Gesellschaft

Außergerichtlicher Tatausgleich: „Strafe nicht das Wichtigste“

Scherbenhaufen: Nach Streit und Drohungen ersehnen Opfer vorrangig Konfliktbereinigung.
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Laut des Instituts für Konfliktforschung geht vielen Opfern Konfliktregelung vor Bestrafung. Für den Verein Neustart eine klare Bestätigung des außergerichtlichen Tatausgleichs.

Von Reinhard Fellner

Innsbruck, Wien – Während tagespolitisch oftmals die Tendenz zu Straferhöhungen zu verspüren ist, lässt eine aktuelle Studie des Instituts für Konfliktforschung (IKF) aufhorchen. Diese stellt nämlich als Nachfolgestudie der Universität Innsbruck von 2001 dem außergerichtlichen Tatausgleich Bestnoten aus. Opfer und Täter sind scheinbar mit dieser Art von Konfliktverarbeitung am zufriedensten – ganz ohne Prozess und Strafe. Als Tatausgleich bezeichnet man die außergerichtliche Regelung eines Konfliktes meist nach Delikten wie Körperverletzung oder gefährlicher Drohung – wo es also ein persönliches Gegenüber von Opfer und Täter gibt. Erkennen dies Staatsanwaltschaft oder Strafgericht bei Fällen geringen Verschuldens, beauftragen sie den Verein Neustart (Bewährungshilfe) mit der Durchführung eines solchen Ausgleichs. Sowohl Beschuldigte als auch Opfer müssen allerdings erst zustimmen, damit es zu einem Tatausgleich kommen kann.

„Der Staat räumt hier die Möglichkeit ein, den sozialen Frieden ohne Bestrafung wiederherzustellen", sagt Kristin Henning (Leiterin Neustart Tirol).
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Laut der IKF-Studie liegt die Zufriedenheit der Opfer mit diesem Rechts-Instrument bei 77 Prozent. Der Grund liegt wohl in der gemeinsamen Aufarbeitung des Geschehenen unter Neustart-Moderation. Demnach kam es in rund 60 Prozent der untersuchten Fälle während der Konfliktregelung zu einer von Sozialarbeitern begleiteten persönlichen Aussprache zwischen Beschuldigten und Opfern. Neustart-Geschäftsführer Christoph Koss: „Diese Aussprache und Konfliktbereinigung von Angesicht zu Angesicht wird von Opfern sehr geschätzt. Eine derart intensive Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen von Opfern kann in einer Gerichtsverhandlung nicht stattfinden. Das dient dem sozialen Frieden.“

5000 solcher außergerichtlicher Konfliktregelungen werden jährlich durchgeführt.

Kristin Henning, Leiterin von Neustart Tirol, gestern zur TT: „Opfer wollen in erster Linie keine Bestrafung, sondern nachvollziehen können, wieso es zur Tat gekommen ist, und eine angemessene Schadensgutmachung. Beim Tatausgleich eröffnet sich die Möglichkeit, auf die Strafe zu verzichten und den sozialen Frieden durch Verantwortungsübernahme und Entschädigung wieder herzustellen. Idealerweise bleibt zum Schluss für die Beteiligten nichts mehr ,offen‘.“ 2021 wurden Neustart Tirol 430 Beschuldigte zugewiesen. Bei 75 Prozent konnte durch Abschluss ein Prozess erspart werden.

Besonders erfreulich für Bewährungshelferin Henning: „Aus früheren Studien wissen wir, dass 87 Prozent der Personen drei Jahre nach dem Abschluss eines Tatausgleichs nicht wieder straffällig geworden sind.“

40 Prozent der zugewiesenen Konflikte, entstanden übrigens spontan aus einer Situation heraus. Bei 25 Prozent der Fälle handelte es sich um Gewalt in der Partnerschaft. Einzig bei Nachbarschaftskonflikten liegt der Zufriedenheitsgrad nach Konfliktaufarbeitung meist eher niedrig. Henning: „Das liegt vermutlich daran, dass es sich zumeist um langjährige Konflikte handelt. Der strafrechtliche Vorfall ist da dann nur die Spitze des Eisbergs.“ Frauen fühlten sich in der Neustart-Moderation am wohlsten. Konfliktbereinigung oder auch nur die Aussprache mit dem Täter standen im Vordergrund.