Früherer sowjetischer Präsident Michail Gorbatschow gestorben
Der weltweit geschätzte Politiker galt als einer der Väter der Deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges. Er wird in Moskau neben seiner Frau Raissa auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente beerdigt.
Moskau – Der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow ist nach Angaben russischer Agenturen tot. Wie TASS und Interfax am späten Dienstagabend aus Moskau meldeten, starb Gorbatschow im Alter von 91 Jahren. Der weltweit geschätzte Politiker galt als einer der Väter der Deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges. Er wird in Moskau neben seiner Frau Raissa auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente beerdigt.
„Michail Gorbatschow prägte wie kein anderer die Annäherung zwischen Osten und Westen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa und dem Ende des Kalten Krieges. Möge er in Frieden ruhen", twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einer ersten Reaktion am Dienstagabend. „Tragisch bleibt, dass die Anerkennung, die er im Westen genoss, ihm in seiner Heimat nie zuteil wurde", bedauerte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auf Twitter.
Besonders die Ostdeutschen verehren "Gorbi", wie sie ihn nennen, bis heute als Staatsmann, der ihnen vor mehr als drei Jahrzehnten die Freiheit brachte. In den 1980er-Jahren hatte die Sowjetunion unter Gorbatschows Führung mit den USA wegweisende Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle geschlossen. In seiner Heimat hatte Gorbatschow als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) einen beispiellosen Reformprozess eingeleitet. Das brachte den Menschen in dem totalitären System bis dahin nie da gewesene Freiheiten.
1931–2022
Politiker würdigen verstorbenen Sowjet-Präsidenten Gorbatschow
Friedensnobelpreis für Reformen erhalten
1990 erhielt Gorbatschow für seine mutigen Reformen den Friedensnobelpreis. Der politische Prozess führte zu massiven Umbrüchen in allen Republiken des Sowjetstaates und letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums.
Ein Großteil der russischen Bevölkerung sah den früheren Partei-und Staatschef stets als Totengräber der Sowjetunion - und als einen Politiker ohne Machtinstinkt. Gorbatschow trat als Präsident der Sowjetunion 1991 zurück, bevor sich der Staat wenig später selbst auflöste. Der neue starke Mann in Moskau wurde damals der russische Präsident Boris Jelzin (1931-2007).
Bis zu seinem Tod hatte Gorbatschow sich um seine eigene politische Stiftung in Moskau verdient gemacht. Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein.
Schon lange vor seinem Tod hatte er seine Beerdigung geregelt. Er wird auf Moskaus berühmtem Prominentenfriedhof am Neujungfrauenkloster beerdigt, wo er sich ein Grab neben seiner 1999 nach schwerer Krankheit in Deutschland gestorbenen Frau Raissa Gorbatschowa gesichert hatte. Unklar ist allerdings, welche internationalen Gäste zur Beerdigung in Moskau kommen werden – angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der Sanktionen der EU und der USA gegen das Land.
So sind nicht nur viele ranghohe Politiker der EU von russischer Seite als Reaktion auf die westlichen Sanktionen mit Einreiseverboten belegt worden. Gesperrt ist auch der Luftraum in Russland für „unfreundliche EU-Staaten".
Viele westliche Politiker meiden wegen des von Kremlchef Putin befohlenen Angriffskrieges gegen die Ukraine vor sechs Monaten den Kontakt mit Russland. Angesichts der historischen und internationalen Bedeutung des Politikers dürften aber auch Gäste aus dem Ausland Abschied nehmen wollen von dem Politiker, der auch als einer der Väter der Deutschen Einheit galt.
Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung Nowaja Gaseta
Gorbatschow schrieb zahlreiche Bücher – zuletzt unter anderem auch über seine Enttäuschung von den Deutschen und dem Westen. Konkret beklagte er dabei, dass neue Feindbilder gegen Russland gezeichnet würden. Zu den Feiern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im Herbst 2019 war er aus Gesundheitsgründen nicht gereist. Er musste in den vergangenen Jahren immer wieder im Krankenhaus behandelt werden.
Der Politiker war Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung Nowaja Gaseta, die immer wieder Missstände in Russland aufdeckt. Gorbatschow hatte in den vergangenen Jahren Kremlchef Wladimir Putin mehrfach aufgefordert, die Freiheit der Medien und Wahlen nicht weiter einzuschränken. (TT.com, APA)
Stationen eines bewegten Lebens
Der ehemalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow ist tot. Die Deutsche Presse-Agentur dokumentiert wichtige Etappen im Leben des russischen Friedensnobelpreisträgers:
- 2. März 1931: Geburt im nordkaukasischen Dorf Priwolnoje (Region Stawropol). Der Sohn eines Kolchose-Bauern arbeitet zunächst als Mähdreschermechaniker. Für den Wehrdienst ist er untauglich.
- 1950: Jura-Studium an der Moskauer Lomonossow-Universität. Dort lernt Gorbatschow seine spätere Frau Raissa (1932-1999) kennen.
- 1952: Nach dem Beitritt zur Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) folgt eine steile politische Karriere. Er wird 1971 Mitglied des Zentralkomitees und 1980 rückt er ins Politbüro auf. Als Repräsentant des Obersten Sowjets gestaltet er die Kreml-Politik mit.
- 11. März 1985: Gegen den Widerstand kommunistischer Altkader wird er mit 54 Jahren zum zweitjüngsten Generalsekretär der Parteigeschichte gewählt. Gorbatschow leitet eine historische Reformpolitik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) ein.
- 1988: In einer Rede vor den Vereinten Nationen in New York kündigt er einseitige Abrüstungsschritte an. Das Echo ist weltweit positiv. Zudem zieht Gorbatschow nach einem zehnjährigen militärischen Fiasko die sowjetischen Truppen aus Afghanistan ab.
- 7. Oktober 1989: Bei einem Besuch in Ost-Berlin kommt es zur berühmten Formulierung: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" - obwohl er den Satz so nie gesagt haben soll.
- 16. Juli 1990: Gorbatschow stimmt im Kaukasus bei einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl der deutschen Wiedervereinigung zu.
- 1990: Gorbatschow, der nun offiziell den Amtstitel Sowjetpräsident trägt, erhält den Friedensnobelpreis. Das Staatsoberhaupt spiele eine führende Rolle im Friedensprozess, begründet das Komitee die Wahl.
- 1991: Gorbatschow übersteht zwar einen Putsch von Parteifunktionären. Aber immer mehr Sowjetrepubliken sagen sich von Moskau los. Daraufhin tritt Gorbatschow am 25. Dezember als Präsident zurück.
- 1992: In Moskau nimmt die Gorbatschow-Stiftung ihre Arbeit auf. International bleibt der Ex-Präsident ein gefragter Diskussionsgast. In der russischen Tagespolitik ist seine Stimme über viele Jahre kaum zu vernehmen. In der Ukraine-Krise meldet er sich wieder häufiger zu Wort.
- 2001-2009: Gorbatschow engagiert sich im Petersburger Dialog, einem zivilgesellschaftlichen Forum zwischen Deutschland und Russland.
- 30. August 2022: Gorbatschow stirbt im Alter von 91 Jahren in Moskau.
1931–2022
Politiker würdigen verstorbenen Sowjet-Präsidenten Gorbatschow
1931–2022