Bidens riskante Kriegsrhetorik im Ukraine-Konflikt
Die US-Regierung will dem Kreml entschlossener entgegentreten als in der Vergangenheit. Aber damit alleine ist der Ukraine-Konflikt noch nicht gelöst.
Von Floo Weißmann
Washington – Im Ukraine-Konflikt vergeht kaum ein Tag, an dem aus Washington nicht neue Warnungen kommen. Russland dementiert Angriffspläne, selbst die Ukraine wiegelt ab. Warum zieht die US-Regierung die Kriegsrhetorik so konsequent durch?
Strategisch passt der Ukraine-Konflikt der US-Regierung überhaupt nicht ins Konzept. Denn er gefährdet laut Foreign Policy schon wieder das, was die Vordenker in Washington den Pivot (Schwenk) nach Asien nennen. Seit dem Ende des Kalten Kriegs versuchen US-Präsidenten, ihre Interessenpolitik auf Ostasien auszurichten. Doch eine Krise nach der anderen hat Ressourcen in anderen Weltregionen gebunden – von Jugoslawien über Osteuropa bis Nahost.
Auch Joe Biden hat die Rivalität mit China ins Zentrum seiner Außenpolitik gestellt und wollte nicht zuletzt deshalb Afghanistan abschließen. Kremlchef Wladimir Putin hat ihm nun mit dem Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Wenn die Biden-Administration aber den Ukraine-Konflikt nicht schüren und sich lieber auf Asien konzentrieren will, warum geht sie so aggressiv vor? – Dahinter steckt womöglich eine neue Strategie im Umgang mit Putin. US-Medien zufolge haben Bidens Berater die jüngsten Konflikte mit Russland analysiert – von Georgien über Syrien bis zur Annexion der Krim 2014.
📽️ Video | Berichte zur Ukraine-Krise:
Aus ihrer Sicht hat Putin mit Entschlossenheit, Militarismus und Desinformation den Takt vorgegeben und die Schwächen des Westens bloßgestellt. Die Reaktion des Westens fiel nach dieser Lesart zu vielstimmig, zu zögerlich und zu inkonsequent aus, um Putin von seinem Kurs abzubringen – und könnte ihn ermutigt haben, neuerlich die militärische Karte auszuspielen.
Biden soll laut CNN schon als Vizepräsident 2014 vergeblich auf schärfere Maßnahmen gegen Russland gedrängt haben. Seine eigene Regierung setzt nun alles daran, Putin die Initiative zu entreißen. Noch vor dem Jahreswechsel schwor sie die Verbündeten auf eine gemeinsame Drohkulisse aus Sanktionen ein.
Parallel zum Dialog probiert die Administration laut New York Times einen „Informationskrieg“ und spielt regelmäßig (angebliche) Geheimdiensterkenntnisse über Russlands Kriegsvorbereitungen an die Öffentlichkeit.
Zur neuen Strategie gehört offenkundig auch eine stärkere militärische Komponente – durch Aufrüstung der Ukraine und Truppenverlegungen innerhalb der NATO. All das zielt darauf ab, den Spieß umzudrehen und den Kreml in die Defensive zu zwingen.
Nebenbei sendet die Biden-Regierung ein Signal nach innen. Früher waren die Hardliner in der Russland-Politik vor allem bei den Republikanern zu finden. Doch Ex-Präsident Donald Trump verstand sich besser mit Putin als mit demokratischen Alliierten, und das hat auf Teile der Partei und ihrer Wähler abgefärbt. „Abschied vom Reich des Bösen“, titelte die Süddeutsche Zeitung; den Begriff hatte einst die republikanische Ikone Ronald Reagan geprägt. In der Ukraine schwingt ein innen- wie außenpolitischer Test für Bidens Leitmotiv mit, die Demokratie gegen den wachsenden Einfluss des Autoritarismus zu verteidigen.
Enorme Risiken
Aus der Sicht ihrer Befürworter hat die neue Strategie bisher funktioniert: In der Ukraine ist nichts passiert; der Westen musste keine Grundsätze preisgeben und präsentiert sich relativ geeint; der Kreml bestreitet jede kriegerische Absicht und spricht von einer Verhandlungslösung. Aber die Strategie ist zugleich mit enormen Risiken behaftet.
Die US-Regierung kann leicht selbst als Kriegstreiber dastehen. Als sie vorige Woche einen angeblichen Plan Russlands für einen inszenierten Zwischenfall in der Ukraine vorlegte, fragten Journalisten nach Beweisen. Erinnerungen an den Irak-Krieg 2003 wurden wach; damals hatte die Administration von George W. Bush die Öffentlichkeit mit fingierten Geheimdienst-Erkenntnissen betrogen.
Und wenn die Biden-Administration den Bogen überspannt, dann treibt sie Putin womöglich dazu, seinen Soldaten einen Marschbefehl zu erteilen, auf den er sich zu Beginn der Krise noch gar nicht festgelegt hatte. Denn ein zentrales Dilemma konnte auch die neue US-Strategie bisher nicht auflösen: Der Kremlchef hat sich mit dem Truppenaufmarsch und seinen Forderungen an den Westen selbst unter Zugzwang gebracht.
Für einen Abzug der Soldaten braucht Putin wohl einen gesichtswahrenden Erfolg – etwas, das er als Zugeständnis des Westens an russische Sicherheitsinteressen verkaufen kann. Darum geht es nun in der Krisendiplomatie. Bisher ist kein realistischer Ansatz bekannt geworden. In US-Kreisen soll von einer Frist bis Ende der Olympischen Spiele in Peking die Rede sein.