„C’mon C’mon“: Onkel und Neffe auf großer Tour durch New York
Joaquin Phoenix gibt den liebevollen älteren Herren im wunderbaren neuen Film „C’mon C’mon“ von Regisseur Mike Mills.
Von Marian Wilhelm
Innsbruck – Joaquin Phoenix liebt Abwechslung. Der 47-jährige Schauspieler gewann 2020 einen Oscar für seine psychotische Joker-Figur. Nun spielt er im kleinen Independent-Film „C'mon C'mon“ den liebevollen Onkel eines Neunjährigen. Bald schlüpft Phoenix in die Rolle von Napoleon Bonaparte.
Der Film von Mike Mills („20th Century Women“) ist eine schöne Kennenlern-Geschichte. Jesse lebt mit seiner alleinerziehenden Mutter Viv in Los Angeles. Ihr Bruder Johnny arbeitet von New York aus als Radio-Journalist. Eine Interview-Serie mit Jugendlichen im ganzen Land, wie sie sich die Zukunft vorstellen, bringt ihn dazu, sich nach langer Zeit wieder bei seiner Familie zu melden.
Die Geschwister-Beziehung war seit dem Tod der dementen Mutter abgekühlt. Einzelne Bilder erzählen von diesem Ballast der Vergangenheit. Johnny ist „ein etwas seltsamer Mensch“, heißt es an einer Stelle, den Phoenix (wie schon in der Romanze „Her“) herrlich in sich gekehrt verkörpert. Auch er ist gewissermaßen noch ein wenig Kind und unglücklich.
🎬 Trailer | „C'mon C'mon“
Dennoch findet er einen Zugang zu seinem lebhaften Neffen. Onkel Johnny springt kurzerhand ein, als seine Schwester Viv aus Los Angeles wegmuss, um sich um Jesses psychisch kranken Vater zu kümmern. Ein Problemfilm, der aktuelle Katastrophen und vergangene Traumata aufarbeitet, wird „C’mon, C’mon“ aber nicht.
Regisseur Mike Mills erzählt unglaublich zart von der Annäherung zwischen dem Jungen und seinem Onkel. Die beiden gehen zusammen nach New York. Der Schwarz-Weiß-Film wird für eine Weile zu einer visuellen Ode an die Stadt, wie einst „Manhattan“.
Die ungewohnte Verantwortung für seinen Neffen, samt Panikmomenten, als das Kind verloren geht, hilft auch dem Erwachsenen. Am Telefon bestärkt ihn Jesses Mutter (Gaby Hoffmann), die diese immer wieder überfordernde Verantwortung der Elternschaft nur allzu gut kennt. Dennoch gibt der Film durchwegs eine optimistische Antwort darauf, was es heißt, ein heranwachsendes Kind zu haben, und sei es nur als Onkel auf Zeit.
Darsteller Woody Norman provoziert sein Gegenüber dabei immer wieder herrlich natürlich. Etwa wenn er mit dem Aufnahmegerät beginnt, seinem Onkel große Fragen zu stellen, als die beiden auf Audio-Erkundungstour durch die Stadt gehen.
Die Sprache wird immer wieder zu einem filmischen Stilmittel, wenn sich der Dialog davon befreit, die Geschichte zu transportieren, und sich vorgelesene Buchtexte mit der Musik zu einem angenehm fließenden Soundtrack verweben.
„C'mon C'mon” ist nicht auf dramaturgische Konflikte aus. Der Film zeigt ein gefühlvolles Näherkommen, das sich durchwegs wunderbar warm anfühlt. Weiter hätte sich Joaquin Phoenix von seiner Joker-Figur Arthur Fleck jedenfalls nicht entfernen können.