China

„Sehr viele Hinweise“ auf Völkermord gegen Uiguren

Uiguren im Exil – vor allem im Westen, wie hier in München – gehen auf die Straße und weisen auf die Gräueltaten gegen ihr Volk in China hin.
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Der Innsbrucker Völkerrechtler Andreas Müller ordnet ein, was Chinas Politik gegenüber seiner muslimischen Minderheit der Uiguren bedeutet.

Von Serdar Sahin

Wien – Masseninternierungen, Umerziehungslager, Folter, erzwungene Sterilisierung und Zwangsarbeit: Enthüllungen offenbaren regelmäßig die brutale Unterdrückung der muslimischen und turksprachigen Minderheit der Uiguren in der nordwestchinesischen Region Xinjiang durch die chinesische Regierung. Die kommunistische Führung in Peking weist die Vorwürfe zurück und argumentiert ihr Vorgehen mit Anti-Terrorkampf. Immer mehr westliche Politiker sprechen mittlerweile von Völkermord – auch geläufig unter der Bezeichnung „Genozid“.

Sehen das Juristen auch so? Die TT hat Andreas Müller, Völkerrechts-Professor an der Uni Innsbruck, um Einordnung der Causa gebeten. Die rechtliche Basis dafür ist die Völkermordkonvention aus dem Jahr 1948. Völkermord umfasst demnach Handlungen gegen Mitglieder einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe, die in der Absicht begangen werden, die Gruppe ganz oder zum Teil auszulöschen. Den Vorwurf des Völkermords sieht Müller teils klar erfüllt, gleichzeitig ist er andernorts sehr zurückhaltend – für seine Erklärung unterteilt der Fachmann die Definition in zwei Punkte.

Bei den Uiguren handle es sich um eine religiöse und auch ethnische Gruppe – dadurch „hebt sie sich von der Mehrheitsbevölkerung ab“. Diesen Punkt könne man „relativ gut argumentieren“, konstatiert der Jurist. Im zweiten Teil geht es um die „Absicht, eine derartige Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören“. Hier gehe es nicht nur darum, etwas zu wollen, sondern es müsse das „primäre Ziel des jeweiligen Vorgehens sein“, sagt Müller. Das sei eine gesteigerte Form von Vorsatz. „Die Motivation hinter dem Völkermord und was ihn negativ herausheben soll gegenüber anderen Morden ist, dass die Menschheit ihrer Vielfalt beraubt wird. Jemand legt es gerade darauf an, eine Spielart des Menschseins auszulöschen.“ Das nachzuweisen sei die größte Hürde, nötig seinen gute Belege, so Müller. Man müsse den Tätern, die man anklagt, diese spezifische Absicht, eine bestimmte Gruppe ganz oder teilweise zu eliminieren, nachweisen. Der Holocaust, die Massaker in Srebrenica und in Ruanda seien breit anerkannte Beispiele für Genozid, erklärt der Völkerrechtler.

Die chinesische Führung habe gegenüber den Uiguren eine Politik entwickelt, die auch „systematische Menschenrechtsverletzungen einschließt“. Müller wirft ein, dass Menschenrechtsverletzungen leichter zu beweisen seien. Der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit sei erfüllt. „Hier ‚reicht‘ ein ausgedehnter systematischer Angriff auf die Zivilbevölkerung.“

Und ist es auch Genozid? All die Vorwürfe gegen die chinesische Führung – etwa „staatliche Geburtenkontrolle, Internierungen in großem Maßstab, Entzug von Kindern, um sie zu indoktrinieren, Umerziehungslager für Erwachsene – sind schon typische Handlungen für einen Völkermord“, befindet Müller. Es gebe „sehr viele Hinweise, valide Anhaltspunkte“ in diese Richtung. „Den Völkermord-Vorwurf in Bezug auf die Uiguren halte ich für plausibler als viele andere aktuelle Genozid-Vorwürfe gegenüber anderen Gruppen.“