Krieg in Ukraine

Finnland und Schweden rücken immer näher an NATO-Beitritt heran

Die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson (l.) mit der finnischen Regierungschefin Sanna Marin.
© AFP/Wennerholm

Als Folge des russischen Einmarsches in der Ukraine rückt ein Beitritt von Schweden und Finnland zum westlichen Militärbündnis NATO in Reichweite. Binnen Wochen soll eine Entscheidung fallen, heißt es von der finnischen Regierungschefin.

Helsinki – Finnland will nach Angaben von Regierungschefin Sanna Marin bereits in den kommenden Wochen über einen möglichen Antrag zur Aufnahme in die NATO entscheiden. Die Entscheidung über einen Aufnahmeantrag in das Verteidigungsbündnis werde "ziemlich schnell" und "innerhalb von Wochen, nicht innerhalb von Monaten" fallen, sagte Marin am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson in Stockholm.

Auch Schweden schließt einen NATO-Beitritt nicht aus. Bisher ist Finnland EU-, aber nicht NATO-Mitglied. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sich die Zustimmung der Finnen zu einem NATO-Beitritt in Umfragen verdoppelt.

Vom Kreml dürfte ein NATO-Beitritt Finnlands als Provokation aufgefasst werden. Moskau stuft die Ausdehnung des von den USA angeführten Bündnisses als Sicherheitsbedrohung ein. Im Falle eines Beitritts Finnlands würden sich die Landgrenzen zwischen den NATO-Staaten und Russland mit 1300 Kilometern auf einen Schlag verdoppeln.

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Blutige Geschichte

Finnland hatte 1917 seine Unabhängigkeit von Russland erklärt. Während des Zweiten Weltkriegs wehrte die zahlenmäßig weit unterlegene finnische Armee eine Invasion der sowjetischen Truppen ab und fügte der Roten Armee schwere Verluste zu. Die Kämpfe endeten mit einem Friedensabkommen, infolge dessen Finnland Grenzgebiete an die Sowjetunion abtrat.

Die finnische Regierung erklärte sich während des Kalten Krieges bereit, neutral zu bleiben und erhielt im Gegenzug von Moskau Garantien, dass es nicht einmarschieren würde. Die erzwungene Neutralität des Landes, die darauf abzielte, den stärkeren Nachbarn zu besänftigen, prägte den Begriff "Finnlandisierung".

Russland drängt mit Invasion Finnland und Schweden in NATO

Was bis vor wenigen Monaten vielfach als undenkbar galt, scheint nun vor der Tür zu stehen: Finnland bewegt sich mit Riesenschritten auf einen Beitrittsantrag zur NATO zu. Und zieht damit das Nachbarland Schweden, bisher ebenso bündnisfrei wie Finnland, möglicherweise mit. Während in Finnland vorerst noch unklar ist, wie sich die einzelnen Parteien im Fall einer Abstimmung verhalten werden, ist in Schweden eine Parlamentsmehrheit für einen NATO-Beitritt schon gegeben.

Die in beiden Ländern bis zur Zuspitzung der Ukraine-Krise praktisch tote NATO-Diskussion erhielt durch den Überfall Russlands auf die Ukraine in Finnland und auch in Schweden massiven Rückenwind. In beiden Ländern hatten sich schon bisher die meisten Parteien rechts der Mitte für einen Beitritt ihres Landes zu dem westlichen Militärbündnis ausgesprochen, während die jeweils regierenden Sozialdemokraten einem solchen Schritt wenig abgewinnen konnten.

Finnische Soldaten bei einer Übung.
© JONATHAN NACKSTRAND

Sicherheitsbericht dürfte Anstoß geben

Die Dynamik in der NATO-Frage spitzte sich zu, als finnische Medien vergangene Woche monierten, dass die Staatsspitze, bestehend aus Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin, hinter verschlossenen Türen bereits beschlossen habe, den NATO-Beitritt Finnlands rasch voranzutreiben. Ein entscheidender Schritt ist die Veröffentlichung des aktualisierten Sicherheitsberichts der finnischen Regierung.

Die finnische Regierung rechnet im Falle eines Antrags zur Aufnahme in die NATO demnach mit größeren russischen Einflussversuchen. Sollte Finnland die NATO-Mitgliedschaft beantragen, müsse sich das Land auf umfassende Versuche der Einflussnahme sowie Risiken vorbereiten, die schwer vorherzusehen seien, hieß es in einer sicherheitspolitischen Analyse der Regierung.

Sie wurde am Mittwoch von Außenminister Pekka Haavisto, Verteidigungsminister Antti Kaikkonen und Innenministerin Krista Mikkonen in Helsinki vorgestellt. Zu den Risiken zählten auch zunehmende Spannungen an der über 1300 Kilometer langen Grenze zwischen den beiden Ländern.

Bedeutendste Auswirkung einer möglichen NATO-Mitgliedschaft wäre, dass Finnland unter die im NATO-Artikel 5 verankerte kollektive Verteidigung schlüpfen würde, heißt es in der umfassenden Analyse.

Der Bericht wird anschließend dem Parlament zur Behandlung weitergereicht, wo in unterschiedlichen Ausschüssen darüber beraten wird. Sollte sich dabei eine klare Mehrheit für die NATO abzeichnen, wird erwartet, dass die Regierung und Staatspräsident Niinistö innerhalb kürzester Zeit das Beitrittsansuchen beschließen. Die Schätzungen, wann das sein könnte, reichen von Anfang Mai bis Ende Juni.

