Zwei Tiroler, ein Super-Minister: Kanzler Nehammer nutzt Rücktritte für Umbau
Karl Nehammer nützt im Vorfeld des ÖVP-Parteitages die Rücktritte als seine Chance für eine größere Regierungsumbildung.
Von Michael Sprenger
Wien – Zuerst einmal gab es Lob für seine ausgeschiedenen Ministerinnen. Das gehört zum Ritual nach Rücktritten. Karl Nehammer lobte ihr Engagement in politisch aufgewühlten Zeiten. Doch der Bundeskanzler sparte auch nicht mit Kritik. Denn Margarete Schramböck und Elisabeth Köstinger seien in den vergangenen Monaten immer wieder Opfer einer „heftigen und untergriffigen“ Auseinandersetzung geworden. Vor allem in den sozialen Medien, wie Nehammer ergänzte.
Und wurde er von den Rücktritten überrascht? Nehammer wurde daran erinnert, dass er und die Parteizentrale in der Vorwoche auftauchende Gerüchte noch heftig zurückgewiesen hatte. Da meinte er trocken: „Über Rücktritte spricht man nicht, man muss handeln und umsetzen, wenn es so weit ist.“ Von einer Rückkehr zur alten ÖVP, wo der Parteiobmann nach Zurufen aus den Ländern und Bünden zu handeln habe, wollte er nichts hören. „Haben Sie Zurufe gehört?“, antwortete er schmallippig.
Nehammer hatte anderes im Sinn. Er will seine Pflöcke einschlagen. Also wollte er mit seinem Auftritt in der Politischen Akademie der Volkspartei vor allem Handlungsfähigkeit demonstrieren. Und das gelang dem künftigen ÖVP-Obmann auch. Denn die Rücktritte von Schramböck (Wirtschaft und Digitalisierung) und Köstinger (Landwirtschaft und Tourismus) lösten am Montag durchaus hektische Betriebsamkeit in der ÖVP aus. Tags darauf konnte er aber das Heft des Handelns an sich ziehen. Dies war für Nehammer entscheidend und wichtig, wird er doch am Samstag in Graz offiziell zum Nachfolger von ÖVP-Obmann Sebastian Kurz gewählt. Er nützte die Rücktritte für eine größere Regierungsumbildung. Das heißt, die ÖVP-Regierungsmannschaft wird nicht nur personell verändert, es kommt auch in einigen Bereichen zu einer neuen Aufgabenteilung.
Kurz zusammengefasst: Der bisherige Arbeitsminister Martin Kocher übernimmt die Wirtschaftsagenden von Schramböck. Der frühere Leiter des Instituts für Höhere Studien und des Fiskalsrats steigt damit zum mächtigsten Minister auf ÖVP-Seite auf. Denn die Agenden des Tourismus, bislang im Landwirtschaftsministerium angesiedelt, wandern ebenso ins Kocher-Ressort. Für den erweiterten Aufgabenbereich bekommt er eine Staatssekretärin. Susanne Kraus-Winkler, bisher Obfrau des Fachverbandes Hotellerie, wird sich um den Tourismus kümmern.
Für das Landwirtschaftsressort entschied sich Nehammer mit dem bisherigen Direktor des Bauernbundes für einen Fachmann. Allerdings wird der gebürtige Osttiroler Norbert Totschnig ein im Vergleich zu Köstinger abgespecktes Ressort zu verantworten haben. Der Kanzler sagt, dass er Totschnig seit Jahren als „leidenschaftlichen Kämpfer für die Bauern“ kenne.
Nehammer sparte mit der Erweiterung von Kochers Aufgabenbereich ein Ministerium ein – und verbreiterte zugleich das ÖVP-Team mit einer Staatssekretärin und einem Staatssekretär. Während Kraus-Winkler im Ministerium für Arbeit und Wirtschaft angesiedelt wird, bekommt auch Finanzminister Magnus Brunner ein Staatssekretariat. Nehammer nennt Florian Tursky, bislang Büroleiter bei Landeshauptmann Günther Platter, einen „guten Vertrauten“. Tursky wird im Finanzressort für Digitalisierung und Breitband zuständig sein.
