Krieg in der Ukraine

Bundesheer-Experte: Russischer Nuklearschlag „nicht undenkbar"

Test einer atomwaffenfähigen Rakete in Russland. (Archivbild)
© Russian Defence Ministry

"Die Wahrscheinlichkeit eines Atomwaffen-Einsatzes steigt mit dem nachhaltigen Widerstand der Ukraine", warnt der Leiter des ABC-Abwehrzentrums des Bundesheers, Oberst Jürgen Schlechter. Vor allem der Einsatz "taktischer Nuklearwaffen" sei eine reale Gefahr.

Moskau/Wien – Der Leiter des ABC-Abwehrzentrums des Bundesheeres, Oberst Jürgen Schlechter, erachtet einen nuklearen Schlag mit Kurz- und Mittelstreckenwaffen im Angriffskrieg gegen die Ukraine als "nicht undenkbar". Die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes durch die Russen "steigt mit dem nachhaltigen Widerstand der ukrainischen Streitkräfte", erklärt der Militärexperte in einem Interview, das auf der Homepage des Verteidigungsministeriums veröffentlicht wurde.

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Taktische Nuklearwaffen, auch nukleare Gefechtsfeldwaffen genannt, könnten "ähnlich wie konventionelle Waffen zur Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte eingesetzt werden – wenn sich eben konventionelle Kampfmittel als zu schwach erweisen", erklärt Schlechter weiter. Der vergleichsweise geringe Wirkradius im Vergleich zu den etwa von den USA in Japan eingesetzten Atombomben, solle einen Einsatz nahe an den eigenen Positionen erlauben. Zudem könnten diese Waffen mit Lkw schnell transportiert und von der angreifenden Truppe vor Ort abgefeuert werden.

"Schwerste Zerstörungen und erhebliche Radioaktivität"

Schlechter betont: "Die Bezeichnung 'taktisch' kann aber insofern missverstanden werden, als dass bereits diese Waffen schwerste Zerstörungen anrichten und erhebliche Radioaktivität freisetzen können." Das Schadensausmaß sei abhängig von der Sprengkraft und der Detonationsart.

Die Bezeichnung 'taktisch' kann aber insofern missverstanden werden, als dass bereits diese Waffen schwerste Zerstörungen anrichten und erhebliche Radioaktivität freisetzen können.
Oberst Jürgen Schlechter

Bei einer Bodendetonation werde radioaktives Erdmaterial bis zu mehreren Kilometern Höhe in die Atmosphäre mitverfrachtet, welches dann abhängig vom Wind als "radioaktiver Niederschlag" wieder zu Boden falle und dort eine weitreichende Verstrahlung verursachen könne. Bei einer Luftdetonation entstehe ein "nuklearer Elektromagnetischer Impuls" (NEMP), der zu weitreichenden Zerstörungen elektronischer Systeme, vergleichbar mit einem Blackout, führen könne.

Die kleinste taktische Atomwaffe haben laut dem Experten eine Sprengkraft von circa 0,3 Kilotonne (kT). Die Spanne der Sprengkraft reiche hier bis zu ca. 200 kT. 1 Kilotonne entspreche einem Äquivalent von 1000 Tonnen Sprengstoff Trinitrotoluol –TNT. Eine Nuklearwaffe mit 10 kT, vergleichbar mit der Hiroshima-Bombe, hätte zerstörerische "Primärwirkungen": Die Druckwelle und Hitzestrahlung würden bei einer Bodendetonation ein Gebiet von etwa ein bis zwei Quadratkilometer betreffen.

Radioaktiver Niederschlag auch in Österreich möglich

Österreich wäre von den Primärwirkungen eines Einsatzes taktischer Atombomben zwar nicht unmittelbar betroffen. Aber im Falle eines radioaktiven Niederschlages könnte es zur Verbreitung der radioaktiven Partikel kommen. Dies werde von den Experten am ABC-Abwehrzentrum in Korneuburg aufgrund der Wetterlage beurteilt.

Auch eine eingeschleppte Kontamination durch Personen oder Fahrzeuge aus dem Gebiet, in dem sich radioaktiver Niederschlag ausgebreitet hat, sei möglich: "Diese müssten nach einer Überprüfung der Strahlenwerte einer Dekontamination zugeführt werden", sagt Schlechter, was die ABC-Abwehrtruppe auch schon nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 durchgeführt habe. Außerdem müsse mit einer Verstrahlung von Lebensmitteln und anderen Handelswaren gerechnet werden, so der Bundesheer-Experte. (APA)