus entschieden entgegentrete.
Regierungsmitglieder von Kanzler Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) abwärts zeigten sich auf diversen Social Media Plattformen mit "We remember"-Schildern. "Die Zeit des grausamen NS-Terrorregimes zählt zu den dunkelsten Kapiteln der österreichischen und europäischen Geschichte", betonte Kanzler Nehammer auf Facebook. "Wir werden weiterhin gegen jede Form von Antisemitismus kämpfen - denn Hass hat in unserer Gesellschaft keinen Platz", versicherte er. "Die Gräueltaten des Nationalsozialismus dürfen sich nie mehr wiederholen. Daher haben wir die Pflicht, neu aufkeimendem Antisemitismus und Hass Einhalt zu gebieten", mahnte auch Kogler in einem Beitrag.
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bezeichnete die Errichtung einer Gedenkstätte im ehemaligen KZ Gusen als eine wichtige Maßnahme zur Stärkung einer lebendigen Erinnerungskultur. Der Ankauf der verbliebenen Teile des ehemaligen KZ Gusen wurde Ende Dezember 2021 abgeschlossen, teilte er in einer Aussendung mit. "Nur durch eine lebendige Erinnerungskultur in den Schulen und auch in der Wissenschaft können wir dafür sorgen, dass sich solche Verbrechen nie wieder wiederholen", erklärte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP).
"Der Kampf gegen Antisemitismus hat leider nichts an Aktualität verloren", verwies Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) in einer Stellungnahme auf die Demonstrationen von Corona-Impfgegnern, die dies "in erschreckender Art und Weise" zeigten.
Rendi-Wagner kritisiert Verharmlosung
Der Vergleich von Corona-Maßnahmen mit totalitärer Politik oder gar dem Faschismus komme einer Verharmlosung der Nazi-Herrschaft gleich, kritisierte auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in einer Aussendung. "Es beginnt mit der Sprache und mit Symbolen - überall, auf der Straße, im öffentlichen Raum, im privaten Bereich, im Parlament. Wir alle sind aufgefordert, achtsam zu sein." Es dürfe null Toleranz gegenüber Antisemitismus, Ausgrenzung und Hass geben. "Gerade in einer Zeit der globalen Verunsicherung durch die Pandemie, in der zunehmend antisemitisches Gedankengut verbreitet wird, ist es unabdingbar, dass wir uns an den Holocaust nicht nur erinnern, sondern auch Zivilcourage zeigen und zu widersprechen, wenn antisemitische oder fremdenfeindliche Worte fallen", meinte auch NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger.
Seitens der FPÖ erklärte der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer in einer Aussendung, es sei die Verpflichtung der Republik Österreich, "unsere jüdischen Mitbürger vor Angriffen und Anfeindungen zu schützen". Die Verbrechen des Nationalsozialismus dürften sich nicht wiederholen. "Wir müssen uns vor Augen halten, dass der Mensch unter bestimmten Voraussetzungen zu unfassbaren Taten fähig ist. Es ist eine Mischung aus Angst, Hass und Verblendung, die solche Entwicklungen möglich macht", meinte Hofer. "Es ist Aufgabe verantwortungsvoller Politik, Mut zu machen, Angst zu nehmen und Verführer bloßzustellen."
"Antisemitismus hat in unserer Gesellschaft keinen Platz und es darf ihm auch kein Raum gegeben werden", erklärte auch FPÖ-Chef Herbert Kickl in einer Aussendung. "Nur wenn wir den Opfern dieser unbeschreiblichen Tragödie eine Stimme geben, die nie verstummt, kann ihnen auch in Zukunft ihr Platz unter uns gesichert sein. Mit der Ermordung der jüdischen Bevölkerung hat unser Land nicht nur Wissenschaft, Kunst und Kultur, sondern auch einen Teil seiner Seele verloren." Es sei das Gebot der Stunde, "die Demokratie zu festigen und allen Formen aufkeimender autoritärer Tendenzen in Österreich entschieden entgegenzutreten - egal, woher sie kommen", ließ Kickl wissen. Der FPÖ-Chef hatte der aktuellen Bundesregierung unter anderem wegen ihrer Corona-Politik immer wieder unterstellt, "autoritär" zu agieren. (APA)
Der "Krebs" des Judenhasses: Holocaust-Überlebende mahnt
Berlin – Ruhig und gefasst erzählte Inge Auerbacher noch einmal ihre Geschichte. "Ich bin ein jüdisches Mädel aus dem badischen Dorf Kippenheim", sagte die 87-jährige Holocaust-Überlebende am Donnerstag unter der Kuppel des Reichstagsgebäudes. Auch nach Jahrzehnten in ihrer neuen Heimat New York hat Auerbacher einen freundlichen badischen Akzent, sie spricht von Versöhnung und gegen den Hass.
