Erste Sanktionen gegen Russland sollen um 15 Uhr in Kraft treten
Nachdem Russland einseitig Teile der Ukraine als unabhÀngig anerkannte und Truppen dorthin entsenden will, reagierte nicht nur die EU umgehend mit scharfen Sanktionen. Viele andere LÀnder schlossen sich an.
BrĂŒssel, Kiew, Moskau â Im Konflikt mit Russland um die Ukraine dreht der Westen an der Sanktionsschraube. Dabei zielen die USA, die EU, GroĂbritannien, Australien, Kanada und Japan vor allem auf das russische Finanzsystem und die politischen Eliten des Landes ab. Die ersten EU-Sanktionen gegen Russland sollen einem fĂŒhrenden EU-Diplomaten zufolge um 15.00 Uhr (MEZ) in Kraft treten. Bis dahin hĂ€tten die EU-Staaten im sogenannten Umlaufverfahren die StrafmaĂnahmen formell beschlossen.
Die EU-Sanktionen sehen unter anderem vor, jene 351 Abgeordnete des russischen Parlaments auf die Sanktionsliste zu setzen, die fĂŒr die Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk gestimmt haben. Hinzu kommen Strafen gegen 27 weitere Personen und Organisationen. DarĂŒber hinaus sollen der Zugang des russischen Staates zu den EU-FinanzmĂ€rkten beschnitten und der Handel der EU mit den abtrĂŒnnigen Regionen beschrĂ€nkt werden.
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Die britische Regierung ordnete am Mittwoch an, dass Russland am Finanzplatz London keine Staatsanleihen mehr platzieren kann. âWir haben sehr deutlich gemacht, dass wir den Zugang Russlands zu den britischen MĂ€rkten einschrĂ€nken werden", sagte AuĂenministerin Lizz Truss.
Das ukrainische Parlament stimmte unterdessen ebenfalls Sanktionen gegen 351 russische Personen zu, darunter auch Abgeordnete der Duma, die fĂŒr die Anerkennung der abtrĂŒnnigen Provinzen Luhansk und Donezk votiert hatten. Demnach dĂŒrfen die Betroffenen nicht mehr in die Ukraine einreisen und auch keine Vermögenswerte in dem Land mehr erwerben.
Vom Westen forderte die Regierung in Kiew hĂ€rtere Sanktionen gegen Russland. Die MaĂnahmen mĂŒssten gegen die Wirtschaft des Landes und den inneren Kreis von PrĂ€sident Putin gerichtet sein, schrieb AuĂenminister Dmytro Kuleba auf Twitter. âSchlagt mehr drauf. Schlagt hart. Schlagt jetzt", schrieb er.
Ăsterreich steht hinter EU-Sanktionen
Ăsterreich steht im Ukraine-Konflikt voll hinter den EU-Sanktionen gegen Russland. Dies bekrĂ€ftigte Bundeskanzler Karl Nehammer (ĂVP) Dienstagabend bei einem HintergrundgesprĂ€ch im Bundeskanzleramt. âĂsterreich ist und bleibt ein militĂ€risch neutrales Land. Wir haben aber eine klare Haltung und Meinung, wenn es um die Einhaltung von Völkerrecht geht und agieren hier im europĂ€ischen Einklang", sagte Nehammer.
âDie Anerkennung von Phantomstaaten durch die Russische Föderation hat zwar eine gewisse Tradition, ist und bleibt aber inakzeptabel. Die StĂ€rke des Rechts und nicht das Recht der StĂ€rke soll als Grundlage des politischen Handelns dienen." Der Bundeskanzler hofft nach wie vor auf eine diplomatische Beilegung der Krise. âWir mĂŒssen weiter voll und ganz auf Diplomatie setzen, um einen Krieg mitten in Europa zu verhindern."
Das von der Regierung installierte Krisenkabinett befindet sich laut Nehammer âin laufender Abstimmung", um rasch auf die aktuellste Bedrohungslage reagieren zu können. Ein wesentlicher Punkt sei dabei die Versorgungssicherheit.
Vor allem die Rolle der Gasversorgung ist fĂŒr Ăsterreich essenziell. Erdgas deckt etwa ein Viertel des österreichischen Energieverbrauchs ab. Die SpeicherfĂŒllstĂ€nde in der EU befinden sich auf einem niedrigen Niveau, stellen aber noch keine GefĂ€hrdung der Versorgungssicherheit dar, heiĂt es aus dem Kanzleramt.
Nach den USA, der EU und GroĂbritannien ergriff auch Japan erste konkrete StrafmaĂnahmen gegen Russland. In Japan dĂŒrften keine russischen Anleihen mehr ausgegeben werden und die Vermögenswerte bestimmter russischer Personen wĂŒrden eingefroren, erlĂ€uterte MinisterprĂ€sident Fumio Kishida. Die Regierung in Tokio werde weitere Schritte in ErwĂ€gung ziehen, sollte sich die Lage in der Ukraine verschlechtern.
Die US-Regierung kĂŒndigte Sanktionen gegen zwei groĂe russische Banken, gegen den Handel mit russischen Staatsanleihen und gegen UnterstĂŒtzer Putins und deren Familien an. Biden betonte, die USA seien zu noch hĂ€rteren StrafmaĂnahmen bereit, falls Russland sein Vorgehen gegen die Ukraine weiter vorantreibe. Ein US-Regierungsbeamter sagte, in diesem Fall sei âkeine russische Finanzinstitution sicher". Ebenso könnten Exportkontrollen folgen. Auch ein Ausschluss Russlands aus dem internationalen Bezahlungssystem Swift sei bei einer Eskalation immer noch möglich.
