Scholz und der Fluch der Putinversteher: Holpriger Start für Besuch bei Biden
Olaf Scholz wird in Washington nicht nur mit offenen Armen empfangen werden. Die Haltung der deutschen Regierung ruft Kritik hervor, und man zweifelt an der Verlässlichkeit des Verbündeten.
Von Peter Wütherich und Fabian Erik Schlüter/AFP
Kiew, Moskau – Auffällig oft sind es Krisenzeiten, in denen deutschen Wörtern der Einzug in andere Sprachen gelingt. Das Fremdwort "The Blitzkrieg" wurde im Zweiten Weltkrieg zum Bestandteil des englischen Wortschatzes. "Le Waldsterben" zählt seit den 80er Jahren zum Vokabular des Französischen. Und nun ganz aktuell: "Putinversteher". Der Begriff taucht derzeit regelmäßig in der angelsächsischen Presse auf, um die als unklar empfundene Haltung Berlins im Konflikt mit Russland zu bezeichnen.
Bei seinem bevorstehenden Besuch in Washington wird der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Zweifel an der Bündnistreue Deutschlands ausräumen müssen. Es ist Unmut spürbar: Kritiker werfen Scholz eine Art von Leisetreterei gegenüber Moskau vor, die Putin zu militärischen Abenteuern geradezu ermuntern könnte - Deutschland, das Land der "Putinversteher".
Dabei geht es um Waffenlieferungen an die Ukraine, die Härte möglicher Sanktionen gegen Russland und auch die Frage, ob ein russischer Einmarsch im Nachbarland ein Aus für die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 bedeuten würde.
Unklare Botschaften aus Berlin sorgen für Enttäuschung
Die Außenpolitik-Expertin Constanze Stelzenmüller von der Denkfabrik Brookings Institution in Washington nimmt "widersprüchliche Töne und Aussagen aus Berlin zur Krise um die Ukraine" wahr. Diese hätten in den USA "Verwirrung, Enttäuschung und harte Kritik" hervorgerufen, sagt sie zu AFP.
Stelzenmüller macht dafür auch Scholz verantwortlich: "Die sichtbare Unwilligkeit des Kanzlers, ein Machtwort zu sprechen, hat dazu aber auch beigetragen." Die Wissenschafterin hält Scholz' Besuch am Montag in Washington für "eine Chance, das ramponierte Bild der Koalition gerade zu rücken".
Auch eingefleischte Transatlantiker in Berlin stellen besorgt eine Entfremdung im deutsch-amerikanischen Verhältnis unter dem SPD-Kanzler fest. Der CDU-Außenexperte Johann Wadephul berichtet gegenüber AFP von E-Mails, die ihn aus Washington erreichten und die sich "sehr besorgt über die deutsche Außenpolitik zeigen".
US-Kongress fordert klarere Worte aus Berlin
Im US-Kongress gebe es "zweifelnde Stimmen über die Verlässlichkeit Deutschlands", sagt Wadephul. Kanzler Scholz hätte viel früher klarstellen müssen, dass Russland im Falle eines Angriffs auf die Ukraine mit wirklich schmerzhaften Sanktionen rechnen muss, kritisiert der Vizefraktionschef.
Die neue Ampel-Koalition tut sich schwer, einen klaren Kurs in der Außenpolitik zu kommunizieren. Es holpert, das räumen auch Koalitionsvertreter ein: "In den USA ist zum Teil der Eindruck entstanden: Die Deutschen haben nicht mehr alle Tassen im Schrank", sagt die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zu AFP. "In den letzten 14 Tagen ist kommunikativ nicht alles ganz rund gelaufen."
Unzufriedenheit auch in eigenen Reihen
Deutschland hätte zum Beispiel klarer machen sollen, dass es zwar keine schweren Waffen an die Ukraine liefert – dem Land aber in vielen anderen Bereichen helfe. "Scholz sollte in Washington klarmachen: Natürlich ist Deutschland ein verlässlicher Partner", sagt die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses.
Schützenhilfe erhält Scholz von seinem Parteifreund Michael Roth, der dem einflussreichen Außenausschuss im Bundestag vorsteht. Roth verweist darauf, dass die Kritik an Deutschland in den USA auch innenpolitische Motive haben könne: "Dahinter steht bisweilen auch der Versuch, Bidens konstruktive Haltung gegenüber Deutschland zu diskreditieren", sagt Roth zu AFP.
Republikaner sehen zu sanfte Gangart von Biden
Die oppositionellen Republikaner werfen Biden unter anderem vor, Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 verhindert zu haben, um die Beziehungen zu Deutschland nicht zu gefährden.
Politik-Expertin Stelzenmüller in Washington glaubt, dass sich die Irritationen ausräumen lassen. "In den Maschinenräumen der Diplomatie auf beiden Seiten des Atlantiks sind die Einschätzungen der Risiken viel näher aneinander als es in der öffentlichen Debatte den Anschein hat", sagt sie. Natürlich gebe es Differenzen etwa in der Frage von Sanktionen gegen Russland – aber solche Differenzen seien durchaus "legitim".