Regierungsparteien dürften in Richtung Beitritt umschwenken

Entscheidend wird sein, wie sich die beiden großen Regierungsparteien, die Sozialdemokraten und die Zentrumspartei, verhalten werden. Beide waren bisher gegen eine NATO-Mitgliedschaft Finnlands, in beiden Parteien schwenkte die Meinung zuletzt in Richtung Befürwortung. Dies geschah parallel zu der rasanten Änderung der Stimmungslage in der Bevölkerung. War die Zustimmung der Finnen für einen NATO-Beitritt zu Jahresbeginn noch weit unter der Hälfte, so betrug diese zuletzt über 60 Prozent.

Die Nachricht über den möglicherweise unmittelbar bevorstehenden NATO-Beitrittsantrag Finnlands brachte jenseits der Ostsee eine Lawine ins Rollen. Nachdem der Parteichef der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, am Wochenende in einem Zeitungsinterview gesagt hatte, falls Finnland der NATO beitrete, wäre auch er für so einen Schritt in Schweden, beschloss der Parteivorstand am Montag, die offizielle Linie der rechtspopulistischen Partei, die bisher NATO-skeptisch war, zu ändern.

Parlamentsmehrheit in Schweden absehbar

Dies wiederum bedeutet, dass damit die NATO-Befürworter – allen voran die konservativen Moderaterna und die drei anderen "bürgerlichen " Parteien und nun eben die Schwedendemokraten – theoretisch über eine Parlamentsmehrheit verfügen. Damit gerät auch die sozialdemokratische Regierungschefin Magdalena Andersson unter Druck. Sie sagte bereits früher, dass sie eine NATO-Mitgliedschaft Schwedens nicht prinzipiell ausschließe. Innerhalb ihrer Partei sind nach wie vor viele skeptisch. Vor wenigen Tagen starteten die Sozialdemokraten aber einen "sicherheitspolitischen Dialog", in dem unter anderem, aber nicht nur, die Möglichkeit eines NATO-Beitritts Schwedens innerhalb der Partei bis zum Sommer diskutiert werden soll.

Andersson könnte jedoch trotzdem schon früher eine Entscheidung auf Regierungsebene treffen. Am morgigen Mittwoch empfängt sie ihre finnische Amtskollegin Marin in Stockholm. Laut finnischer Regierungskanzlei geht es bei dem Treffen um "die herrschende sicherheitspolitische Debatte in Finnland und Schweden". Die schwedische Boulevardzeitung "Expressen" berichtete von einem geheimen Treffen zwischen dem schwedischen Finanzminister Mikael Damberg, dem finnischen Staatspräsidenten Niinistö sowie verschiedenen Wirtschaftsvertretern beider Länder, das vergangene Woche in Helsinki stattgefunden haben soll. Dabei soll es um mögliche wirtschaftliche Konsequenzen gegangen sein, falls Schweden bei einem NATO-Beitritt nicht mitzieht.

NATO würde Finnland und Schweden jederzeit aufnehmen

Die NATO selbst, unter anderem ihr Generalsekretär Jens Stoltenberg, hat klar gemacht, dass sowohl Schweden als auch Finnland jederzeit in dem Bündnis willkommen sind. Ein Beitritt beider Länder könnte jeweils vermutlich zügig, möglicherweise innerhalb weniger Monate, vollzogen werden.

Welche Konsequenzen ein NATO Beitritt Finnlands und möglicherweise auch Schwedens für das Sicherheitsgefüge im Norden Europas haben würde, lässt sich schwer abschätzen. Russland hat jedenfalls beiden Ländern bereits mehrfach mit nicht näher spezifizierten Konsequenzen gedroht, sollten sie sich der NATO anschließen. Für Finnland ist es besonders heikel. Hat doch das Land eine 1.343 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Russland. Zwischen 1940 und 1944 führte man zwei Kriege gegen die Sowjetunion und war von 1948 bis 1992 als neutrales Land durch einen "Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand" an die Sowjetunion angelehnt. (APA, AFP)

Großteil der Finnen hält Russland für militärische Bedrohung

Die Menschen in Finnland nehmen das östliche Nachbarland Russland nach dessen Ukraine-Einmarsch offenbar zum allergrößten Teil als Bedrohung wahr. Das geht aus einer Befragung hervor, die das finnische Wirtschafts- und Politikforum EVA am Dienstag veröffentlichte. Demnach stuften 84 Prozent der Befragten Russland als erhebliche militärische Bedrohung ein, was einem Anstieg um 25 Prozentpunkte binnen eines Jahres entspricht. Nur sechs Prozent sahen in Russland keine Bedrohung.

Für die Umfrage wurden in der ersten März-Hälfte 2.074 Menschen befragt. Das Forum sieht in den düsteren Ansichten der Finnen über Russland auch eine Erklärung dafür, warum sich eine Mehrheit zuletzt in Umfragen für einen NATO-Beitritt ausgesprochen hat. Russlands Problem sei laut finnischer Ansicht aber nicht das Volk, sondern die Führung des Landes, unterstrich EVA-Forschungsleiter Ilkka Haavisto. Eine klare Mehrheit halte die Russen für angenehme Menschen.