Vorerst keine Sanktionen gegen Putin persönlich
Putin hatte am Montag ungeachtet groĂen internationalen Protests die UnabhĂ€ngigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkannt und eine Entsendung russischer Soldaten angeordnet. Der Westen wirft Putin vor, gegen Völkerrecht zu verstoĂen.
Gegen Putin persönlich wurden vorerst keine EU-Sanktionen verhĂ€ngt, wie der EU-AuĂenbeauftragte Josep Borrell am Dienstagabend nach einem Sondertreffen der EU-AuĂenminister in Paris bestĂ€tigte. Man habe so entschieden, um weitere MaĂnahmen in Reserve zu haben.
GroĂbritannien, Kanada, Japan und Australien verkĂŒndeten ebenfalls StrafmaĂnahmen gegen Russland. Deutschland wiederum legte die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 vorerst auf Eis, wodurch Putin milliardenschwere GeschĂ€fte erst einmal abschreiben kann.
Expertin: Britische Sanktionen gegen Oligarchen sind "Witz"
Die von GroĂbritannien gegen mehrere russische Oligarchen wegen der Eskalation des Ukraine-Konflikts verhĂ€ngten Sanktionen sind nach Ansicht einer Expertin nicht zielfĂŒhrend. Die drei von der britischen Regierung ins Visier genommenen Putin-VerbĂŒndeten seien in GroĂbritannien nur wenig aktiv, sagte Elisabeth Schimpfössl, die an der London School of Economics den Einfluss reicher Russen im Vereinigten Königreich erforscht. "Das ist ein Witz."
"Das signalisiert den Oligarchen hier, dass nichts passiert, und dass das Lobbying der letzten Tage geglĂŒckt ist", so Schimpfössl im GesprĂ€ch mit der Deutschen Presse-Agentur. Premierminister Boris Johnson hatte am Dienstag angekĂŒndigt, Sanktionen gegen fĂŒnf russische Banken und drei extrem reiche russische StaatsbĂŒrger zu verhĂ€ngen. Bei den sanktionierten Oligarchen handelt es sich um Gennadi Timtschenko sowie Boris und dessen Neffe Igor Rotenberg. Alle drei GeschĂ€ftsleute gelten als enge VerbĂŒndete von Russlands PrĂ€sident Wladimir Putin.
Die AktivitĂ€ten russischer Superreicher in London und anderen Teilen GroĂbritanniens werden schon seit Langem von Parlamentariern, Journalisten und Experten mit Sorge betrachtet. Die GeschĂ€ftsbeziehungen der Oligarchen reichen jedoch bis in die höchsten Kreise von Politik und Gesellschaft.
Amerikaner erklĂ€rten GesprĂ€che mit Moskau fĂŒr vorerst hinfĂ€llig
Die Amerikaner erklĂ€rten auch geplante hochrangige diplomatische GesprĂ€che mit der russischen Regierung vorerst fĂŒr hinfĂ€llig. Blinken sagte, im Hinblick auf das Vorgehen Moskaus habe es keinen Sinn, an dem ursprĂŒnglich fĂŒr diese Woche in Genf angesetzten GesprĂ€ch mit seinem Kollegen Lawrow festzuhalten. Die US-Regierung sei grundsĂ€tzlich weiter zu diplomatischen GesprĂ€chen bereit. Doch die russische Regierung mĂŒsse zeigen, dass es ihr ernst sei. "Die vergangenen 24 Stunden haben das Gegenteil gezeigt."
In den vergangenen Tagen war auch ein persönliches Treffen von Biden und Putin im GesprĂ€ch gewesen. Das Treffen von Blinken und Lawrow hĂ€tte der Vorbereitung dienen sollen. Eine direkte Zusammenkunft von Biden und Putin ist nun aber vorerst vom Tisch, wie die Sprecherin des WeiĂen Hauses, Jen Psaki, erklĂ€rte. Aktuell, da Putin die Invasion eines souverĂ€nen Landes vorantreibe, sei nicht der richtige Zeitpunkt fĂŒr ein solches Treffen, sagte sie.
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Biden rechnet weiter mit einem groĂangelegten Angriff Russlands auf das Nachbarland. âWir glauben nach wie vor, dass Russland bereit ist, deutlich weiterzugehen und einen massiven MilitĂ€rschlag gegen die Ukraine zu starten", sagte der US-PrĂ€sident im WeiĂen Haus. Er bezeichnete Moskaus Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk und die geplante Entsendung russischer Truppen dorthin als âBeginn einer Invasion". Putin liefere âeine BegrĂŒndung fĂŒr die gewaltsame Einnahme weiterer Gebiete".
Die US-Regierung hatte wochenlang eindringlich vor einer russischen Invasion gewarnt und sich so von mehreren Seiten den Vorwurf eingehandelt, Alarmismus zu verbreiten und die Lage nur anzuheizen. Nun fĂŒhlt sich die Biden-Regierung in ihrem Kurs bestĂ€tigt. Blinken sagte mit Blick auf Putin: âSein Plan war von Anfang an, in die Ukraine einzumarschieren, um die Ukraine und ihre Bevölkerung zu kontrollieren, um die ukrainische Demokratie zu zerstören (...), um die Ukraine als Teil Russlands zurĂŒckzuerobern." Blinken bezeichnete das Vorgehen Moskaus als "die gröĂte Bedrohung fĂŒr die Sicherheit in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg". Putin breche gewaltsam die Gesetze und GrundsĂ€tze, die seit Jahrzehnten den Frieden in Europa und der ganzen Welt bewahrt hĂ€tten. âDie Ukraine ist in Gefahr." (APA)