Österreich

ÖVP-Bundesparteitag: „Umso größer der Druck, umso härter werden wir“

Bundeskanzler Karl Nehammer und seine Frau Katharina Nehammer nach Verkündung des Wahlergebnisses.
© APA/Hochmuth

Die ÖVP kürt Karl Nehammer mit 100 Prozent zum Parteichef. Sebastian Kurz verabschiedet sich ohne Ratschläge an seinen Nachfolger.

Von Wolfgang Sablatnig

Graz – Die Appelle der Granden von Hermann Schützenhöfer bis Wolfgang Schüssel und Günther Platter haben gewirkt: Bundeskanzler Karl Nehammer erreichte gestern bei einer ersten Wahl zum Bundesparteiobmann der ÖVP in Graz 100 Prozent Zustimmung der Delegierten. Das hatte nicht einmal Vorgänger Sebastian Kurz geschafft. „Das ist die beste Basis für den Erhalt des Bundeskanzlers“, freute sich Platter.

Nehammer hatte zuvor Kurz an den Beginn seiner einstündigen Rede gestellt: „Danke für unsere Freundschaft.“ Und: „Der Gegenwind ist manchmal rau. Aber es wäre nicht die Volkspartei, wenn nicht aus Gegenwind wieder Rückenwind werden kann.“

📽️​ Video | Nehammer mit 100 Prozent zum Parteichef gewählt

Der Parteitag – eigentlich ein Nachmittag – war geprägt von trotziger Aufbruchsstimmung. 1000 Delegierte und Gäste, dicht gedrängt. Corona? Nehammer war sichtlich überrumpelt von der Stimmung: „So viele in einem so kleinen Raum heißt auch so viele Viren. Aber jetzt kümmert es uns nicht mehr. Schön, dass ihr da seid!“

Vom Gegenwind wolle er sich nicht beirren lassen, sagte er dann. „Umso größer der Druck gegen uns wird, umso härter werden wir in der Durchsetzung der Politik für die Menschen“, sagte Nehammer. Die Korruptionsvorwürfe gegen seine Partei kontert er seit Amtsantritt mit den Hinweisen auf die Zehntausenden Mitglieder, auf die Funktionäre und Bürgermeister. Während sich die Grazer Helmut-List-Halle mit den 1000 Delegierten und Gästen füllte, ließ die Parteitagsregie die Namen der österreichischen Gemeinden über die Videowalls im Saal wandern. Das Eröffnungsvideo zeigte, welch bunte Vielfalt die ÖVP darstellen will. Ganz zentral ein Satz: „Wir sind Kanzler.“

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Nehammer und die ÖVP wollen daran auch nicht rütteln lassen, aller Kritik der anderen Parteien zum Trotz. Alle gegen uns: Dieses Bild war auch unter Kurz gern gebraucht. Wie sagt es Nehammer? „2019 wurde tatsächlich eine Wahl gewonnen. Das war kein Fehler der Geschichte, auch wenn Sozialdemokraten und NEOS das gerne so sehen. Es gibt ganz viele Angriffe unter der Gürtellinie. Und wisst ihr, warum das so ist? Weil sie es auf Augenhöhe nicht schaffen.“

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Nehammer präsentierte sich und die ÖVP als Diener des Staates. Viel Platz gab er dem christlich-sozialen Wertefundament mit den tragenden Säulen Personalität, Solidarität und Subsidiarität. Liberal sei man aber auch. „Freiheit ist unsere DNA“, sagte er. „Das ist der große Unterschied zwischen uns und den Linken. Sie denken im Kollektiv. Die denken, sie wissen alles besser.“ An anderer Stelle zitierte er die Legende vom heiligen Martin, der einem Armen half: „Er hat seinen Mantel geteilt und nicht den eines anderen. Das ist Sozialismus.“

„Wir sind militärisch neutral"

Dann sprach Nehammer von den zwei großen Krisen, die man derzeit erlebe, nämlich die Corona-Pandemie und den Angriffskrieg Russlands.

Kritik an der österreichischen Position im Ukraine-Krieg wies er zurück. „Wir sind militärisch neutral. Aber wir haben eine Meinung.“ Häme wegen seiner Reisen in die Ukraine und nach Moskau verstehe er nicht: „Besser man tut etwas, als man tut nichts und schaut nur zu.“

Stimmenanteile bei der Wahl zum Parteichef jeweils beim ersten Antreten.
© APA

Zum Ausstieg aus der Abhängigkeit aus fossilen Energien versprach der ÖVP-Chef einen milliardenschweren Transformationsfonds – Details blieb die ÖVP gestern noch schuldig. Er verteidigte außerdem die Maßnahmen der türkis-grünen Koalition gegen die Teuerung. Viel sei gemacht worden. Nun müsse man aber dafür sorgen, dass die Menschen sich dessen auch bewusst sind.

Und die Affären, die zum Rücktritt von Kurz geführt haben und die dafür verantwortlich sind, dass die ÖVP in den aktuellen Umfragen stabil nur auf dem zweiten Platz liegt? Schon die Einpeitscher machten klar, wie die ÖVP dazu steht. „Wir leben in einer Zeit, in der Politik zum Freiwild geworden ist. Dagegen müssen wir uns stärker wehren“: Applaus für Hermann Schützenhöfer. „Wir lassen uns von falschen Gerüchten oder anonymen Anzeigen nicht in unserer Arbeit behindern“: Applaus für Generalsekretärin Laura Sachslehner. „Wer kämpft für den Rechtsstaat“: Großer Applaus für Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel.

Und Nehammer: Transparenz gehöre zur DNA der ÖVP. Er verwies auf das Parteiengesetz, für das es bereits einen Entwurf von ÖVP und Grünen gibt. Er verwies auf Pläne für ein Medientransparenzgesetz: „Da brauche ich keine Belehrungen. Da brauche ich keine Hinweise aus der linken Reichshälfte.

Bei der Abschaffung des Amtsgeheimnisses aber zögerte er und zeigte Verständnis für die Widerstände von Ländern und Gemeinden: „Wir sperren uns nicht gegen das Informationsfreiheitsgesetz. Nehammers Vorgänger Sebastian Kurz kam in einer einleitenden Talk-Runde zu Wort. „Was hat dich geprägt?“, wollte der Moderator wissen. Stille im Saal. Wer Ansagen erwartet hätte, wurde aber enttäuscht. Kurz sprach zu Schüssel – wegen ihm habe er sich bei der ÖVP engagiert: „Ich wollte nicht gegen etwas sein, sondern für etwas.“ Und er erzählte vom Leben als Jungvater. Seit April begleiten ihn auf seinen Auslandsreisen auch Freundin Susanne und Baby Konstantin. Ratschläge an Nehammer? Ein Kommentar zur aktuellen Politik? Fehlanzeige.

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