„Treue“ von Herman Diaz: Geschichten, die die Welt bewegen
Innsbruck – Formal zieht „Treue“, der zweite Roman des in Argentinien geborenen und in den USA lebenden Autors Hernan Diaz, so ziemlich alle Register. „Treue“, das sind vier Bücher in einem. Sie erzählen aus verschiedenen Perspektiven eine ähnliche – vielleicht sogar dieselbe – Geschichte. Oder jedenfalls Teile davon. Einer wortgewandten Version – angeblich ein einstiger Bestseller – folgt eine als „Mein Leben“ ausgewiesene Autobiografie, dem wiederum „Erinnerte Memoiren“ der Autobiografie-Ghostwriterin und kontrastierende Tagebucheinträge folgen.
Im US-amerikanischen Original ist Diaz’ Roman mit „Trust“ überschrieben, was sich nicht nur mit „Treue“ oder „Vertrauen“ übersetzen lässt, sondern eben auch mit Investmentgesellschaft. Die Doppeldeutigkeit des Titels, der die Freude am Spiel der Formen mitdenkt, geht im Deutschen verloren.
Erfreulich ist der Roman, der in Übersee hymnisch besprochen wurde und bald zur Serie mit Kate Winslet werden soll, trotzdem. Es geht um den Aufstieg eines Spekulanten, der in den 1920er-Jahren, als es die Weltwirtschaft in die Große Depression schleuderte, unverschämt reich wurde – und sich, obwohl begütert, berühmt und begehrt, aller Neugier entzieht. Was die Neugier zusätzlich befeuert. Und es geht um die Gattin des Milliardärs, die sich Welt und Wall Street bereits entzogen hat. Vor allem aber geht es um die Kraft von Geschichten, die weder wahr noch wahrscheinlich sein müssen, um weltbewegende Folgen zu zeitigen, am Finanzmarkt und anderswo. (jole)
📚 Roman Hernan Diaz: Treue. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Hanser Berlin, 411 S., 27,80 Euro.