Teuerung

Historische Zinserhöhung: EZB stemmt sich gegen Rekordinflation

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Die Euro-Währungshüter steigern angesichts der weiter steigenden Teuerung das Tempo bei der Zinswende. Mit der größten Zinserhöhung in der EZB-Geschichte versucht die Notenbank, die Inflation einzudämmen. Volkswirte halten weitere Schritte für notwendig.

Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich mit einer historischen Zinserhöhung gegen die Rekordinflation im Euroraum. Erstmals in der Geschichte der Notenbank beschloss der EZB-Rat eine Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte. Damit steigt der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB leihen können, auf 1,25 Prozent, wie die Notenbank am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Die EZB stellte zugleich weitere Zinserhöhungen in den nächsten Monaten in Aussicht.

Signalisiert hatte der EZB-Rat für seine September-Sitzung bereits frühzeitig eine weitere Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte. Doch weil die Teuerungsrate zuletzt weiter anzog, nahm der Druck auf die Euro-Währungshüter zu, einen größeren Schritt zu beschließen. Höhere Zinsen können steigenden Teuerungsraten entgegenwirken.

Nach langem Zögern hatte der EZB-Rat bei seiner Sitzung am 21. Juli erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euroraum wieder angehoben. Zur Freude von Millionen Sparern beendete die Notenbank die Phase der Negativzinspolitik: Geschäftsbanken müssen seither nicht mehr 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Viele Banken nahmen dies zum Anlass, sogenannte Verwahrentgelte für ihre Kunden abzuschaffen. Der sogenannte Einlagensatz steigt nach der EZB-Entscheidung vom Donnerstag auf 0,75 Prozent.

Die EZB hatte die hohe Inflation lange als vorübergehend interpretiert und hat deutlich später als andere viele andere Zentralbanken die Zinswende eingeleitet. Die US-Notenbank Fed beispielweise hat ihre Leitzinsen bereits mehrfach nach oben geschraubt, dabei zweimal um jeweils 0,75 Prozentpunkte.

Weiterer Anstieg erwartet

Ein Ende der Preissteigerungen im Euroraum ist nicht in Sicht: Im August kletterte die Inflation im Währungsraum der 19 Länder getrieben von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen auf die Rekordhöhe von 9,1 Prozent. Volkswirte rechnen für die nächsten Monate mit einem weiteren Anstieg. Die EZB strebt für den gemeinsamen Währungsraum mittelfristig ein stabiles Preisniveau bei einer Jahresteuerung von zwei Prozent an.

EZB-Chefin Lagarde: Konjunktur im Euroraum droht Stagnation

Frankfurt – Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht angesichts der Gaskrise und hoher Inflation düstere Konjunkturaussichten für die Eurozone. Die Wirtschaft werde sich deutlich verlangsamen, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag nach der Zinssitzung in Frankfurt. Es sei mit einer Stagnation im späteren Jahresverlauf und dem ersten Quartal 2023 zu rechnen.

Dieser Ausblick spiegelt sich auch in den jüngsten von Fachleuten der EZB erstellten Projektionen für das Wirtschaftswachstum wider. Sie wurden für den Rest des laufenden Jahres und für 2023 deutlich nach unten korrigiert. Die Fachleute erwarten nun ein Wachstum von 3,1 Prozent für 2022, von 0,9 Prozent für 2023 und von 1,9 Prozent für 2024.

Viele Volkswirte halten es inzwischen für möglich, dass die Wirtschaft im Euroraum aufgrund der anhaltenden Energiekrise in Folge des Ukraine-Kriegs und der noch nicht ausgestandenen Lieferkettenprobleme im Herbst in eine Rezession rutschen könnte. Jüngste Wirtschaftsdaten untermauerten zuletzt diese Befürchtung. So war beispielsweise der Einkaufsmanagerindex (PMI) für die Privatwirtschaft, die den Industrie- und Servicesektor umfasst, im August unter die Wachstumsschwelle von 50 Punkte gefallen und damit auf den tiefsten Stand seit 18 Monaten. In Deutschland, der größten Volkswirtschaft im Euroraum, war im August der Ifo-Geschäftsklimaindex auf den niedrigsten Wert seit Juni 2020 gesunken.

Inflationsprognose angehoben

Angesichts des anhaltenden Preisschubs bei Energie, Lebensmitteln und anderen Gütern hat die EZB auch ihre Inflationsprognosen abermals angehoben. Ihre Volkswirte gehen für heuer nun von einer durchschnittlichen Teuerungsrate in der Eurozone von 8,1 Prozent aus, wie die EZB am Donnerstag mitteilte. Noch im Juni lautete die Prognose auf 6,8 Prozent.

2023 werde die Inflation dann voraussichtlich bei 5,5 (Juni-Prognose: 3,5) Prozent liegen und 2024 dann auf 2,3 (Juni-Prognose: 2,1) Prozent sinken. "Der Preisdruck hat in der gesamten Wirtschaft weiterhin an Stärke und Breite gewonnen", räumten die Währungshüter ein. "Getrieben wird die Inflation weiterhin von stark steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen, dem in einigen Sektoren herrschenden Nachfragedruck infolge der Wiedereröffnung der Wirtschaft sowie von Lieferengpässen."

Um gegenzusteuern, hob die EZB ihren Leitzins von 0,5 auf nunmehr 1,25 Prozent an. Sie hatte im Juli die Zinswende mit einer unerwartet kräftigen Anhebung um 0,50 Prozentpunkte eingeleitet - es war die erste Erhöhung seit 2011. Die Währungshüter peilen mittelfristig eine Inflationsrate von zwei Prozent an. Dies erachten sie als optimales Niveau für die Wirtschaft. Aktuell liegt die Teuerungsrate aber weit über diesem Ziel: Sie stieg zuletzt auf immer neue Rekordniveaus und stand im August bei 9,1 Prozent. "Auf kurze Sicht könnte die Inflation zudem weiter anziehen", hieß es dazu.

Für immer mehr Menschen werde die hohe Inflation zu einer enormen Belastung, sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel jüngst. Nagel, der im EZB-Rat über die Geldpolitik mitentscheidet, sprach sich für eine "kräftige Zinsanhebung" im September aus und erklärte: "Und in den folgenden Monaten ist mit weiteren Zinsschritten zu rechnen." Die Geldpolitik müsse die hohe Teuerung entschlossen bekämpfen.

Zugleich gibt es unter Währungshütern Sorge, mit einer zu schnellen Normalisierung der zuvor jahrelang ultralockeren Geldpolitik die Konjunktur zu bremsen, die ohnehin mit Lieferengpässen und den Folgen des Ukraine-Krieges etwa auf dem Energiemarkt zu schaffen hat. Die EZB behält sich daher vor, über Anleihenkäufe hochverschuldeten Euro-Staaten unter die Arme zu greifen. (dpa)

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