Pressestimmen zum Getreidedeal und zum russischen Angriff auf Odessa
Internationale Tageszeitungen kommentieren den ukrainisch-russischen Deal zur Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine und den am Tag nach der Vereinbarung erfolgten Angriff Russlands auf den Hafen von Odessa am Montag wie folgt:
📰 „El Mundo" (Madrid):
„Die Bombardierung des Hafens von Odessa weist Wladimir Putin wieder einmal als einen Staatsmann aus, dessen Wort nichts wert ist. Der russische Präsident hat nur einen Tag gebraucht, um die mit der Ukraine unter Vermittlung der Türkei geschlossene Vereinbarung zu brechen, die die Ausfuhr von Getreide vorsieht. Die Zerstörung in Odessa vertieft den Pessimismus hinsichtlich eines irgendwann möglicherweise ausgehandelten Waffenstillstands und, was noch schlimmer ist, erhöht das Risiko einer großen Hungersnot für Millionen Menschen in Afrika und Asien, den Hauptempfängern ukrainischen Getreides. Das erinnert an ähnliche und ebenso grausame Taten wie etwa der Bombardierung humanitärer Korridore für die Zivilbevölkerung.
Es ist offensichtlich, dass die Strategie Russlands darauf abzielt, die Staatenwelt zu spalten. In Europa durch die Androhung einer Energiekrise im kommenden Winter. Und in den ärmeren Ländern, indem es den Export von Lebensmitteln verhindert. Der Westen aber muss dieser Zermürbungsstrategie des Kreml standhalten und die Ukraine weiter uneingeschränkt unterstützen."
📰 „de Volkskrant" (Amsterdam):
„Wenn es jemand gibt, der nach der Unterzeichnung des russisch-ukrainischen Getreideabkommens in Istanbul ein gutes Wochenende hatte, dann ist es ganz sicher Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Präsident konnte in seiner Lieblingsrolle glänzen: der Rolle des Staatsmannes, der auf der Weltbühne ein Wörtchen mitzureden hat. Und was immer man sonst über den Mann sagen kann, in diesem Fall muss man ihm genau das zugute halten.
Die Wiederaufnahme der ukrainischen und russischen Exporte über das Schwarze Meer ist ein diplomatischer Durchbruch in einem Krieg, in dem Gespräche bisher zu nichts führten. Darüber hinaus bedeutet sie eine dringend benötigte Linderung der humanitären Not, insbesondere in Afrika. Wobei abzuwarten bleibt, was nach den Raketenangriffen auf den Hafen von Odessa am Samstag daraus wird."
📰 „Times" (London):
„Die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung wurden schnell schmerzlich deutlich. Nur Stunden nach der Unterzeichnung der Vereinbarung regnete es Raketen auf den ukrainischen Hafen von Odessa. Zwei schlugen im Hafen ein und zwei wurden von Luftabwehrsystemen abgeschossen. UN-Generalsekretär António Guterres erklärte, dass jede Verletzung des Abkommens ein 'inakzeptabler Skandal' wäre. Leider sind inakzeptable Skandale inzwischen die Hauptwährung des Putin-Regimes.
Tatsächlich hat die internationale Gemeinschaft kaum Instrumente zur Verfügung, um die Einhaltung zu erzwingen. Es liegt aber auf der Hand, dass alle Hoffnungen Moskaus, dass diese Vereinbarung der erste Schritt zur Lockerung der Sanktionen sein wird - oder dass sie Russland vor weiteren Sanktionen, auch gegen sein eigenes Getreide, schützen wird -, fehl am Platz sind, wenn Putin vorhaben sollte, das Abkommen gänzlich zu missachten. Ein besserer Grund für ihn, sein Wort zu halten, wäre es, unnötiges Leid in der Ukraine und darüber hinaus zu vermeiden - aber er hat bereits gezeigt, dass ihm dies keine Überlegung wert ist, geschweige denn eine Priorität darstellt."
📰 „De Standaard" (Brüssel):
„Das kann man als positives Zeichen sehen: Wenn die Vereinten Nationen ein Abkommen über Getreide aushandeln können, wer weiß, was mit geduldiger Diplomatie noch alles zu erreichen ist. Vielleicht ist ein Waffenstillstand der nächste Schritt.
Aber es gibt noch eine andere Seite. Die erfolgreiche Wiederaufnahme des Getreidehandels kann zwar eine Nahrungsmittelkrise verhindern, beseitigt aber auch den Anreiz, den Konflikt schnell zu beenden. Je weniger sich der Rest der Welt von diesem Konflikt betroffen fühlt, desto größer ist die Gefahr, dass der Krieg zu einem hoffnungslosen Zermürbungskrieg wird."