Erweitert wird der Aufgabenbereich von der bisherigen Jugend-Staatssekretärin Claudia Plakolm. Sie bekommt aus dem Köstinger-ressort die Agenden des Zivildienstes dazu.
Nehammer informierte vorab den grünen Koalitionspartner. Vizekanzler Werner Kogler zeigte sich erleichtert, dass „die Entscheidungen von der ÖVP rasch getroffen wurden und wir jetzt zügig weiterarbeiten können“. Es stünden etwa der schrittweise Ausstieg aus russischem Gas, das rasche Vorantreiben der Energiewende, die Pflegereform und das nächste Maßnahmenpaket zur Abfederung der Teuerung auf dem Programm. Und was sagt er zur Ressortzusammenlegung von Wirtschaft und Arbeit? Er gehe davon aus, dass Kocher die „nötige Sensibilität“ an den Tag legt. „Als Grüne werden wir ganz genau darauf achten, dass gerade auch die Interessen der arbeitenden Menschen berücksichtigt werden.“
Aufwertung für Plakolm
Claudia Plakolm (27) war als Staatssekretärin im Bundeskanzleramt bisher für die Jugend zuständig. Klingt gut, echte Kompetenzen sind damit aber kaum verbunden. Künftig soll sich die Oberösterreicherin auch um den Zivildienst kümmern. Dieser ist doppelt bedeutsam: Zuletzt hat sich fast die Hälfte der jungen Männer für den Zivil- statt den Wehrdienst entschieden. Der Zivildienst ist außerdem maßgeblich für das Funktionieren vieler sozialer Einrichtungen. Ebenfalls neu bei Plakolm: das Thema Ehrenamt, ein Lieblingsthema der ÖVP. (TT)
Formal benötigt es noch eine Änderung des Bundesministeriengesetzes. Die Angelobung durch den Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen findet bereits heute Vormittag statt. Gestern kam es in der Hofburg zu ersten Gesprächen zwischen den Neuen und dem Staatsoberhaupt.
Am Dienstagabend traf sich noch der ÖVP-Vorstand – wegen des Parteitages, wie es hieß. Das Personalpaket musste Nehammer nicht absegnen lassen, er hat sich aber per Umlaufbeschluss die Unterstützung gesichert. Seit Sebastian Kurz’ Statutenreform im Jahre 2017 hat der ÖVP-Chef beim Personal große Freiheiten. Das weiß naturgemäß Nehammer, trotzdem sagte er: „Jeder, der das Statut für sein Handeln braucht, hat schon verloren.“ Nehammer glaubt auch mit Blick auf den Parteitag, dass er mit dieser Regierungsumbildung gewonnen hat.
Wo die Theorie die Praxis trifft
Unter Margarete Schramböck war vom einst mächtigen Wirtschaftsministerium nicht viel übrig geblieben. Mit der türkisen Regierungsumbildung schafft Karl Nehammer (ÖVP) dort wieder einen Schwerpunkt. Unter Martin Kocher führt der Kanzler die Zuständigkeiten für Arbeit und Wirtschaft unter einem Dach zusammen. Er baut auch personell aus: Zum Wissenschafter Kocher kommt als Staatssekretärin mit Susanne Kraus-Winkler eine ausgewiesene Praktikerin. Sie führte Hotels. Und sie ist als bisherige Brachenobfrau eng mit der Wirtschaftskammer verbunden.
Martin Kocher (48) kam als Nachfolger von Christine Aschbacher in die Regierung. Mitten in der Pandemie musste der damalige Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) anwenden, was er als Professor gelehrt hatte.
Der gebürtige Pongauer studierte in Innsbruck Volkswirtschaft. Seine wissenschaftliche Karriere führte ihn später nach Amsterdam, Norwich und München. Gastprofessuren hatte er in Göteborg und in Australien. 2016 kam er ans IHS, er war Präsident des Fiskalrates. Anfang 2021 wechselte er in die Bundesregierung. Kocher ist verheiratet.
