Vision Zero: Möglichst alle Krebstodesfälle vermeiden
Neue deutsche Initiative soll auch nach Österreich geholt werden: Es geht um eine Kombination aus Vorbeugung, Früherkennung, gleichem Zugang zu Therapien, optimaler Betreuung sowie klinischer Forschung.
Wien/Berlin – In Zukunft soll möglichst kein Mensch mehr an Krebs sterben. Ein von deutschen Experten und Organisationen erstelltes "Vision Zero Konzept" setzt auf die effektive Kombination aller verfügbaren Ressourcen, um dieses Ziel zu erreichen. Anfang der Woche (20./21. Juni) findet dazu in Berlin ein internationaler Kongress statt. Die Initiative soll auch auf Österreich und die Schweiz ausstrahlen.
"Krebs ist eine Pandemie – die nicht enden will. Wie können wir unser Gesundheitssystem nachhaltiger und resilienter gestalten, um auf diese permanente Herausforderung besser vorbereitet zu sein?", haben die Organisatoren des "Vision Zero Summits" unter Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie als Generalthema formuliert.
Die Vision-Zero-Initiative selbst als gemeinnütziger Verein hat so wichtige Kooperationspartner wie das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ/Heidelberg), die Deutsche Krebsgesellschaft, die Berliner und die Kölner Universitätskliniken sowie weitere Institutionen, Kliniken und Fachgesellschaften. Der Wiener Onkologe Christoph Zielinski, der als österreichischer Vertreter eingeladen worden ist: "Erstmals sollen alle Werkzeuge, die zur Reduktion der Krebsmortalität vorhanden sind und auch noch entwickelt werden, in einem Projekt kombiniert werden."
Maßnahmen zur Verhütung von Krebserkrankungen
Der Experte, viele Jahre lang Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie von MedUni Wien/AKH, weiterhin in wichtigen Funktionen in der Europäischen Gesellschaft Medizinische Onkologie (ESMO) tätig und Präsident der CECOG (Zentraleuropäische Kooperationsgruppe für Onkologie) sieht wie seine Vision-Zero-Mitstreiter vor allem im Bündeln aller Kräfte eine Chance, das Ziel zu erreichen: "Wir brauchen Maßnahmen zum Verhüten von Krebserkrankungen. Da geht es zum Beispiel um das Rauchen, die Ernährung, den Alkoholkonsum. Wir müssen alle Möglichkeiten zur Früherkennung und zum Screening auf Krebsleiden nutzen. Alle Betroffenen müssen gleichen Zugang zu den modernsten Therapiemöglichkeiten haben und als Patienten optimal versorgt werden. Und schließlich müssen wir auch die klinische Forschung vorantreiben, um zu neuen Therapien zu kommen."
Das Problem ist riesig. In Österreich sind rund 22 Prozent aller Sterbefälle auf bösartige Erkrankungen zurückzuführen. Im Jahr 2019 sind in Österreich 41.775 Krebsneuerkrankungen festgestellt worden. Bei rund 20.300 Personen führte 2019 eine Krebserkrankung zum Tod. Das relative Fünf-Jahres-Überleben liegt in Österreich derzeit bei 61 Prozent. 2020 lebten in Österreich bereits fast 376.000 Menschen mit der Diagnose Krebs. In der EU starben im Jahr 2021 allein durch die zehn häufigsten Krebserkrankungen rund 1,27 Millionen Menschen.
Gesamtkonzept zur Reduktion von Krebssterblichkeit
Zielinski: "Es gibt ja nicht nur Covid-19. Wir brauchen jedenfalls ein Gesamtkonzept zur Reduktion der Krebssterblichkeit. In Österreich ist hier jahrelang nichts geschehen. Hier war fast ausschließlich die Österreichische Krebshilfe aktiv – und die ist ein privater Verein. Deshalb soll das Vision-Zero-Konzept auch von Deutschland nach Österreich und in die Schweiz kommen."
Wie schnell das Ziel erreicht werden kann, wird davon abhängen, wie konsequent präzisere, individuell zugeschnittene und innovative Prävention, Diagnostik und Therapiekonzepte umgesetzt werden können, sind sich die Initiatoren einig. "Allein durch konsequente Nutzung aller Möglichkeiten der Primär- und Sekundärprävention ließen sich bis zu 75 Prozent aller krebsbedingten Todesfälle vermeiden", sagte beispielsweise Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums.
"Wenn wir den Krebs besiegen wollen, dann müssen wir den Mut haben, jeden Stein herumzudrehen! Wie schnell wir beim Kampf gegen den Krebs vorankommen, hängt im hohen Maße davon ab, dass wir Patientendaten frühzeitig erheben und zwischen den behandelnden Ärzten und Wissenschaftern austauschen. Damit können wir zum einen die Behandlungsqualität der Betroffenen deutlich verbessern, und zum anderen durch die wissenschaftliche Analyse und Auswertung der Daten wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die zur Verbesserung der Therapieergebnisse führen", stellte Christoph Kalle, der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Initiative, fest.
Digitalisierung als Motor für Fortschritt
Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Berliner Universitätsklinik Charité, sieht in der modernen Datenverarbeitung einen Schlüssel zum Erfolg: "Die Digitalisierung ist der Motor für Fortschritt. Ich habe den Eindruck, dass es jetzt den politischen Willen dazu gibt, und auch die Gesellschaft ist für die Digitalisierung des Gesundheitswesens bereit."
Daneben gibt es auch Forderungen nach einem konsequenten Handeln der politisch Verantwortlichen in Sachen Prävention. "Wir brauchen ein konsequentes Verbot von Tabakwerbung in Verbindung mit einer signifikanten Erhöhung der Tabaksteuer zugunsten von gezielten Präventionsprogrammen speziell für Jugendliche", stellte der Arbeitskreis Vision Zero für den Lungenkrebs fest. Auch die modernsten Mittel in der Präzisionsdiagnostik in der Immuntherapie und bei den Krebsimpfungen werden in Berlin diskutiert. "Geht nicht – gibt's nicht: das Undenkbare möglich machen, um dem Krebs die rote Karte zu zeigen!", heißt im Programm zu dem Vortrag über die neuen mRNA-Krebsimpfstoffe von BioNTech-Wissenschafterin Özlem Türeci.
Doch es gibt auch noch ein zusätzliches riesiges Problem: die Abhängigkeit der Qualität in Prävention, Früherkennung, Diagnose und Therapie von den in einem Staat dafür eingesetzten finanziellen Mittel. Zielinski: "Da geht es auch um den gleichen Zugang zu effektiven Therapien. Es gibt eine ganz klare Korrelation zwischen dem eingesetzten Geld und den Überlebensraten der Patientinnen und Patienten. Hier liegt die Schweiz vor Österreich und Deutschland im Vorderfeld. Aber schon 40 Kilometer von Wien entfernt beginnt die Katastrophe." Der Wiener Onkologie wird zu der Veranstaltung in Berlin einen Beitrag zur Zusammenarbeit in Europa in der Bekämpfung von Krebs beisteuern. (APA)