Krieg in Ukraine

Schweden will NATO-Mitgliedschaft beantragen, Erdogan lehnt ab

Ministerpräsidentin Magdalena Andersson erklärte, der Antrag soll bereits in den kommenden Tagen gemeinsam mit Finnland eingereicht werden.
© HENRIK MONTGOMERY

Historische Entscheidung in Schweden: Unter dem Eindruck von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine will das Land sich um die NATO-Mitgliedschaft bewerben. Erdogan bekräftigte seine Ablehnung gegen einen Beitritt. Russland droht mit Konsequenzen.

Stockholm – Schweden will NATO-Mitglied werden. Das Land werde einen Antrag zur Aufnahme in das Verteidigungsbündnis stellen, sagte die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson am Montag in Stockholm. "Wir verlassen eine Ära und treten in eine neue ein", so Andersson. Zuvor hatte sich im Parlament eine Mehrheit für die NATO-Mitgliedschaft ausgesprochen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bekräftigte indes seine Ablehnung der Beitritten Schwedens und Finnlands.

"Eine schwedische NATO-Mitgliedschaft erhöht die Schwelle für militärische Konflikte in Schweden und in unserer nahen Umgebung", begründete Andersson die historische Entscheidung, die ihrer Regierung nicht leicht gefallen ist. Die regierenden Sozialdemokraten standen in der Vergangenheit wie keine andere Partei für die schwedische Bündnisfreiheit und den kritischen Blick auf einen NATO-Beitritt. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die Regierung innerhalb von wenigen Monaten die totale Kehrtwende vollzogen und nun angekündigt, den Antrag auf Mitgliedschaft in dem Verteidigungsbündnis in den kommenden Tagen einzureichen.

"Es gibt viel in Schweden, das es wert ist, verteidigt zu werden, und unserer Einschätzung nach geschieht das am besten in der NATO", sagte Andersson bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Chef der bürgerlichen Oppositionspartei Moderaterna, Ulf Kristersson. "Wir leben gerade in einer gefährlichen Zeit", erklärte Kristersson, der von einem "historischen Tag" sprach. Seine Partei plädiert schon seit Jahren für einen NATO-Beitritt Schwedens.

Auch Finnland will NATO beitreten

Ebenfalls am Sonntag hatte die Regierung des schwedischen Nachbarn Finnland mitgeteilt, dass sie einen NATO-Beitrittsantrag stellen will. Eine Mehrheit dafür im finnischen Parlament gilt als sicher. Seit Montagfrüh lief im Parlament in Helsinki eine Debatte über den Mitgliedsantrag zum Militärbündnis. Dort war am Nachmittag noch kein Ende abzusehen. Eine Mehrheit im Parlament für den Antrag gilt jedoch als sicher. Ministerpräsidentin Sanna Marin sparch in der Debatte von einem "grundlegend veränderten Sicherheitsumfeld" für Finnland. "Das einzige Land, das die europäische Sicherheit bedroht und jetzt offen einen Angriffskrieg führt, ist Russland", sagte die Sozialdemokratin.

In Schweden ist die NATO-Mitgliedschaft innenpolitisch umstrittener als im an Russland grenzenden östlichen Nachbarland. Dieses war im Zweiten Weltkrieg zwei Mal in Kampfhandlungen mit der Sowjetunion involviert, während sich Schweden als neutrales Land aus dem Krieg heraushalten konnte. Grüne und Linkspartei kritisierten die Entscheidung. Die Linkspartei forderte eine Volksabstimmung.

Andersson begründete den Schritt mit der Entscheidung Finnlands. "Stünde Schweden allein außerhalb der NATO, wären wir in einer sehr verletzlichen Position", sagte die Regierungschefin mit Blick auf Russland. Sie rief ihre Landsleute auf, in der Übergangsphase bis zum Beitritt einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von Drohungen aus Moskau einschüchtern zu lassen. "Es besteht die Möglichkeit, dass wir bei Bedarf militärische Unterstützung bekommen." Andersson sagte, dass es bis zu einem Jahr dauern könnte, ehe Schweden formell NATO-Mitglied wird.

