Literatur

Jahrbuch für Politik: „Die Politik beschädigt sich am besten durch sich selbst“

Voller Saal in der Wagner’schen und angeregte Diskussion: auf dem Podium (v. l.) TT-Chefredakteur Alois Vahrner, Bettina Rausch (Präsidentin der Politischen Akademie der ÖVP) und OGM-Chef Wolfgang Bachmayer.
© Böhm

Das „Österreichische Jahrbuch für Politik 2021“ ist geprägt vom türkisen Blick auf Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz. In Innsbruck wurde es präsentiert.

Innsbruck – Die Mitarbeiterinnen der Wagner’schen Buchhandlung in Innsbruck mussten vor Beginn der Diskussion rasch eine weitere Stuhlreihe aufstellen. Die ÖVP schien getrommelt zu haben, zahlreiche Parteiangehörige erschienen, um der – großteils – eigenen Trauerarbeit zu lauschen. Zum 45. Mal gab die Parteiakademie der ÖVP das „Jahrbuch der Politik“ heraus, dieses Mal geprägt vom türkisen Blick auf Aufstieg und Fall des Sebastian Kurz. Auf über 600 Seiten werden die Pandemie und der „Abschuss“ des jüngsten Kanzlers Österreichs behandelt, wie es im Vorwort heißt. 90 Seiten davon beansprucht der Mitherausgeber des Werks, Wolfgang Sobotka, in seinem „Leitartikel“ über den Werdegang des „gestürzten“ Kanzlers.

„Wer soll das alles lesen?“, fragte TT-Chefredakteur Alois Vahrner, der die Präsentation moderierte, seine beiden Diskutanten, Bettina Rausch, Präsidentin der Politischen Akademie, und den Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer. „Am besten jeder“, antwortete Rausch. Denn das Buch würde eine Lücke zwischen tagesaktuellen Schlagzeilen und einer historischen Aufarbeitung von Dingen füllen, sei „ein Standardwerk österreichischer Zeitgeschichte“ – und als solches für alle Politik-Interessierten spannend.

Tatsächlich handelt der zweite große Themenblock von der Pandemie, den Fehlern und Erfolgen in ihrer Bekämpfung und den Auswirkungen auf die Gesellschaft. „Zu Pandemiebeginn“, erklärt Bachmayer, Geschäftsführer des OGM-Instituts, „hat sich das Vertrauen in die Politiker auf einem Allzeithoch befunden.“ Heute sei es so niedrig wie nie zuvor. Dazwischen liegen zwei Jahre Corona.

„Österreichisches Jahrbuch für Politik 2021“

hg. von Andreas Khol, Stefan Karner, Wolfgang Sobotka, Bettina Rausch, Günther Ofner

656 Seiten

Böhlau Verlag

Jahre, in denen „die Sprache härter und persönlich geworden ist“, sagt Rausch. Und verlernt wurde, auch „das Gute im anderen zu sehen“. Pandemie-Chaos, Chat-Affäre, Impfdebatten, Regierungsumbildung – „die Politik beschädigt sich am besten durch sich selbst“, so Bachmayer. Doch entgegen manchen Meinungen haben die „Eckpfeiler unserer Demokratie Stabilität bewiesen“.

55 Autorinnen und Autoren kommen im „Jahrbuch für Politik 2021“ zu Wort – darunter auch zahlreiche Wissenschafter und Journalisten. Viel Zeit, sich mit dem Blick nach hinten aufzuhalten, blieb aber selbst bei der Präsentation des Rückblicks nicht – in der Gegenwart warten der Probleme genug. „Wir haben drei Krisen gleichzeitig, die Pandemie, die Teuerung und den Krieg“, zählt Bachmayer auf. All das öffne Fenster für „radikale Staatsreformen“ – und liefere den Stoff für die nächsten Jahrbücher. (ah)

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