Eine Milliarde für die Pflege: Regierung schnürt umfangreiches Maßnahmenpaket
Neben einer Gehaltserhöhung für die Beschäftigten soll es künftig während der Ausbildung im Pflegeberuf einen Zuschuss von 600 Euro im Monat geben. Neu- bzw. Wiedereinsteiger bekommen ein Pflegestipendium von mindestens 1400 Euro. Als Modellversuch wird eine Pflegelehre eingeführt.
Wien – Die Regierung hat pünktlich zum "Tag der Pflege" ein umfangreiches Maßnahmenpaket geschnürt, das insgesamt eine Milliarde Euro schwer ist. Größter Brocken ist eine Gehaltserhöhung für die Beschäftigten, die heuer und kommendes Jahr vermutlich als monatlicher Bonus ausbezahlt wird. Reserviert dafür sind 520 Millionen. Für den einzelnen Angestellten soll dies etwa jährlich einen zusätzlichen Monatsgehalt bringen, Rauch erwartet jedenfalls einen "spürbareren Nettoeffekt".
Alle jene Maßnahmen, die zu Mehrkosten führen, sind vorerst auf zwei Jahre befristet (bis zum Ende der Gesetzgebungsperiode) - begründet wurde das von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) bei der Vorstellung des Pakets am Donnerstag damit, dass rasch gehandelt werden sollte. "Das Motto war: 'Jetzt rasch' - weil mit Recht eingefordert wurde, rasch ins Tun zu kommen. Wir wollten nicht auf die Finanzausgleichsverhandlungen (mit den Bundesländern, Anm.) warten." Dass eine Weiterführung über die genannten zwei Jahre hinaus eine "enorme Herausforderung" wird, räumte der Minister ein – jetzt habe man einmal einen Schritt "für die nächsten beiden Jahre" gesetzt.
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Es sei "ein wichtiger Tag für die Pflege in Österreich", sagte der Minister. "Es wird mehr Gehalt geben für jede angestellte Pflegekraft." Darüber hinaus sollen alle Mitarbeiter pro Nachtdienst allen Einrichtungen zwei Stunden Zeitguthaben zustehen.
Während der Ausbildung im Pflegeberuf soll jeder jedenfalls einen Zuschuss von 600 Euro im Monat erhalten. Umsteiger bzw. Wiedereinsteiger bekommen (während einer vom AMS geförderten Ausbildung) ein höheres Pflegestipendium von 1400 Euro im Monat. Als Modellversuch wird eine Pflegelehre eingeführt, diese soll ab dem Schuljahr 2023/24 starten und nach sieben Jahren evaluiert werden, sagte ÖVP-Klubchef August Wöginger bei der gemeinsamen Präsentation mit Rauch und Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer.
Eine weitere Verbesserung für Beschäftigte ist, dass die sogenannte "Entlastungswoche" generell ab dem 43. Geburtstag gewährt wird. Dies soll unabhängig von der Zugehörigkeit zum Betrieb erfolgen.
Bonus für pflegende Angehörige und längere Pflegekarenz
Geschaffen wird weiters ein Angehörigen-Bonus von 1500 Euro jährlich für jene Familienmitglieder, die den größten Teil der Pflege zuhause leisten und selbst- oder weiterversichert sind. Der Rechtsanspruch auf Pflegekarenz für Angehörige von Pflegebedürftigen wird von einem auf drei Monate ausgeweitet, wobei allerdings eine entsprechende kollektivvertragliche Regelung oder Betriebsvereinbarung vorliegen muss. Die erhöhte Familienbeihilfe wird nicht mehr auf das Pflegegeld angerechnet.
Künftig soll es außerdem für pflegende Angehörige bereits nach drei Tagen Anspruch auf finanzielle Unterstützung für Ersatzpflege geben (statt wie bisher erst nach sieben Tagen) – wenn die Betroffenen aufgrund von Krankheit, Kur, Urlaub oder sonstigen Gründen vorübergehend an der Pflege verhindert sind.
Erweitert werden die Kompetenzen von Pflege- und Pflegefachassistenz: Sie dürfen künftig beispielsweise Infusionen anschließen und Spritzen geben. Aufgehoben wird außerdem das geplante Auslaufen der Tätigkeit von Pflegeassistenten und -assistentinnen in Krankenanstalten ab Anfang 2025.
Erleichterung für Pflegekräfte aus dem Ausland
Eine Erleichterung soll es für Pflegekräfte aus dem Ausland geben: Ausgebildete Fachkräfte werden die Arbeitserlaubnis (Rot-Weiß-Rot-Card) künftig einfacher erhalten. So fällt künftig etwa die Sprachüberprüfung weg, diese obliegt stattdessen dem Dienstgeber, sagte Wöginger. Gelten soll dies vorerst bis Ende 2023, danach wird evaluiert. Außerdem wird die Bundesregierung die Anerkennung von ausländischen Ausbildungen erleichtern.
