Guterres warnte bei UNO-Konferenz vor steigendem Risiko atomarer Vernichtung
Die Welt befinde sich in einer "Zeit nuklearer Gefahr, wie es sie seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat", sagte UN-Generalsekretär António Guterres.
New York – Mit einer zweijährigen Verspätung wegen der Corona-Pandemie beginnt am Montag in New York die zehnte Überprüfungskonferenz des UNO-Atomwaffensperrvertrags. Schon vor Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine war die atomare Abrüstung ins Stocken geraten. Jetzt wird die Reduzierung der knapp 13.000 Atomwaffen weltweit noch schwerer. Angesichts zahlreicher Krisen weltweit warnte UN-Generalsekretär António Guterres zum Auftakt vor dem steigenden Risiko atomarer Vernichtung.
Die Welt befinde sich in einer "Zeit nuklearer Gefahr, wie es sie seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat", sagte Guterres am Montag zum Start der Konferenz in New York. "Die Menschheit läuft Gefahr, die Lehren zu vergessen, die in den schrecklichen Feuern von Hiroshima und Nagasaki geschmiedet wurden", so Guterres mit Verweis auf die US-Atombombenabwürfe auf die beiden japanischen Städte im Zweiten Weltkrieg. Die Welt sei nur ein Missverständnis oder eine Fehlkalkulation von der nuklearen Vernichtung entfernt.
Höchststand bei geopolitischen Spannungen
Guterres sagte am Montag weiter, dass die geopolitischen Spannungen einen neuen Höchststand erreicht hätten – und verwies auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine, Konflikte in Nahost, auf der koreanischen Halbinsel sowie Krisen mit "nuklearen Untertönen". "Konkurrenz übertrumpft Kooperation und Kollaboration. Misstrauen hat den Dialog ersetzt. Uneinigkeit hat Abrüstung ersetzt." Die Beseitigung von Atomwaffen sei die einzige Garantie, dass diese niemals eingesetzt würden. Auf dieses Ziel müsse unermüdlich hingearbeitet werden, damit die Menschheit vom Abgrund wegtrete.
Gleichzeitig betonte Guterres, dass die friedliche Nutzung von Nukleartechnologien – auch für medizinische Zwecke – gefördert werden müsse. "Wenn sie für friedliche Zwecke eingesetzt wird, kann diese Technologie ein großer Vorteil für die Menschheit sein."
Angesichts von Spannungen und stockenden Verhandlungen über das iranische Atomprogramm forderte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, Teheran zur Kooperation auf. "Wir brauchen - und das sage ich ganz deutlich – wir brauchen einen Zugang, der der Breite und Tiefe dieses nuklearen Problems angemessen ist", sagte Grossi am Montag auf der Atomwaffenkonferenz in New York. Nur dann sei die IAEA in der Lage "die notwendigen und glaubwürdigen Zusicherungen zu geben, dass jede Aktivität in der Islamischen Republik Iran friedlichen Zwecken dient."
Putin: In einem Atomkrieg gibt es "keine Gewinner"
Der russische Präsident Wladimir Putin hat vor einem atomaren Konflikt gewarnt. In einem Atomkrieg könne es "keine Gewinner" geben, ein solcher Krieg dürfe "niemals entfesselt werden", erklärte Putin in einer am Montag veröffentlichen Botschaft an die UNO-Atomwaffenkonferenz in New York.
Putin versicherte, dass Russland "den Buchstaben und dem Geist" des Vertrags treu bleiben werde. Die USA, Großbritannien und Frankreich warfen indessen Russland am Montag aus Anlass der UN-Konferenz in einer gemeinsamen Erklärung eine "unverantwortliche und gefährliche" Rhetorik über Atomwaffen vor.
Kurz nach Beginn des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine am 24. Februar hatte Putin nach russischen Angaben befohlen, die Atomstreitkräfte des Landes in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen. Putin drohte seither zudem mit Reaktionen "schnell wie der Blitz" im Fall einer direkten westlichen Militärintervention im Ukraine-Konflikt.
Im Mai warnte der russische Journalist und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow, die "Propagandakrieger" des Kremls versuchten, den Einsatz von Atomwaffen für die russische Öffentlichkeit akzeptabler zu machen.
Zuletzt hatten sich die Spannungen zwischen der IAEA und dem Iran verschärft. Teheran schränkte die Überwachung seines Atomprogramms durch die Behörde immer weiter ein. Derweil wird in Wien seit Monaten über das Programm verhandelt. Die Diplomatie steckt jedoch fest. Die IAEA warnte zuletzt, dass Iran nur noch wenige Wochen benötige, um Ausgangsmaterial für eine Atombombe zu produzieren. Teheran betont immer wieder, Nukleartechnologie nur für friedliche Zwecke zu nutzen.
Ziel des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen von 1970 ist es, die Streuung von Atomwaffen zu verhindern, nukleare Abrüstung voranzutreiben und die friedlichen Nutzung von Kernenergie zu fördern. 191 Staaten sind dem Abkommen beigetreten. Alle fünf Jahre ist eine Überprüfung darüber vorgesehen, inwieweit die Ziele des Atomwaffensperrvertrags erfüllt wurden. Die Konferenz dauert bis zum 26. August.
Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea nicht inkludiert
Das mehr als 50 Jahre alte Abkommen besagt, dass nur die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien Atomwaffen besitzen dürfen. Die vier anderen mutmaßlichen Atommächte Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea sind dem Vertrag entweder nicht bei- oder wieder ausgetreten. Ziel des Vertrags ist es, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern, nukleare Abrüstung voranzutreiben und die friedliche Nutzung von Atomenergie zu fördern.
Neben dem Atomwaffensperrvertrag gibt es noch den weitergehenden Atomwaffenverbotsvertrag, den Österreich mitunterzeichnet hat, der aber von den Atommächten sowie allen NATO-Staaten abgelehnt wird. Die deutschen Grünen setzten im Koalitionsvertrag allerdings durch, dass Deutschland entgegen der NATO-Linie als Beobachter an einer Vertragsstaatenkonferenz teilnimmt - zusammen mit Norwegen als einer von nur zwei NATO-Staaten. Das wurde im Juni auch so umgesetzt. Zudem setzt sich Deutschland in der sogenannten Stockholm-Initiative zusammen mit 15 anderen Ländern für konkrete Abrüstungsschritte ein.
Als "unmoralisch" verurteilte Papst Franziskus den Besitz von Atomwaffen vor Beginn der Konferenz. "Stabilität und Frieden aus einem falschen Sicherheitsverständnis oder im 'Gleichgewicht des Schreckens' zu suchen", führe unvermeidlich zu vergifteten Beziehungen zwischen Völkern, twitterte der Papst am Montag. (APA/dpa)