Neustart Tirol: Bildungsdefizite sind Faktor für die Straffälligkeit
Die Bewährungshilfe Neustart kam 2021 nicht zur Ruhe. 640 Klienten wurden in Tirol betreut. Haftalternativen standen im Fokus.
Von Reinhard Fellner
Innsbruck – Neustart Tirol war auch im Jahr 2021 wieder gefordert. Dass das Leben nun wieder weitgehend in normalen Bahnen verläuft, bekommen Bewährungshelfer nämlich recht direkt zu spüren. 640 Klienten hatten die 30 Sozialarbeiter in Innsbruck, Imst, Wörgl und Lienz zu betreuen. Dies dauert im Schnitt pro Person über zweieinhalb Jahre, in denen die Klienten nicht nur zu Themen wie Wohnen, Arbeit und Gesundheit betreut werden, sondern auch die Ursachen für deren Delinquenz aufgearbeitet werden. Dies benötigt Gespräche und Zeit.
Neustart-Leiterin Kristin Henning gestern zur TT: „Bevor jemand zuschlägt, denkt er nicht, dass er in Haft muss, wenn er zuschlägt. Das heißt, die Person muss lernen zu verstehen, warum es überhaupt Situationen gibt, in denen sie zuschlagen will, und was sie tun kann, um dies zu verhindern. Daher braucht es als Erstes auch die Motivation, sich diesen Fragen zu stellen.“
Führte der Weg bereits in die Zelle, ist das Zurück in die Gesellschaft oft steinig. Das liegt auch daran, dass viele Häftlinge schlecht ausgebildet sind – ein Problem vor und nach der Haft. So hatte nur ein Drittel der zuletzt 190 in der Haftentlassenenhilfe Betreuten eine abgeschlossene Berufsausbildung, 45 Prozent haben eine solche gar nie angefangen: „Dies ist anhand der Zahlen ein nachvollziehbarer Risikofaktor für Straffälligkeit“, so Henning. Dass manche einfach nie gelernt haben zu lernen, macht auch die Wiedereingliederung nicht leichter, auch wenn die angespannte Arbeitsmarktsituation Arbeitssuchende derzeit begünstigt.
Um in den Genuss des elektronischen Hausarrests (Fußfessel) zu kommen, benötigt es dazu jedoch auch noch eine fixe Wohnadresse. Diese findet sich zuerst meist im familiären Umfeld. Hierbei hebt die Neustart-Chefin hervor, dass in Tirol – in bester Kooperation mit der Justizanstalt – besonders viele Häftlinge von der Zelle in den elektronischen Hausarrest übergehen: „Dies ist ein idealer Übergang in die Freiheit, der den Schritt aus dem fremdbestimmten, abgeschotteten Leben in die Gesellschaft optimal vorbereitet“, so Henning. 74 Personen beendeten letztes Jahr ihren Hausarrest – dieser ersparte allein in Tirol 12.000 Hafttage. In nur drei (!) Fällen musste das Projekt Fußfessel wieder abgebrochen werden.
Um die Vermeidung von Strafprozessen geht es für Täter beim Tatausgleich mit ihren Opfern oder bei gemeinnützigen Leistungen. 190 Personen (davon 100 Jugendliche) wurde dies angeboten. 90 Prozent nahmen Arbeit statt Vorstrafe gerne an.
Abwerzger für Ausdehnung der Fußfessel "Win-Win" für Gesellschaft
Der FPÖ-Landesparteiobmann Markus Abwerzger reagierte am Karsamstag mit einer Aussendung auf den TT-Bericht. Er forderte eine Verlängerung der Fußfesselregelung ein: "Die Ausdehnung der Fußfessel wäre eine Win-Win-Situation für die Gesellschaft, und würde den Tätern eine nahtlose Resozialisierung gewährleisten.“
Er verweist darauf, dass er selbst im Zuge der Koalitionsverhandlungen zwischen Türkis und der FPÖ die Ausdehnung der Fußfessel auf zwei Jahre Reststrafe in das Koalitionsabkommen mit reinverhandelt hat. „Diese Ausdehnung ist sogar auch im aktuellen türkis-grünen Koalitionsabkommen festgeschrieben, doch die gesetzlichen Änderungen wurden immer noch nicht umgesetzt.“