„Verrückt nach Trost“ : Lebenslust und Todessehnsucht
Von Traum zu Traum: Ursina Lardi, André Jung, Sebastian Blomberg und Devid Striesow machen „Verrückt nach Trost“ in Salzburg zum Ereignis.
Von Barbara Unterthurner
Salzburg – Zunächst beginnt alles mit einer bewussten Verwandlung. Charlotte und Felix tauchen aus dem Meer auf, reiten die große Welle, die auf der Festspielbühne (von Gordian Blumenthal und Ramun Capaul) aus Metall besteht, bis an den sicheren Strand. Die Zehnjährige und der Elfjährige sind Geschwister – genauer Waisen. Die Eltern gibt es nur noch in ihrer Erinnerung. Oder wenn sie sie im Spiel zum Leben erwecken. Die Kinder werden zu ihren Eltern, cremen sich ein, küssen sich, wiegen imaginierte Sprösslinge auf ihren Schößen. Erst ein Taucher stört das Geschehen. Und Charlotte beendet das Spiel.
So viel Einfluss haben Charlotte (Ursina Lardi) und Felix (Devid Striesow) in „Verrückt nach Trost“ nun nicht mehr. Gemeinsam mit dem halluzinierenden Schwimmer kullern sie von Traum zu Traum, von Bild zu Bild. Sind mal eine Familie samt schreiendem Baby oder begleiten Schildkröte (Sebastian Blomberg) und Orang-Utan (André Jung) auf einen Spaziergang. Dann zieht ein Gewitter auf, es hagelt Nüsse vom Himmelszelt. Klappe zu, Affe tot.
Erledigt ist die Sache damit allerdings noch nicht. Mit „Verrückt nach Trost“ hat Regisseur Thorsten Lensing für die Salzburger Festspiele (und sieben weitere Partner) nun seinen ersten eigenen Text vorgelegt. Am Samstagabend kam das Stück im Salzburger Mozarteum zur Uraufführung. Ein Stück, das schwer greifbar ist. Weil es sich ständig wandelt, wie die Farbe des Oktopus – der später noch aus dem Meer auftaucht. Es sind die SchauspielerInnen, die das Spiel zum Ereignis machen. Lardi, Jung, Blomberg und Striesow tauchen voll ein. Für die vier ist es nicht die erste Zusammenarbeit mit Lensing. Besonders erfolgreich: Lensings Romanadaption der „Brüder Karamasow“ von Dostojewski 2014 mit Lardi und Striesow.
Ihnen begegnet man in „Verrückt nach Trost“ nach der Pause dann als Erwachsene. Die Temperatur hat gewechselt: Kindliche Phantasie, Situationskomik werden nun von intensiven (teils langatmigen!) Dialogen abgelöst. Mit Felix, der seinen Körper nicht spürt, erkundet man das Empfinden. Um später von jenem einer Kuh auf der Schlachtbank zu erfahren. Während man mit dem sprechenden Oktopus (Lardi), besser seinen neun Gehirnen, lernen muss, neun Meinungen auszuhalten. Der Taucher, der der „Welt nichts zu sagen“ hat und deshalb „lieber in Jamben“ spricht, krault derweil zwischen Lebenslust und Todessehnsucht hin und her. Wo soll das alles hinführen? Keine tröstliche Antwort an dieser Stelle! Man muss sich mit neuen Fragen zufriedengeben. Dergestalt: Wären Tiere vielleicht die besseren Menschen? Oder wird die Technik bald eh übernehmen?
Der humanoide Pflegeroboter (André Jung) jedenfalls liest der inzwischen 88-jährigen Charlotte jetzt schon jeden Wunsch von den Augen ab. Ein guter Küsser ist er auch noch. Dann ist es wieder Charlotte, die das Spiel beendet. Nein, das ganze Stück! Ans Publikum gewandt frohlockt sie: „Wir werden alle erlöst!“ Es gibt ihn also, den Trost, nach dem wir alle dürsten. Der Applaus ist bei der Premiere nach über drei Stunden besonders herzlich.