Franz Fischler über Karl Nehammer: „Weitertun wie bisher geht nicht“
Karl Nehammer wird heute zum ÖVP-Chef gewählt. Franz Fischler bewertet ihn und die Lage der Partei.
Von Karin Leitner
Wien – Heute stellt sich Karl Nehammer in Graz den Delegierten zur Wahl als ÖVP-Chef. Er folgt Sebastian Kurz nach. In einer misslichen Situation ist die Kanzlerpartei: Korruptionsvorwürfe sonder Zahl, schlechte Umfragewerte, auch die von Nehammer geführte türkis-grüne Regierung ist nicht gut beleumundet. Dazu Abgänge aus der ÖVP-Regierungsriege kurz vor dem Parteitag; die Ministerinnen Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck haben vergangenen Montag wissen lassen, dass es vorbei sei mit ihrem Polit-Wirken.
Wie sieht Franz Fischler, Ex-Landwirtschaftsminister und -EU-Kommissar, die Lage seiner Partei? Wie die Nachbesetzungen in Nehammers Team? Der Zeitpunkt des Abgangs von Köstinger und Schramböck habe überrascht, auch Nehammer. Dass die beiden gehen würden, habe sich aber abgezeichnet, befindet er im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung. Neo-Agrarminister Norbert Totschnig qualifiziert Fischler als „ausgewiesenen Experten“ in dem Bereich. Zum Vorhalt, dass erneut nach Bünde- und Länder-„Logik“ besetzt werde, sagt Fischler: „Auch Köstinger kommt aus dem Bauernbund. Man findet außerhalb davon nicht viele Fachleute.“ Totschnig sei „nicht der Lauteste. Laute haben wir aber zur Genüge gehabt.“ Ist es gut, dass ÖVP-Landeshauptleute bei Bundesregierungspersonalien wieder mitreden? „Die Art und Weise, wie man in der Kurz-Zeit mit den Ländern umgegangen ist, sie ignoriert hat, war nicht akzeptabel. Ginge Nehammer aber zurück in die Urzeiten, in denen Landeshauptleute die Letztentscheidung hatten, wäre das schlecht. Entscheiden muss er können. Wenn Nehammer diese Kompetenz nicht hat, hat die ÖVP keine Chance, weiterhin Regierungsverantwortung zu tragen.“ Wofür steht Nehammer aus Fischlers Sicht? „Er ist stärker konsensorientiert, nicht so sehr auf Konfrontation aus, wie das Kurz gewesen ist.“
Und er habe gesagt, dass er „das christlich-soziale Element in der ÖVP“ stärken wolle: „Er wird beantworten müssen, was das heißt. Das ist nämlich eine Floskel der ÖVP seit 70 Jahren. Er muss sagen, was das für die heutige Zeit bedeutet: Welche Rolle spielt der Klimawandel? Wie will er gegen Ungleichheiten in der Bevölkerung vorgehen? Was bedeutet das für die Außen- und Sicherheitspolitik, die reformbedürftig ist?“ Und: Die ÖVP müsse sich „breiter aufstellen. Das Christlich-Soziale allein ist zu wenig“, befindet Fischler: „Neue Antworten sind gefragt. Weitertun wie bisher geht nicht.“
Nicht nur thematisch. Dass die ÖVP kein Korruptionsproblem habe, wie Nehammer sagt, stimme nicht: „Da sprechen die Fakten dagegen.“ Wobei es ein solches generell in Österreich gebe: „Hierzulande ist damit leider immer locker umgegangen worden.“ Was seine Partei anlangt, befindet Fischler: „Sie muss in die Offensive gehen. Es ist nicht klug, wenn die ÖVP nur auf Defensive setzt, nur zugibt, was sie zugeben muss. Das setzt volle Transparenz bei den Parteien und parteinahen Organisationen voraus.“ Ebenso wichtig sei, die Medienförderung zu ändern: „Es darf nicht mehr sein, dass, wie unter Sebastian Kurz, nur gefolgsame Medien unterstützt werden. Das trägt zur geistigen Korrumpierung bei. Das gehört abgestellt.“
Kann Fischler nachvollziehen, dass Kurz’ Vorgänger Reinhold Mitterlehner ob der Vorgänge um seine Ablöse nicht zum heutigen Parteitag kommt? „Das ist seine Entscheidung.“