Präauer in „Mädchen": Zärtliche Gespräche mit dem früheren Ich
In „Mädchen“ denkt Teresa Präauer über patriarchale Rollenbilder nach.
Innsbruck – Im Herbst 2021 lud die Österreichische Autorin Teresa Präauer an drei Abenden ins Zürcher Literaturhaus, um im Rahmen einer Poetikvorlesung über Mädchen nachzudenken: Über Mädchenfiguren in Märchen und Romanen, über Mädchen in Filmen oder im Fernsehen, Mädchen in der Kunst, über – wenn man so will – tradierte, erinnerte und erfundene Mädchenbilder – und das, was sie uns über die Welten und Zeiten, in denen sie entstanden sind, erzählen. Diese Überlegungen – sie sind mittlerweile auf YouTube abrufbar – sind eine der Grundlagen für Präauers jüngste Erzählung „Mädchen“.
Auch in „Mädchen“ kann man die inzwischen vielfach ausgezeichnete Autorin und bildende Künstlerin beim Nachdenken begleiten: Aus kleinen Beobachtungen, aus Bildern, die Erinnerungen sein könnten (oder eingebildete Erinnerungen), werden Ideen; die Ideen werden mitunter zu Thesen und als These Anstoß zu tiefergehender Analyse. Manche bleiben aber flüchtig, sie sträuben sich gegen das Verallgemeinern – und verflüchtigen sich. „Vielleicht“, heißt es an einer Stelle, „vielleicht reicht ja das Persönliche auch einmal aus, um hier diesen Absatz zu Ende gehen zu lassen“.
Wie den Erinnerungen und den dem Erinnerten abgetrotzten Erzählungen sollte man auch den Ideen und Einfällen misstrauen – und mit diesem Misstrauen spielerisch umgehen. Selbst dann, wenn es – wie in „Mädchen“ – um gewichtige Themen, um patriarchale Rollenbilder, paternalistische Teufelskreise und den Ausbruch daraus geht.
In „Mädchen“ denkt ein Ich, ein früheres, mittlerweile fraugewordendes Mädchen, das von einem kleinen Buben als gelegentliche Spielgefährtin akzeptiert wird, über ihr eigenes Heranwachsen nach. Es sucht das Gespräch mit seinem früheren Ich.
Vielleicht – Indizien dafür gäbe es genug – ist dieses Ich, das von sich bisweilen in der dritten Person spricht, Teresa Präauer und ihre Erzählung eine Befragung der eigenen „Mädchenjahre“. Wahrscheinlich treibt eine so eindeutige Festlegung den Text in die Enge – und dem Mitdenken alles Spielerische aus.
Erzählung
Teresa Präauer: Mädchen. Wallstein, 78 S., 16,50 Euro.
44. Innsbrucker Wochenendgespräche. Eröffnungslesung mit unter anderem Arno Dejaco, Barbara Frischmuth, Tanja Maljartschuk und Teresa Präauer: Donnerstag, 5. Mai, 20 Uhr im ORF Tirol.
Denn wenn „Mädchen“ etwas klar macht, dann dass eindeutige Zuschreibungen etwas Verhängnisvolles sein können. Sie beschränken die Möglichkeiten, im Leben wie im Schreiben. Und das Wort „Mädchen“ ist mehr als eine Zuschreibung. Es ist eine Zuschreibung in verniedlichter Form. Wie geht frau damit um, das ihr selbst der weibliche Artikel verwehrt wird? Und wie geht es danach weiter? Diese Fragen beschäftigen Präauer. Bei der Suche nach Antworten oder Antwortansätzen greift sie auf prägende Lektüre- erfahrungen zurück: Emma von Rhodens „Trotzkopf“, die Romane von Françoise Sagan, Irmgard Keuns „kunstseidenes Mädchen“, Annie Ernaux’ autobiografische „Erinnerung eines Mädchens“.
Präauers „Mädchen“ ist kein zorniger Text, keine Abrechnung oder Anklage, sondern eine anregende, fast schon zärtliche Spurensuche. Lässt man sich darauf ein, lernt man, dass auch die Vergangenheit nichts Abgeschlossenes ist – und die Zeit des Heranwachsens sowieso nicht. (jole)