Schweden will seinen Antrag in Abstimmung mit Finnland beim NATO-Hauptquartier in Brüssel einbringen, kündigte Andersson an. Dann müssen die bestehenden 30 NATO-Mitglieder der Erweiterung zustimmen. Man habe Signale von verschiedenen Ländern bekommen, dass sie sich so schnell wie möglich entscheiden wollten, sagte der schwedische Verteidigungsminister Peter Hultqvist im schwedischen Fernsehen. Mit der Türkei, die sich kritisch zu einem Beitritt Schwedens und Finnlands geäußert hatte, wolle man eine Lösung finden. Wie das schwedische Außenministerium mitteilte, soll bald eine Delegation von schwedischen und finnischen Diplomaten nach Ankara reisen, um die Vorbehalte der Türkei auszuräumen.

Erdogan lehnt Antrag ab

Der türkische Präsident Erdogan reagierte ablehnend auf die Ankündigung. Ankara werde die geplanten NATO-Beitritte nicht billigen, sagte er am Montag. Delegationen aus beiden Ländern sollten sich nicht die Mühe machen, in die Türkei zu reisen, um die türkische Regierung von ihren Beitrittsgesuchen zu überzeugen. Zuvor hatte das Justizministerium in Ankara mitgeteilt, dass sich Stockholm und Helsinki in den vergangenen fünf Jahren gegenüber 33 Auslieferungsgesuchen betreffend "Terroristen" verweigert hätten. Erdogan hatte Schweden und Finnland am Freitag vorgeworfen, sich "wie ein Gästehaus für Terrororganisationen" zu verhalten. Nach Angaben der Agentur Anadolu handelt es sich bei den Betroffenen um kurdische Extremisten oder Angehörige der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen.

Mit Drohgebärden reagierte Russland auf die Entscheidung der beiden skandinavischen Länder. Es handle sich um einen "schwerwiegenden Fehler mit weitreichenden Folgen", teilte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow mit. Die militärischen Spannungen würden dadurch zunehmen, warnte Rjabkow der Agentur Interfax zufolge. An die Adresse der beiden skandinavischen Länder fügte er hinzu: "Sie sollten keinerlei Illusionen haben, dass wir uns damit einfach abfinden."

Putin kündigt Reaktion an

Kreml-Chef Wladimir Putin warnte die NATO vor einer Aufrüstung der beiden Neumitglieder. Russland habe zwar kein Problem mit den beiden Ländern, auch was deren absehbare NATO-Mitgliedschaft angehe, sagte Putin. "Aber die Erweiterung der militärischen Infrastruktur in dieses Gebiet würde sicherlich eine Antwort unsererseits provozieren", sagte Putin vor den Staatschefs der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), der auch Belarus, Armenien, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan angehören. "Hier werden Probleme geschaffen ohne irgendwelche Begründungen, wir sollten entsprechend reagieren", sagte Putin.

Indes sagte die finnische Botschafterin in Berlin, Anne Sipiläinen, die bisherige Reaktion Russlands auf die NATO-Pläne ihres Landes sei milde gewesen. Finnland sei "seit Jahren und Jahrzehnten" sehr gut vorbereitet auf alle möglichen Bedrohungen, sagte die Diplomatin dem Fernsehsender "Welt". "Und das ist eigentlich jetzt überraschend ruhig gewesen. Und die Reaktionen waren eigentlich milde bis jetzt." Die Mitgliedschaft Finnlands in der NATO werde das Land wie auch umgekehrt die Allianz stärken. "Wir werden einen stärkeren, stabileren Norden bekommen."

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sagte am Rande eines EU-Treffens in Brüssel, Österreich habe "eine ganz andere geografische Situation" als die beiden nordischen Länder. "Wir haben auch eine ganz andere Geschichte und ich glaube, das muss man einfach ins Kalkül ziehen", sagte er auf die Frage nach einem NATO-Beitritt Österreichs. Der frühere Verteidigungsminister Werner Fasslabend (ÖVP) plädierte in der "ZiB1" des ORF dafür, die Diskussion "nicht für oder gegen" einen NATO-Beitritt zu führen. Vielmehr sollten "die Sicherheitsinteressen Österreichs im Vordergrund stehen".

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