Putin-Unterstützer Gergiev: Die Politik macht am Dirigenten-Pult nicht Halt
Valery Gergiev ist ein vielbeschäftigter Dirigent. Seine Beziehung zu Wladimir Putin könnte ihn einige Jobs kosten.
Innsbruck – Es gab einige, verzagte Buh-Rufe, als Valery Gergiev am Mittwochabend den Orchestergraben der Mailänder Scala betrat. Die vom früheren Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann inszenierte Premiere von Tschaikowskys „Pique Dame“ – mit Asmik Grigorian als Liza – ging danach trotzdem ohne Unmutsbekundungen über die Bühne. Die Kritiken sind euphorisch. Gergiev dürfte in Mailand trotzdem vorerst ausgespielt haben.
Der Dirigent ist seit Langem dezidierter Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin. 2008 rechtfertigte er die russische Besetzung der international nicht anerkannten Republik Südossetien und leitete ein Gedenkkonzert für die Opfer „der georgischen Aggression“. 2012 trat er in Werbespots für die Wiederwahl Putins auf. 2014 begrüßte er die russische Annexion der Krim.
Zum Angriff Putins auf die Ukraine hat sich Gergiev bislang nicht geäußert. Genau das fordert nun Scala-Intendant Dominique Meyer. In einem gemeinsam mit Mailands Bürgermeister Giuseppe Sala verfassten Schreiben verlangt Meyer eine klare Positionierung Gergievs gegen die Invasion. „Sollte er dies nicht tun, sehen wir uns gezwungen, die Zusammenarbeit zu beenden.“
Auch in München, wo Valery Gergiev seit 2015 Chefdirigent der dortigen Philharmoniker und sein politisches Engagement schon seit seiner Berufung immer wieder Thema ist, droht dem Dirigenten inzwischen der Rauswurf. Er habe Gergiev aufgefordert, sich „eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine führt“, ließ Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter gestern mitteilen. Sollte das bis Montag nicht der Fall sein, könne der 68-Jährige nicht länger Chefdirigent der Münchner Philharmoniker bleiben. Auch die Hamburger Elbphilharmonie und das Festspielhaus Baden-Baden stellen geplante Auftritte des Dirigenten in Frage.
Die Wiener Philharmoniker wären dieser Tage mit Gergiev am Pult dreimal in der New Yorker Carnegie Hall aufgetreten. Orchester-Vorstand Daniel Froschauer hatte zunächst darauf beharrt, dass Kultur nicht zum Spielball politischer Auseinandersetzung werden dürfe, und die langjährige Verbundenheit der Philharmoniker mit Gergiev unterstrichen. Den gestrigen Auftakt der Konzertreihe dirigierte auf Wunsch des Veranstalters trotzdem Yannick Nézet-Séguin.
Während Gergiev vorerst schweigt, machte die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv, seit Kurzem Musikdirektorin in Bologna, ihre Empörung über den Angriff auf ihr Heimatland in einer Videobotschaft deutlich: „Putin zeigt jetzt sein wahres Gesicht. Jeder, der jetzt schweigt, unterstützt den Diktator. Jetzt haben wir eine neue Situation für die ganze Welt. Allein in den letzten 400 Jahren hat Russland mehr als 100 Gesetze gegen die ukrainische Kultur, Sprache und Literatur erlassen, die es uns verbieten, Bücher zu drucken, zur Schule zu gehen und unsere Kunst zu entwickeln. Jetzt ist diese kriminelle Situation für die ganze Welt klar. Bitte stehen Sie uns bei, unterstützen Sie uns!“, appelliert die Dirigentin. (jole)