„Ballade von der weißen Kuh“: Schuld und Sühne im Iran
„Die Ballade von der weißen Kuh“ ist ein universelles Todesstrafen-Drama von und mit Maryam Moghaddam.
Von Marian Wilhelm
Innsbruck – „Ghasideyeh Gave Sefid – Ballade von der weißen Kuh“ ist nach einer Koran-Sure benannt. Doch im kompromisslosen Film von Maryam Moghaddam, die auch die Hauptrolle spielt, und Behtash Sanaeeha dient Gottes Wille nur als Entschuldigung für die Unzulänglichkeiten der harten Justiz im Iran. Die iranische Todesmaschinerie ist laut Amnesty International mit rund 500 registrierten Exekutionen pro Jahr für rund die Hälfte aller verifizierbaren vollstreckten Todesurteile weltweit verantwortlich, darunter auch welche gegen Minderjährige und für Delikte wie Blasphemie oder Homosexualität. Doch abseits westlicher Kulturklischees könnte die Geschichte dieses Films unter leicht anderen Vorzeichen auch in Texas oder Japan spielen. Die Stärke der Ballade liegt in der Kombination universeller Psychologie mit dem spezifischen Kontext des iranischen Unrechtsregimes.
📽️ Trailer | Ballade von der weißen Kuh
Im Zentrum steht die alleinerziehende Mina. Ihr Mann wurde „nur“ wegen Totschlags verurteilt und exekutiert. Die Familie des Opfers hätte ihm unter iranischem Recht vergeben und die Vollstreckung verhindern können. Doch dann stellt sich heraus, dass es sich um einen Justizirrtum handelte. Die Witwe bekommt eine Entschädigung „im Ausmaß des vollen Preises eines erwachsenen Mannes“. Das bringt den Mann und Vater aber nicht zurück.
Unterdessen versucht der schuldgeplagte verantwortliche Richter Reza der Frau zu helfen – ohne sich dabei zu erkennen zu geben. Die Beiden kommen sich näher und auch das 7-jährige gehörlose Töchterchen Bita akzeptiert den ,Onkel‘. Doch wie in einem klassischen europäischen Drama des 19. Jahrhunderts lässt die Beteiligten das Geheimnis um Schuld und Sühne nicht los, das ihnen das politische System aufgenötigt hat.
Der Todesstrafen-Aspekt der iranischen Autokratie wurde zuletzt vom regimekritischen Regisseur Mohammad Rasoulof in seinem episodischen Berlinale-Gewinnerfilm „Sheytan Vojud Nadarad – Doch das Böse gibt es nicht“ verhandelt. In der gleichen kritischen Tradition einer der weltweit avanciertesten und raffiniertesten Filmnationen stehen auch Filmemacherin Maryam Moghaddam, die bereits in Jafar Panahis geheim gedrehten „Pardé“ mitgewirkt hat, und Co-Regisseur-Ehemann Behtash Sanaeeha.
Inspiriert ist das Drehbuch von der gleichnamigen Mutter und dem exekutierten Vater der Regisseurin. Diese persönliche Dringlichkeit ist spürbar. Zuweilen ist sie zwar allzu geradlinig und deutlich konstruiert. Die zurückhaltende und dialogarme Inszenierung mit ihren langen Einstellungen lässt dabei aber keinen emotionalen Kitsch aufkommen. Und am Ende vermag der Film dann – fast wie in einer Variation auf Paul Thomas Andersons „Phantom Thread“ – doch noch zu überraschen. Eine ebenso ruhige wie starke Geschichte aus dem unfreien Filmland Iran.