Wifo-Ökonom vermisst Sparanreize und „Zug zum Tor“ bei Strompreisbremse
Michael Böheim vom Wifo sieht sowohl positive als auch problematische Aspekte der Strompreisbremse. Für die Caritas ist das vorgelegte Modell für armutsbetroffene Menschen nur bedingt hilfreich. Auch andere NGOs stören sich an der Ausgestaltung.
Wien – Durchwegs kritisch fallen die Reaktionen auf die von der Regierung am Mittwoch im Ministerrat beschlossene Strompreisbremse aus. Die SPÖ fand zwar inhaltlich nichts zu kritisieren, aber sie komme zu spät. FPÖ und NEOS waren rundum unzufrieden. Viele – SPÖ, AK, NGOs, Hilfsorganisationen – forderten die Gegenfinanzierung durch eine Übergewinnsteuer sowie eine Entlastung auch bei den Heizkosten. Caritas und Umweltorganisationen fehlt die soziale Treffsicherheit.
Wifo-Ökonom Michael Böheim sieht sowohl positive als auch problematische Aspekte der Strompreisbremse. In der "ZiB2" am Mittwoch sprach er davon, dass das nun von der Regierung adaptierte Wifo-Modell eigentlich als "Gesamtkunstwerk" gedacht war. Zentral waren für die Wirtschaftsforscher die Anreize zum Energiesparen sowie die soziale Treffsicherheit. Hier vermisse er beim Regierungsmodell einerseits die Sparanreize für Einpersonen- und Zweipersonenhaushalte. Auch in Sachen soziale Treffsicherheit vermisse er "den Zug zum Tor".
📽️ Video | Wifo-Ökonom zur Strompreisbremse
Andererseits sei gut, dass überhaupt ein Modell an den Start gehe – und es kein Preisdeckel sei, der das Konzept des Marktes ausheble. "Und für den Großteil der Menschen bleibt die Stromrechnung leistbar", so Böheim. Der maximale Zuschuss von 30 Cent signalisiere jedoch, dass das ein Preis sei, "der von der Regierung akzeptiert werden würde". Dies bilde einen Anreiz für Energiekonzerne ihre Preise schrittweise bis zu dieser Marke zu erhöhen, da sie für den Großteil der Kunden ja nicht spürbar würden.
Böheim nimmt jedoch auch die Bevölkerung und Unternehmen in die Pflicht. Es müsse ein Nachdenkprozess stattfinden und Energieverschwendung aufhören. "Die Leute sollten damit beginnen, Energie bewusster einzusetzen".
Leichtfried (SPÖ): "Warum so spät?"
"Gut, dass was kommt, aber warum so spät?", sagte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried schon am Vormittag in einer Pressekonferenz. Die SPÖ habe seit Monaten eine Strompreisbremse gefordert, jetzt sei es "natürlich viel zu spät", zumal der Preisdeckel "wenn es gut geht, ab Dezember oder ab Jänner" wirken werde. In Summe tut die Regierung aus Leichtfrieds Sicht in der Energiekrise allgemein zu wenig zur Entlastung der Haushalte, der Unternehmen sowie der Energieversorger.
Gar nicht zufrieden war FPÖ-Chef Herbert Kickl: Die Strompreisbremse sei "nur eine halbherzige Symptombehandlung, kommt um ein Jahr zu spät, ist die wohl komplizierteste Lösung, die gefunden werden konnte und wird der Dramatik der Preisentwicklung nicht einmal ansatzweise gerecht", kritisierte er. Er hält einerseits die Entkoppelung von Strom- und Gaspreis sowie ein Ende des Merit-Order-Prinzip für nötig - und forderte einmal mehr ein Ende der Russland-Sanktionen.
📽️ Video | Opposition kritisiert Strompreisbremse
Ebenso vernichtend fiel das Urteil der NEOS aus: Das Modell sei "teuer, ungerecht und nicht treffsicher und es leistet leider null Beitrag zum Energiesparen und damit zur Versorgungssicherheit Österreichs", meinte Energiesprecherin Karin Doppelbauer. Einkommensstarke und kleine Haushalte würden bevorzugt: "Der Topmanager, der selten daheim ist, bekommt weit mehr als eine mittelständische Familie mit zwei, drei Kindern."
ÖGB und AK fordern Übergewinnsteuer
Für Rainer Wimmer, Vorsitzender der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen im ÖGB (FSG), ist die Strompreisbremse ein erster wichtiger Schritt. Aber jetzt müsste diesem eine Preisbremsen auf andere Energieträger wie Gas, Pellets oder Heizöl folgen. Er kritisierte die Benachteiligung von Mehrpersonenhaushalte, die extra Anträge stellen müssten.
Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl pochte – wie Wimmer auch – auf eine Übergewinnsteuer. Die Strompreisbremse wäre "nur dann sozial gerecht, wenn die Gegenfinanzierung durch jene Energieunternehmen erfolgt, die derzeit aufgrund der hohen Energiepreise enorme Profite erzielen. Denn diese Übergewinne werden auf dem Rücken der Haushalte und Unternehmen finanziert, die derzeit astronomisch hohe Energiepreise zahlen müssen." Zudem verlangte Anderl, die Sonder-Unterstützung allen rund 780.000 Haushalte mit geringerem Einkommen zu geben und nicht nur die GIS-befreiten 300.000.
Auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian hält eine Abgabe auf die Übergewinne von Energiekonzernen für "überfällig", wie er am Mittwoch bei einer Pressekonferenz erklärte. Unzufrieden ist er auch mit der angekündigten Strompreisbremse, denn die Gewerkschaft habe einen Strompreisdeckel gefordert - und nur der helfe, wenn die Preise weiter anziehen. Außerdem fehle der Deckel für den Wärmebereich. Die Gewerkschaft werde daher, nicht zuletzt mit ihren bundesweiten Kundgebungen am Samstag, dem 17. September, den Druck auf die Regierung aufrecht erhalten.
📽️ Video | Strompreisbremse: Regierung sponsert Tarif bis Mitte 2024
Caritas: Modell nur bedingt hilfreich
Letzteres hält auch die Caritas für einen großen Mangel: Das vorgelegte Modell sei für armutsgefährdete und armutsbetroffene Menschen nur bedingt hilfreich. Besser als das vage skizzierte Antragssystem für zusätzliche Hilfen bei Mehrpersonenhaushalten wäre eine automatisierte soziale Staffelung auf Basis valider Daten. "Wer gezielt hilft, kann länger helfen", verwies Präsident Michael Landau darauf, dass sich eine längerfristige Teuerungswelle abzeichne. Dringend nötig sei zudem die Anhebung der Wohn- und Heizkostenzuschüsse.
"Grundsätzlich zu begrüßen" ist der Regierungsbeschluss für die Volkshilfe. Präsident Erich Fenninger lobte sowohl die antragslose, unbürokratische Umsetzung als auch dass Sparanreize gesetzt würden. Eine Schwäche sei allerdings, dass die Haushaltsgröße nicht berücksichtigt werde – und auch verlangte sowohl eine Übergewinnsteuer als auch eine Heizkosten-Entlastung.
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NGOs fehlt die soziale Treffsicherheit
Umweltschutzorganisationen und NGOs vermissen Energiespar-Anreize. Greenpeace kritisierte, dass "das Geld mit der Gießkanne verteilt" werde und damit bei vielen Haushalten der Anreiz zum Stromsparen verloren gehe. Nötig wäre eine Verpflichtung zum Energiesparen für Haushalte und die Industrie.
Ohne Verknüpfung mit Haushaltsgrößen fehle die soziale Treffsicherheit – und ohne progressive Tarife fehle der dringend nötige Anreiz, verschwenderischen Luxusverbrauch zu reduzieren, konstatierte die NGO Attac, die zudem strenge Auflagen für die Energieversorger vermisst.
"Wenn wir mit der Gießkanne den Geldregen sehr breit streuen, dann sollte uns bewusst sein, dass diese Gießkanne über Steuermittel von uns allen befüllt wird. Eine sehr breite Förderung zahlen wir uns letztendlich also selber", merkte GLOBAL 2000 an – das grundsätzlich aber eine Unterstützung für die Energiekosten, vor allem für arme Haushalte, positiv sieht.
Armutskonferenz fordert Zusatzhilfe für 400.000 Niedrigverdiener
Das Netzwerk Armutskonferenz schlägt vor, bei den Zusatzhilfen neben den GIS-Befreiten auch die Begünstigten aus dem Erneuerbaren Ausbau-Gesetz zu erfassen. Das wären Haushalte mit Niedrigeinkommen, die nicht in der Gruppe der Sozialleistungsbezieher erfasst sind. "Auf der GIS-Seite ist die Gruppe bereits gelistet und könnte unbürokratisch von den billigeren Energiekontingenten profitieren", so das Netzwerk in einer Aussendung. Es handle sich dabei um ungefähr 400.000 Menschen, die zu den bisher genannten 300.000 einkommensschwachen Personen dazu kämen.
Die Strompreisbremse sei laut Armutskonferenz "eine an sich sozial sinnvolle Maßnahme". Die Idee habe man seit Jahren unter dem Begriff einer „Energiegrundsicherung“ diskutiert, die eine bestimmte Versorgung an Strom als Grundanspruch jedem Menschen zusichere. „In diese Richtung könnten wir die jetzt von der Regierung eingeführte Preisbremse zu einer sozialen wie ökologischen Maßnahme weiter entwickeln“, so das Netzwerk.
Ruf nach Entlastungspaket für Non-Profit Organsiationen
Die Wirtschaftskammer begrüßte die Strompreisbremse für die Haushalte als weiteren Schritt, um Kaufkraft zu erhalten. Aber für die WKÖ-Spitze war der Ministerratsbeschluss zudem Anlass, auf entlastende Maßnahmen für die Betriebe zu drängen – auch beim EU-Gipfel am Freitag.
Und auch ein drittes Entlastungspaket wurde verlangt – nämlich für Non-Profit Organsiationen. Caritas-Präsident Landau verwies darauf, dass diese viele von ihnen einen wichtigen Beitrag in der Krisenbewältigung leisten würden, beispielsweise durch Lebensmittelausgaben. Das "Bündnis für Gemeinnützigkeit" - ein Netzwerk von über 3000 NPOs – argumentierte, dass diese ohnehin oft mit sehr knappen finanziellen Mitteln arbeiten und daher stark unter der Energiekostenexplosion leiden. (TT.com, APA)