Causa "Sideletter": Redakteursrat sieht ORF in "den Fängen der Politik"
Der ORF-Redakteursrat ortet Gesetzesbruch. Norbert Steger, Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats, machte dagegen "keine Rechtswidrigkeit" aus und hat nicht vor zurückzutreten.
Wien – Die "Sideletter" zu den Koalitionsvereinbarungen der türkis-blauen sowie der türkis-grünen Regierung und damit verbundene Absprachen und Postenvergaben im öffentlich-rechtlichen ORF sorgen für Aufregung. Der ORF-Redakteursrat ortet Gesetzesbruch und forderte am Montag als Reaktion, den ORF aus den "Fängen der Politik" zu befreien. Norbert Steger, Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats, machte dagegen "keine Rechtswidrigkeit" aus und hat nicht vor zurückzutreten.
Der Wirbel entzündete sich an mehreren am Wochenende aufgetauchten Dokumenten. Ein noch unter türkis-blau angefertigtes Strategiepapier aus dem Jahr 2017 sah zum einen die Abschaffung der Rundfunkgebühren vor. Der ORF sollte stattdessen aus dem Budget des Bundeshaushalts finanziert werden, womit dieser potenziell abhängiger von der Regierung wäre. Zum anderen tauchte auch eine in der Zeit der türkis-blauen Regierung angefertigte Vereinbarung zu Postenbesetzungen zwischen dem ORF-Stiftungsratsvorsitzenden Norbert Steger von der FPÖ und Thomas Zach, Leiter des ÖVP-"Freundeskreises" im obersten ORF-Gremium, auf.
Auch Aufteilung der Direktoriumsposten abgesprochen
Demnach sollte die ORF-Geschäftsführung bei einer Neubestellung im Verhältnis 3:2 erfolgen. Der Generaldirektorenposten als auch zwei zentrale Direktorenposten waren für die ÖVP reserviert, zwei weitere Direktorenposten für die FPÖ. Daneben wurden unter "kurzfristigen Maßnahmen" wichtige ORF-Führungspositionen wie das Channelmanagement oder die Chefredaktion mit Namenskürzeln versehen, wobei der Großteil davon unter dem damaligen ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz auch so besetzt wurde. Im Dokument ebenfalls geregelt: bei einem Ausscheiden von Steger als Stiftungsratsvorsitzender sollte der Vorsitz an die ÖVP gehen.
Neben den türkis-blauen Absprachen zum ORF tauchten auch solche der türkis-grünen Regierung auf. Darin werden die ORF-Direktoriumsposten im Verhältnis drei ÖVP – inklusive Generaldirektor – versus zwei Grüne aufgeteilt. Dabei sollten "die bestqualifizierten Persönlichkeiten entsprechend den Kriterien des ORF-Gesetzes" zum Zug kommen, wie es in dem Papier heißt.
Die "Freundeskreise" von ÖVP und Grünen sollten eine Personalsuche starten und die dabei gefundenen Personen zur Bewerbung ermuntert werden. Außerdem wird auf eine Vereinbarung der Vorsitzenden der "Freundeskreise" der Koalitionspartner verwiesen. Demnach haben die Grünen das Vorschlagsrecht für den Stiftungsratsvorsitzenden, wenn dieser zur Wahl steht - was heuer der Fall sein wird. Dafür vorgesehen ist der frühere grüne Bundesparteisekretär Lothar Lockl.
📽️ Video | Kogler verteidigt Nebenabsprachen
Grünen-Chef Werner Kogler und die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer begründeten die Vereinbarung damit, dass man einer Orbanisierung des ORF entgegenwirken wollte. Es hätte sonst passieren können, dass die Volkspartei alle Posten alleine besetzt.
"Der ORF gehört den Österreicherinnen und Österreichern"
Der ORF-Redakteursrat reagierte am Montag "empört, mit welcher Dreistigkeit es bei Regierungsverhandlungen zum Thema ORF ausschließlich um die Interessen der politischen Parteien und Postenschacherei geht. Und wie Führungsfunktionen im ORF mit großer Selbstverständlichkeit unter den Regierungsparteien aufgeteilt werden." Es liege ein "klarer Bruch der Verfassung (Anm. BVG-Rundfunk) und des ORF-Gesetzes" vor.
"Dort ist in §1 die 'Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit ... sowie die Unabhängigkeit von Personen und Organen des Österreichischen Rundfunks' festgeschrieben. Über parteipolitisch paktierte Besetzung von Führungsfunktionen ist weder in der Verfassung noch im ORF-Gesetz etwas zu finden", hieß es in der im Namen vom Vorsitzenden des Redakteursrats, Dieter Bornemann, als auch Peter Daser und Margit Schuschou veröffentlichten Aussendung.
Der ORF sei weder ein "Hilfsorgan der Regierung", noch eine politische Vorfeldorganisation. "Der ORF gehört den Österreicherinnen und Österreichern und nicht den Parteien!", betonte der Redakteursrat und stellte mehrere Forderungen auf. So sei der Rücktritt aller Personen aus dem Stiftungsrat, "die ganz offensichtlich im Sinne von Parteien agieren", gefordert.
Ein neues ORF-Gesetz solle sicherstellen, dass "ausgewiesene Fachleute in den Aufsichtsgremien sitzen und der Einfluss der Parteien zurückgedrängt wird". Auch benötige es "transparente Posten-Besetzungen auf allen Ebenen", wobei Qualifikation und nicht echte oder vermeintliche Zugehörigkeit zu einer politischen Gesinnungsgemeinschaft entscheiden sollten. Ein neues Redaktionsstatut solle "echte Mitsprache und Mitbestimmung bei der Besetzung von journalistischen Führungsfunktionen" sicherstellen. An Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) appelliert der Redakteursrat, einen Medienkonvent zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Senders zu organisieren.
Steger: Rücktrittsforderungen "lächerlich"
ORF-Stiftungsratsvorsitzender Norbert Steger sah im Gespräch mit der APA indes "keine Rechtswidrigkeit" vorliegen. Es sei normal, dass sich Stiftungsräte – wie Aufsichtsräte – austauschen, bevor gewählt werde und eine Entscheidung falle. Es handle sich bei dem mit Zach angefertigten Dokument um "Vorschläge". Er betonte, dass es ein Unterschied sei, was Parteien untereinander vereinbaren und dem, was die Stiftungsräte schlussendlich entscheiden. Der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache habe diese "Vorschläge" nicht gekriegt, "aber er wird schon Vertrauen gehabt haben, dass ich gute Leute finde". Das Papier habe Steger lediglich an den freiheitlichen "Klubdirektor" abgegeben. Schlussendlich seien aber nicht alle der vorgeschlagenen Personen auch in die gewünschten Positionen gekommen. Diese müssten qualifiziert sein und einer Abstimmung standhalten.
"Lächerlich" sei die Rücktrittsforderung des ORF-Redakteursrats, so Steger. Sie sei eine "Anmaßung" der Redakteursräte, die am liebsten selbst über das Unternehmen entscheiden würden. Den Stiftungsrat werde er aber ohnehin bald altersbedingt verlassen. (APA)