Ganz anders Karriere und Leben der künftigen Staatssekretärin in Kochers Ressort. Susanne Kraus-Winkler (67) soll sich um den Tourismus kümmern, der in der Pandemie arg gebeutelt wurde. Die Anliegen der Branche kennt sie aus erster Hand. Sie wuchs im Marchfeld (NÖ) auf als Tochter einer Familie, die seit mehreren Generationen Gastronomie, Landwirtschaft und später auch Hotellerie betrieben hat. Selber startete sie im elterlichen Betrieb, war später Geschäftsführerin und gründete ein Beratungsunternehmen und die Loisium-Hotelgruppe. Seit vielen Jahren ist sie auf österreichischer und europäischer Ebene zudem als Branchenvertreterin tätig. (sabl, APA)
Neue Kombi ist alter Aufreger
In der schwarz-blauen Koalition von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel waren Wirtschaft und Arbeit in einem Ministerium angesiedelt, bei Martin Bartenstein (ÖVP). Jetzt führt Kanzler Karl Nehammer die Zuständigkeiten wieder zusammen, beim neuen „Superminister“ Martin Kocher. Und wieder setzt es scharfe Kritik von SPÖ, Gewerkschaft und Arbeiterkammer.
„Ein schwerer Fehler, der die Arbeitnehmerinteressen vernachlässigt“, meint der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried. Ähnlich sieht das Gewerkschafter Wolfgang Katzian: „Man muss kein Schwarzmaler sein, um die Zusammenlegung der Ressorts für Arbeit und Wirtschaft in ein Ministerium als sehr problematisch für die ArbeitnehmerInnen zu werten.“
Völlig entgegengesetzt bewerten die Vertreter von Wirtschaft und Industrie die Neuordnung der Zuständigkeiten. Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), sieht darin eine „sinnvolle Weichenstellung“. Die Wirtschaftskammer und ihr Generalsekretär Karlheinz Kopf vertrauen auf die „Fachkompetenz“ von Ressortchef Kocher.
Die Oppositionsparteien bekräftigten gestern ihre Einschätzung, dass die türkis-grüne Koalition nach den Rücktritten von Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck am Ende sei. Es sei „endgültig ,game over‘. Die Regierung Nehammer ist gescheitert“, sagte Leichtfried. Die SPÖ will daher bei der nächsten Sitzung des Nationalrats einen Neuwahlantrag einbringen.
Leichtfried macht die Regierung für den Absturz in „sämtlichen Rankings“ verantwortlich. Wo geschlossenes Handeln gefordert sei, gebe es einen Rücktritt nach dem anderen. „Der Kanzler wählt seine Minister nicht nach Kompetenz aus, sondern danach, keinen Ärger mit der ÖVP Tirol oder dem Bauernbund zu bekommen.“
FPÖ-Obmann Herbert Kickl ortet einen „ÖVP-Regierungsbasar“. Notwendig sei „ein Aufwachen des Bundespräsidenten“. Alexander Van der Bellen müsse „jetzt endlich seine staatspolitische Verantwortung leben und nicht wieder in den unreflektierten Angelobungstrott verfallen. Er muss diesem jämmerlichen ÖVP-Schauspiel ein Ende setzen“, forderte Kickl. Das Regierungsteam sei mittlerweile das „letzte Aufgebot“ Nehammers.
Kritik an Nehammers Postenbesetzungen übten auch die NEOS: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) habe nichts weitergebracht, vom Bildungsminister bleibe nichts in Erinnerung und in Sachen Energie habe es keine Weiterentwicklung gegeben, sagte Generalsekretär Douglas Hoyos. Ministerposten würden lediglich aufgrund der Herkunft vergeben: „Es kann doch nicht sein, dass ich Minister werde, nur weil ich Tiroler bin.“