Aber ihr Blick zurück nach Kippenheim ist erschütternd. "Ich war das letzte jüdische Kind, das dort geboren wurde."
Der Deutsche Bundestag erinnerte zum Holocaust-Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, die Spitzen des Staates waren versammelt. 77 Jahre nach der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Jänner 1945 wird inzwischen viel debattiert über die richtige Erinnerungskultur - der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Regierung, Felix Klein, warnte gerade erst vor einer Erstarrung in "Formeln und Ritualen". Auerbachers Rede aber hatte nichts Formelhaftes. Sie sprach von einem Grauen, das nicht vergeht.
Nur 25 Minuten reichten der alten Dame, ihren unfassbaren Lebensweg zu schildern. Der unfreiwillige Umzug aus Kippenheim zu ihren Großeltern, die Zwangsarbeit der Eltern, der elend lange Weg zur einzigen jüdischen Schule in Stuttgart, die Verhöhnung durch den gelben Judenstern. 1942 wurde die Familie ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo sie zusammengepfercht mit Tausenden anderen, mit Ratten und Ungeziefer, mit Krankheiten und Hunger lebte. "Die wichtigsten Wörter waren für uns Brot, Kartoffeln und Suppe. Das ganze Leben drehte sich um Essen."
Als eines Tages ihre Spielgefährtin Ruth mit ihren Eltern weiter gebracht wurde nach Auschwitz, schworen sich die beiden Mädchen, sich später einmal gegenseitig zu besuchen. "Liebe Ruth, ich bin hier in Berlin, um dich zu besuchen", rief Inge Auerbacher im Bundestag, den Tränen nah. Doch Ruth wurde ermordet in einer der Gaskammern in Auschwitz. "Sie erlebte noch nicht einmal ihren zehnten Geburtstag."
Die Familie Auerbacher hingegen wurde 1945 in Theresienstadt von der Roten Armee befreit. 1946 wanderte sie aus nach New York, wo Inge Auerbacher jahrelang mit Krankheiten als Folge des Lagers kämpfte. Auch die ließ sie schließlich hinter sich. Sie ging doch noch zur Schule, studierte und arbeitete jahrzehntelang als Chemikerin.
Nur eine politische Botschaft verband die Holocaust-Überlebende mit ihrer Geschichte: den Einsatz gegen Hass und Antisemitismus. "Leider ist dieser Krebs wieder erwacht, und Judenhass ist in vielen Ländern der Welt, auch in Deutschland, wieder alltäglich", sagte Auerbacher. "Diese Krankheit muss so schnell wie möglich geheilt werden."
Viele ihrer Zuhörer im Bundestag wissen, dass dies ein wunder Punkt ist in dieser Zeit. Gelbe Sterne bei Corona-Demonstrationen, Verschwörungserzählungen in der Pandemie, alltägliche Anfeindungen gegen jüdische Deutsche. "Der Antisemitismus ist mitten unter uns", warnte auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in der Gedenkstunde. "Erinnern und Gedenken machen nicht immun gegen Antisemitismus." Vielmehr seien Freiheit und Demokratie auf engagierte Bürger angewiesen.
Den Gedanken griff der israelische Parlamentspräsident Mickey Levy auf, der auf den historischen Ort im Reichstagsgebäude einging. Hier könne man eine Ahnung davon bekommen, wie Menschen Demokratie ausnutzen könnten, um sie zu überwinden, sagte Levy.
"Dies ist der Ort, wo die Menschheit die Grenzen des Bösen gedehnt hat, ein Ort, wo Werteverlust einen demokratischen Rahmen in eine rassistische und diskriminierende Tyrannei verwandelt hat", sagte Levy. "Und nun erfahren wir hier, in den Mauern dieses Hauses - stummer Zeuge aus Stahl und Stein - wieder die Zerbrechlichkeit der Demokratie, und wir werden wieder an die Pflicht erinnert, sie zu schützen."
Levy sprach von den Wunden der Vergangenheit, vom historischen Trauma und von den Brücken, die Israel und Deutschland geschlagen haben, um es zu überwinden - und von der schweren Aufgabe des Erinnerns an die Nazi-Verbrechen, die jede Generation aufs Neue schultern müsse. Als Levy am Ende seiner Rede das jüdische Totengebet rezitierte, kamen ihm die Tränen und er konnte nicht weitersprechen. Die Abgeordneten spendeten minutenlang Applaus. (dpa)