Gefechte in Grüner Zone in Bagdad: 15 Tote und Hunderte Verletzte
Anhänger des einflussreichen irakischen Schiitenführers Moktada al-Sadr haben den Regierungspalast in Bagdad erstürmt. Eine Ausgangssperre wurde verhängt. Proteste gibt es auch in anderen Landesteilen.
Bagdad – Der politische Konflikt im Irak ist in der Nacht auf Dienstag weiter in Gewalt umgeschlagen. Videos zeigten die Miliz Saraya al-Salam (Friedenskompanie, vormals: Mahdi-Armee) des einflussreichen Schiitenführers Moqtada al-Sadr, die sich in der sogenannten Grünen Zone in Bagdad mit Iran-treuen Milizen schwere Kämpfe lieferte. Dabei waren lange Feuersalven zu hören. Medien berichteten von 15 Toten und 350 Verletzten. Die Kämpfe gingen am Dienstagmorgen teils weiter.
📽️ Video | Krise im Irak spitzt sich zu
In der rund zehn Quadratkilometer großen und eigentlich hoch gesicherten Grünen Zone im Zentrum Bagdads befinden sich zahlreiche Regierungseinrichtungen, das irakische Parlament sowie mehrere Botschaften, darunter auch die diplomatische Vertretung der USA. Berichten zufolge gingen in der Nacht auch mehrere Raketen in der Grünen Zone nieder. Videos in Sozialen Netzwerken sollen zeigen, dass daraufhin auch das Raketenabwehrsystem (C-Ram) zum Schutz der US-Botschaft aktiviert wurde.
Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra teilte mit, in der Gegend um seine Botschaft werde gekämpft. Die Mitarbeiter seien evakuiert worden und würden vorübergehend aus der deutschen Botschaft arbeiten. Die Lage im Irak sei "sehr angespannt" und ändere sich rasch, schrieb Hoekstra auf Twitter.
Regierungspalast gestürmt
Sadrs Anhänger hatten den Regierungspalast mit dem Büro von Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi am Montag gestürmt und vorübergehend besetzt. Zuvor hatte der einflussreiche Geistliche seinen Rückzug aus der Politik erklärt. Am späten Montagabend gab der 48 Jahre alte Religionsführer bekannt, in einen Hungerstreik zu treten, bis die Gewalt gegen seine Anhänger eingestellt werde.
Sadrs Bewegung war aus der Parlamentswahl im Oktober vergangenen Jahres als stärkste Kraft hervorgegangen. Es gelang ihr aber nicht, eine Regierung zu bilden. Sadr fordert als Ausweg aus der Krise Neuwahlen.
UNAMI: "Extrem gefährliche Eskalation"
Die UN-Mission im Irak (UNAMI) sprach von einer "extrem gefährlichen Eskalation" und forderte die Demonstranten auf, das Regierungsviertel sofort zu verlassen. "Das Überleben des Staates steht auf dem Spiel", erklärte die UN-Mission. Die US-Regierung sprach von "beunruhigenden" Berichten aus Bagdad und mahnte alle Seiten zur Ruhe und zum Dialog.
Die Proteste weiteten sich am Abend auf weitere Landesteile aus. Laut Berichten von AFP-Reportern und Augenzeugen stürmten Sadr-Anhänger Regierungsgebäude in den südlichen Städten Nassiriya und Hilla, in Hilla gab es Straßenblockaden.
Erstürmung nach Rückzugs-Ankündigung
Die wütenden Sadr-Sympathisanten hatten das Regierungsgebäude in der Grünen Zone gestürmt, nachdem der Prediger und einstige Milizenführer seinen Abschied von der Politik verkündet hatte. "Ich hatte beschlossen, mich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen, aber jetzt kündige ich meinen endgültigen Ruhestand und die Schließung aller Einrichtungen an", twitterte al-Sadr am Montag. Ausgenommen seien mit ihm direkt verbundene religiöse Einrichtungen. "Wenn ich sterbe oder getötet werde, bitte ich um eure Gebete."
Keine zwei Stunden nach der Ankündigung strömten Demonstranten in die Grüne Zone. Einige trugen Fotos al-Sadrs. "Dies ist eine Revolution des Volks, keine Sadristen-Bewegung", riefen einige. Andere forderten den "Sturz des Regimes". Die Protestler beseitigten Barrieren, während Sicherheitskräfte versuchten, die Menge mit Wasserwerfern auseinanderzutreiben. Videos zeigten bald darauf eine jubelnde Menge in den Räumen des Regierungspalasts.
Ausgangssperre in Bagdad
Nach der Erstürmung des Regierungsgebäudes setzte Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi alle Kabinettssitzungen aus, meldete die staatliche Nachrichtenagentur INA. Ab 15.30 Uhr Ortszeit (18.30 Uhr MESZ) gelte in der Hauptstadt eine absolute Ausgangssperre. Die Armee kündigte später eine landesweite Sperre ab 19.00 Uhr an. Al-Sadr hatte auf Twitter angekündigt, seine politischen Büros zu schließen. Einige seiner religiösen und kulturellen Einrichtungen würden jedoch geöffnet bleiben. Den mit ihm rivalisierenden, führenden schiitischen Politikern warf er vor, seine Aufrufe zu Reformen ignoriert zu haben.
Damit spitzt sich die politische Krise im Irak weiter zu, nachdem Demonstranten vor einem Monat bereits in das Parlamentsgebäude eingedrungen waren. Auch rund zehn Monate nach der Parlamentswahl können sich die Parteien weder auf einen Präsidenten noch einen Regierungschef einigen, während das Land unter einer Wirtschaftskrise, Inflation und Korruption ächzt.
Al-Sadr hat damit vorerst seinen Versuch aufgegeben, das politische System im Irak mit Hilfe des Parlaments zu reformieren. Die USA hatten nach dem Sturz von Langzeitdiktator Saddam Hussein ein Proporzsystem eingeführt, wonach der Präsident immer ein Kurde, der Ministerpräsident ein Schiit und der Parlamentspräsident ein Sunnit ist. Außerdem wollte al-Sadr den Einfluss schiitischer Parteien zurückdrängen, die vom Iran unterstützt werden.
Mit "Druck von der Straße" und einer Stürmung des Parlaments wollte die Al-Sadr-Bewegung schließlich verhindern, dass ihre politischen Gegner um Ex-Regierungschef Nuri al-Maliki, die eine große Nähe zum Iran haben, eine Regierung bilden können. Zuletzt hatte der 48 Jahre alte Religionsführer Neuwahlen gefordert. Seine Rivalen stellten unterdessen einen eigenen Kandidaten als Premier vor, den al-Sadr wegen dessen Nähe zu al-Maliki ablehnt.
Moqtada al-Sadr entstammt einer Familie bedeutender Kleriker. Nach dem Einmarsch der US-Armee im Irak 2003 gründete er eine Miliz, die "Mahdi-Armee". Al-Sadr lebte zwischenzeitlich im Iran. (APA/AFP/dpa/Reuters)