Körperreaktionen sind im Bregenzer Kunsthaus durchaus erwünscht
Eine Ausstellung, wie sie fast nur im Kunsthaus Bregenz möglich ist. Das Jordan Wolfson mit seinen verstörenden Installationen möbliert hat.
Von Edith Schlocker
Bregenz – Er habe absolut nicht vor, den vor der Eröffnung seiner Personale im Kunsthaus Bregenz versammelten PressevertreterInnen zu sagen, was sie über seine Kunst zu denken haben, verblüffte Jordan Wolfson nicht nur Hausherr Thomas D. Trummer. Um anschließend allerdings etwa beim Aufsetzen der Virtual-Reality-Brille, die notwendig ist, um eines seiner Videos zu betrachten, sehr hilfreich zu sein. Eine Arbeit, die genauso wie die Installationen in den oberen Stockwerken mit dem Betrachter/der Betrachterin allerhand macht.
Die ihn/sie aus dem Kunsthaus jedenfalls anders hinausgehen lässt, als er/sie hineingegangen ist. Je nach Verfasstheit mehr oder weniger nachhaltig gestört bzw. verstört durch die physische wie psychische Gewalt, um die es in den Arbeiten des 42-jährigen, in Los Angeles lebenden gelernten Bildhauers geht.
Am nachhaltigsten sicher in dem schon erwähnten Video, das auf den ersten Blick die unscheinbarste, weil nur per Virtual-Reality-Brille inhalierbare Arbeit ist. Den Schauenden allerdings unmittelbar in eine von Straßenlärm erfüllte New Yorker Straßenschlucht beamt. Um Zeuge davon zu werden, wie ein Mann – natürlich ein täuschend echter Dummy – von einem anderen mit einem Baseballschläger zu Tode geprügelt wird. Der Ton der Schläge nistet sich unausrottbar im Hirn des/der paralysierten Video-Schauenden ein, der/die – obwohl nicht reagieren könnend – in gewisser Weise zum Mittäter/zur Mittäterin wird.
Kontrastprogramm im dritten Obergeschoß, wo eine schräge „Female Figure“ mit dem Ausstellungsbesucher/der Ausstellungsbesucherin per Gesichtserkennung unmittelbar in Kontakt tritt. Der „Flirt“ mit diesem vor einem großen Spiegel tanzenden Go-go-Girl, dessen Gesicht mit einer schwarzen Adlermaske halb verdeckt ist das und seinen Popo lasziv kreisen lässt, während seine Gelenke abturnend knarzen, ist reizvoll im Spannungsfeld zwischen Anziehung und Abstoßung angesiedelt. Und hat, wie die gesamte Kunst von Jordan Wolfson, sehr viel mit ihm zu tun. Habe er bei dieser Arbeit doch über die Idee nachgedacht, sich als Autor einer Fiktion zu sehen, in der das, von dem die Skulptur sagt, dass es wahr ist, nicht wahr ist – nicht ich bin. „Aber natürlich ist es wahr und bin ich es.“ Nämlich: „Meine Mutter ist tot. Mein Vater ist tot. Ich bin schwul“, lässt Wolfson seine Puppe sprechen.
Kunsthaus Bregenz
Karl-Tizian-Platz; bis 9. Oktober, tgl. 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr.
Bei der roten stacheligen Kugel, die in der Video-Installation „Raspberry-Poser“ gemeinsam mit poppigen Trickfiguren durch Paris und SoHo hüpft, denkt man unwillkürlich an Corona, Wolfson meint in der bereits vor zehn Jahren entstandenen Arbeit allerdings das Aids-Virus bzw. die Angst vor diesem. Eine Arbeit, in der es wie in den meisten anderen, in denen Wolfson in rasantem Tempo schrille Zeichen und Symbole blinken lässt, aber auch um Fragen wie Rassismus, Antisemitismus, Sexualität, Liebe und Tod geht. Sowie Wut, nicht zuletzt auf sich selbst. Um sich zum durch Pariser Parks streifenden Skinhead mit kahl geschorenem Kopf zu stilisieren.
Sein Herkommen von der klassischen Bildhauerei verrät Wolfsons „House of Face“, das er im Erdgeschoß des Kunsthauses aufgestellt hat. Es ist blutrot und äußerst ambivalent. Von hinten kommt es wie ein biederes Knusperhäuschen aus dem Märchen daher, von vorne wie ein Gesicht mit einer scharfen Adlernase. Eine „Körperreaktion“ darauf ist laut Jordan Wolfson durchaus erwünscht.