Putin rückt nicht von Invasion ab, Nehammer berichtet Selenskyj von Treffen
Der russische Präsident Wladimir Putin bekräftigte einen Tag nach einem Treffen mit Bundeskanzler Karl Nehammer, die Invasion in der Ukraine fortzuführen. Nehammer telefonierte indes mit dem ukrainischen Präsidenten und berichtete von seinem Gespräch mit Putin.
Kiew, Moskau – Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Dienstag indirekt auf den Vorwurf von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) reagiert, dass er einer „Kriegslogik" folge. Russland verfolge Ziele in der Ukraine und werde seine „militärische Spezialoperation" durchziehen, bis diese erreicht seien. Nehammer betonte unterdessen in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dass sein montägiges Treffen mit Putin „kein Freundschaftsbesuch" gewesen sei.
Der Kanzler sagte zu Selensky, dass er gegenüber Putin das Leid, dass durch den russischen Angriffskrieg entstanden sei, „in aller Deutlichkeit" angesprochen habe. „Im Krieg gibt es nur Verlierer", zitierte das Bundeskanzlersamt Nehammer. Selenskyj selbst referierte das Telefonat mit Nehammer in den späten Dienstagabendstunden in einer Videobotschaft. „Ich habe heute mit dem österreichischen Kanzler gesprochen, der am Tag zuvor den russischen Staatschef getroffen hat", sagte der ukrainische Präsident. Man habe sich über die Details dieses Treffens ausgetauscht, erklärte er.
Nach seinem Besuch am 9. April in der Ukraine und dem darauffolgenden Treffen mit Putin am Montag in Moskau telefonierte Nehammer am Dienstag außerdem mit US-Botschafterin Victoria Kennedy und bekräftigte dabei „die Geschlossenheit des Westens". Der Regierungschef informierte zudem Bundespräsident Alexander Van der Bellen über seine Aufenthalte in Kiew und Moskau. Wie der Präsident am Abend twitterte, sei Nehammer bei ihm in der Hofburg gewesen. „Der Friede in der Ukraine ist und bleibt unser gemeinsames Ziel", postete Van der Bellen.
Macron: Putin wird nicht aufhören
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte der Wochenzeitung Le Point, dass Putin entschieden habe, nicht aufzuhören. „Er braucht einen militärischen Sieg für sich selbst", auch wenn er verstanden habe, dass die Ukraine sich nicht unterwerfen werde. Die russischen Truppen hatten sich zuletzt im Norden der Ukraine zurückgezogen, um sich auf den Osten des Landes zu konzentrieren. So wolle Putin „einen Sieg und eine glorreiche Militärparade am 9. Mai" erzwingen, beteuerte Macron. Er glaube „ziemlich wenig an unsere kollektive Fähigkeit", Putin „kurzfristig an einen Verhandlungstisch zu bringen".
Alles laufe nach Plan, erklärte Putin bei seinem Besuch des neuen Weltraumbahnhofs Wostotschny. Das langsame Vorrücken Russlands begründete er mit einem schrittweisen Vorgehen seiner Armee. Auf die Frage, ob die Operation nicht schneller abgeschlossen werden könne, meinte er, dass dies zwar möglich sei, aber zulasten der Menschen in der Ukraine gehe. Der Kreml-Chef versuchte erneut, das auch von vielen Russen verurteilte Blutvergießen zu rechtfertigen. „Wir hatten keine andere Wahl." Der Konflikt mit den „antirussischen Kräften in der Ukraine" sei nur eine Frage der Zeit gewesen, so Putin in Anwesenheit des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko.
📽️ Video | Wehrschütz (ORF) zur Lage in Kramatorsk
Russland und Belarus weisen Verantwortung für Massaker zurück
Der als „letzter Diktator Europas" kritisierte Lukaschenko ist Putin seit langem gewogen. Diesmal will der von Moskau wirtschaftlich abhängige Gast aus Minsk dem Kreml-Chef Dokumente mitgebracht haben, die beweisen sollen, dass nicht russische Soldaten Kriegsverbrechen in dem Kiewer Vorort Butscha verübt haben. „Wir haben heute die psychologische Spezialoperation in Butscha erörtert, die die Engländer durchgezogen haben", sagte Lukaschenko. „Wenn sie die Adressen wollen, die Erkennungsworte, die Treffpunkte, wie sie gereist sind, dann kann ihnen der FSB der Russischen Föderation diese Informationen bereitstellen", behauptete Lukaschenko.
Tatsächlich beantwortet der einst von Putin geführte Inlandsgeheimdienst FSB, dem auch schwere Verbrechen angelastet werden, solche Anfragen nie. Aber für das Publikum des russischen Staatsfernsehens klingt es, als sei der Westen an allem Schuld. Putin bezeichnete dann auch die ukrainischen Vorwürfe zu russischen Kriegsverbrechen in Butscha als „Provokation" und „Fake". Die USA hätten in der Vergangenheit mutmaßliche Chemiewaffen im Irak als Vorwand genutzt für einen Einmarsch in das Land. „Genauso einen Fake gibt es in Butscha." Beweise lieferte er nicht.
Hunderte teils gefesselte Leichen
Die Ukraine hingegen sieht es als erwiesen an, dass russische Truppen in Butscha ein Massaker unter Zivilisten angerichtet und Hunderte Menschen – teils gefesselt – erschossen zu haben. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und andere westliche Politiker sowie zahlreiche Experten und Journalisten haben Butscha besucht und dort selbst die Leichen gesehen. Russland spricht dennoch weiter von einer Inszenierung.
Putin benutzte den Auftritt, um einmal mehr dem Westen die Verantwortung zu geben für den Krieg in der Ukraine. „Viele sagen, dass die Vereinigten Staaten bereit sind, gegen Russland bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen. Und so ist es auch." Er wirft den USA seit langem vor, die Ukraine und die immer neuen Sanktionen als Druckmittel gegen Russland zu benutzen.
Auch der vermeintliche westliche „Wirtschaftskrieg" gegen die Rohstoffmacht sei gescheitert. „Dieser Blitzkrieg, auf den unsere Missgönner gesetzt haben, ist natürlich fehlgeschlagen, das ist offensichtlich." Russlands Wirtschaft und Finanzsystem stünden „fest auf beiden Beinen". Dass Putin angesichts der Sanktionen und der Tausenden Toten und der massiven Zerstörung in der Ukraine einlenkt, ist nach seinen Äußerungen nicht in Sicht. Er zeichnete vielmehr ein düsteres Bild.
Die Ukraine sei inzwischen von früheren Vereinbarungen mit Russland im Zuge der Verhandlungen in der Türkei für ein Ende des Krieges wieder abgerückt. Nötig seien aber für alle Beteiligten annehmbare Vereinbarungen. „Und so lange das nicht so ist, wird die militärische Operation bis zu ihrem vollen Ende fortgesetzt", betonte Putin. Dabei versicherte er seinem Gast Lukaschenko, dass auch Belarus weiterhin Ort für die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland sein könne. (APA, dpa)