Beim Pflegegeld kommt für Menschen mit schweren psychischen Behinderungen und Demenz eine Erhöhung: Ihnen werden 20 Stunden zusätzlich pro Monat für Pflege und Betreuung zur Verfügung stehen. Profitieren sollen davon rund 8.500 Betroffene.
Rauch erklärte bei der Präsentation, er wolle damit sicher stellen, dass der "wunderbare Beruf" der Pflege unter guten Voraussetzungen stattfinden könne. Es handle sich um eine "massive Attraktivierung des Pflegeberufs". Sein Ziel sei es gewesen, etwas vorlegen zu können, "mit dem ich mich guten Gewissens vor die in der Pflege tätigen Menschen hinstellen kann" – dies sei gelungen.
Auch Wöginger sah "eindeutig einen großen Wurf". Maurer sprach von der "größten Reform seit Jahrzehnten" im Pflegebereich, diese werde das Land "nachhaltig prägen".
Das Paket wird schrittweise umgesetzt - die ersten Maßnahmen sollen noch vor dem Sommer im Nationalrat beschlossen werden, sagte Maurer. Auch für die 24-Stunden-Betreuung sind finanzielle Verbesserungen vorgesehen, die aber noch von den Sozialpartnern final ausgearbeitet werden müssen. (APA)
Reaktionen von Opposition, Gewerkschaften, Sozialwirtschaft
Weitgehend positiv fiel das Echo auf das angekündigte Maßnahmenpaket zur Pflege aus. Gewerkschaften, Sozialwirtschaft, Volkshilfe, Senioren- und Gemeindebund äußerten sich lobend, die SPÖ teilweise, NEOS waren unzufrieden. Alle mahnten, dass dies nur ein erster Schritt sein könne. Die "große Reform" zur langfristigen Sicherstellung der Finanzierung in allen Bereichen müsse unter Einbindung aller Betroffenen rasch angegangen werden.
Vertreter von ÖGB, GPA, vida und younion zeigten sich am "Tag der Pflege" - unter Hinweis auf die heutigen Demonstrationen - überzeugt, dass das Paket ein Erfolg jahrelangen gewerkschaftlichen Drucks ist. "Diese Reform zeigt: Gewerkschaftliches Engagement zahlt sich aus", meinte Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA. "Unser langjähriger Druck hat Wirkung gezeigt. Heute wurde in der Tat eines der größten Reformpakete der vergangenen Jahrzehnte auf den Weg gebracht", anerkannte Edgar Martin von der younion prinzipiell. Inhaltlich bewerteten die Gewerkschafter die Reform großteils positiv, viele ihrer Forderungen (Lohnzuschüsse, mehr Urlaub) seien aufgegriffen worden. Jetzt komme es auf die Umsetzung an - und da will Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB "genau hinschauen, damit alles tatsächlich im Sinne der Betroffenen umgesetzt wird".
"Die vorgestellten Maßnahmen sind zweifellos geeignet, einen Beitrag zur Entspannung zu leisten, auch wenn versäumte Weichenstellungen nicht von heute auf morgen kompensiert werden können", konstatierte Walter Marschitz, Geschäftsführer der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ). Endlich würden einige der dringlichsten Probleme angegangen, freute sich SWÖ-Chef Erich Fenninger - und mahnte ein Gesamtkonzept für nachhaltige Finanzierung und Steuerung im System mit Versorgungs- und Qualitätszielen ein. Als "Meilenstein auf dem Weg zu einer Bewältigung der enormen Herausforderungen im Pflegebereich" begrüßte die Volkshilfe, dass viele langjährige Forderungen von Sozialorganisationen aufgegriffen worden seien.
Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec sieht den "Start einer umfassenden Pflegeform, die auch eine nachhaltige Finanzierung und den Ausbau der mobilen Dienste mit einschließen wird'". Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl würdigte ebenfalls den "ersten wichtigen Schritt für die Stärkung des Pflegesystems" und erwartete einen "weiteren großen Reformwurf" zur langfristigen Sicherung der Zukunftsfinanzierung.
Nicht wirklich zufrieden war die Opposition. Wobei von SPÖ-Politikern unterschiedliche Reaktionen kamen: Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker freute sich - unter Hinweis auf ein erwartetes "nächstes Verbesserungspaket" -, dass "erste spürbare Schritte zu einer Pflegereform gesetzt werden". Und er lobte, dass man "nach Jahren der Stagnation endlich wieder moderne sozialpolitische Töne aus dem Sozialministerium" höre. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch anerkannte die Bemühungen von Minister Johannes Rauch (Grüne), aber kritisierte: Es gebe wieder nur "Ankündigungen, die erneut mehr Fragen aufwerfen, als die drängenden Probleme in der Pflege zu lösen".
Auch NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler konnte den großen Jubel über die angekündigte Reform nicht ganz nachvollziehen. "Strukturelle Probleme lassen sich nicht nur mit Geld zuschütten", verwies sie darauf, dass die Zersplitterung der Pflegefinanzierung genauso bestehen bleibe wie die mangelnde Anerkennung von Pflegeleistungen.