Schauplätze des Krieges: Kampf um Kiew hat höchste Bedeutung
Die ukrainische Führung könnte bald vor der schmerzhaften Entscheidung stehen, den Abzug anzuordnen und den Russen einen größeren Teil der Ostukraine den Russen zu überlassen, um die Hauptstadt Kiew zu halten. Ein Überblick über die Schauplätze des Krieges.
Kiew/Moskau – Am vierten Tag der russischen Invasion in der Ukraine hat der Kampf um die ukrainische Hauptstadt Kiew militärisch gesehen die höchste Bedeutung. Diese Einschätzung äußerte der Leiter der Forschung- und Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, Oberst Markus Reisner, am Sonntag gegenüber der APA. Die Gebietsverluste im Osten und die dortige Einkreisung von Städten "wiegt im Moment nicht so schwer wie die Symbolhaftigkeit der Hauptstadt".
Das ukrainische Militär befinde sich in einem ständigen Zermürbungskampf. Die ukrainische Armee müsse den russischen Vormarsch verzögern, um den Fluss Dnipro (Dnejpr) als "Verteidigungslinie" vorzubereiten, und sie müsse die Situation im Süden (nordwestlich der Krim) konsolidieren, um einen russischen Durchbruch in das offene Gebiet hinter dem Dnipro zu verhindern, analysiert Reisner.
"Je hartnäckiger der Widerstand der ukrainischen Kräfte, desto höher die Bereitschaft der russischen Truppen, schwere Waffensysteme auch im urbanen Raum einzusetzen. Aber: Je besser und länger die Ukrainer kämpfen, desto mehr Sympathie wird die Welt für sie empfinden und sich mit ihnen solidarisieren."
Teile der Ostukraine zugunsten von Kiew aufgeben
Internationale Experten kommen zu einer ähnlichen Einschätzung. Das amerikanische "Institute for the Study of War" schreibt in einem aktuellen Bericht: Die ukrainische Führung könnte bald vor der schmerzhaften Entscheidung stehen, den Abzug anzuordnen und einen größeren Teil der Ostukraine den Russen zu überlassen. Es gebe aber noch keine Hinweise darauf, dass die ukrainische Regierung diesen Entscheidungspunkt erwägt. Der ukrainische Widerstand bleibe "bemerkenswert effektiv und die russischen Operationen insbesondere auf der Kiewer Achse wurden schlecht koordiniert und ausgeführt, was zu erheblichen russischen Fehlern führte". Aber die russischen Streitkräfte "bleiben viel größer und leistungsfähiger als das konventionelle Militär der Ukraine".
An vielen Orten in der Ukraine liefern sich russische und ukrainische Truppen schwere Kämpfe. Gesicherte Informationen zum Kampfgeschehen sind rar, vieles kann nicht unabhängig geprüft werden. Wo sich der Konflikt nach Angaben der Kriegsparteien und laut Medienberichten zuletzt zuspitzte:
Kampf um Kiew:
📍 Schwerpunkt sind russische Angriffe im Norden und im Nordwesten der Hauptstadt.
📍 Russische und ukrainische Einheiten lieferten sich erbitterte Gefechte um den Flughafen Vasilkovo in einem Vorort der Hauptstadt.
📍 Bei heftigen Kämpfen in der Umgebung des Flughafens Hostomel besiegten ukrainische Truppen nach eigener Darstellung eine aus Russland kommende tschetschenische Sondereinheit. Hostomel liegt am nordwestlichen Rand der Region Kiew.
📍 Ein Öldepot nahe Kiew wurde den Angaben nach zerstört.
📍 In der Hauptstadt wurde Medienberichten zufolge auch ein Lager mit radioaktiven Abfällen getroffen. Die Deponie soll von mehreren russischen Granaten getroffen worden sein.
Weitere Schauplätze:
📍 In der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw soll der russische Angriff zurückgeschlagen worden sein. Zuvor war die Rede von Straßenkämpfen bis ins Zentrum der Stadt. In der Nähe der Stadt soll auch eine Gasleitung in Flammen aufgegangen sein.
📍 Die ukrainische Armee will die Stadt Irpin nordwestlich von Kiew zurückerobert haben.
📍 Die südukrainischen Städte Cherson und Berdjansk sind nach russischen Angaben von russischen Truppen umstellt.
📍 Im Donbass will Russland zwei Siedlungen nordöstlich der umkämpften Hafenstadt Mariupol eingenommen haben.
📍 Auch in der Region Luhansk toben weiter schwere Kämpfe. (APA/dpa)