Betrieb von ukrainischem AKW Saporischschja komplett gestoppt
Internationale Beobachter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) warnen wegen der instabilen Lage in der Atomanlage vor einer Katastrophe. Die Anlage hat demnach keine externe Stromversorgung mehr für die Kühlung von Reaktorkernen und Atommüll.
Kiew – Der Betrieb des von russischen Truppen besetzten ukrainischen Atomkraftwerkes Saporischschja ist nach Angaben des staatlichen Betreibers vollkommen eingestellt worden. Auch der sechste und damit letzte Block der Anlage sei vom Stromnetz genommen worden, teilt Energoatom mit. Rings um das größte AKW in Europa kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen ukrainischen und russischen Truppen. Das Gelände des in der Stadt Enerhodar gelegenen Kraftwerkes wurde wiederholt getroffen.
Laut Energoatom arbeitete das AKW in den vergangenen drei Tagen bereits im "Inselbetrieb", das heißt, es produzierte nur noch Strom zur Eigenversorgung, weil alle Verbindungslinien zum ukrainischen Stromnetz durch den Beschuss unterbrochen worden seien. Am Samstagabend sei dann eine Leitung zum Stromnetz wieder hergestellt worden. Daraufhin sei entschieden worden, das AKW über diese Leitung zu versorgen und den letzten funktionierenden Reaktorblock abzuschalten und auf den sicheren Kaltzustand herunter zu kühlen. Bereits im August gab es eine Notabschaltung des Kraftwerks. Vorausgegangen war ein Beschuss der Anlage, für den sich die Kriegsparteien gegenseitig verantwortlich machten.
Westen besorgt über möglichen Supergau
Internationale Beobachter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) warnen wegen der instabilen Lage in der Atomanlage vor einer Katastrophe. Die Anlage hat demnach keine externe Stromversorgung mehr für die Kühlung von Reaktorkernen und Atommüll.
Das AKW war am Samstagabend auch Thema eines Telefongesprächs des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj . Macron sprach sich dabei laut einer Mitteilung des Élyséepalasts erneut für einen Abzug der russischen Truppen aus dem AKW aus. Beide Präsidenten hätten ihre Unterstützung für die Arbeit der IAEA-Experten an Ort und Stelle bekundet.
Die Ukraine hatte in den vergangenen Tagen im Rahmen einer Offensive überraschend große Erfolge gegen die Besatzer erzielt. Diese erklärten am Samstag ihren Rückzug aus wichtigen Städten der Region Charkiw, es gab auch Berichte über ein Vorrücken in den Regionen Donezk und Luhansk.
Kiew feiert russischen Rückzug aus Region Charkiw
Die ukrainischen Truppen haben nach Einschätzung des britischen Militärgeheimdienstes in den vergangenen 24 Stunden bedeutende Fortschritte bei ihrer Gegenoffensive in der Region Charkiw im Osten gemacht. Das russische Militär habe wahrscheinlich Einheiten von dort abgezogen, heißt es im jüngsten Geheimdienstbericht. Allerdings hielten Kämpfe rings um die Städte Kupjansk und Isjum an.
Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.
Der von Moskau bekannt gegebene Truppenrückzug aus dem ostukrainischen Gebiet Charkiw war in Kiew mit Genugtuung aufgenommen worden. "Besatzer haben in der Ukraine keinen Platz und werden keinen haben", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache in der Nacht auf Sonntag. Selenskyjs Angaben zufolge haben die Ukrainer in den vergangenen zehn Tagen rund 2.000 Quadratkilometer zurückerobert, was der Hälfte der Fläche des Burgenlands entspricht.
In der nach der Millionenstadt Charkiw benannten Region hatte die ukrainische Armee die russischen Besatzer bis Samstag massiv zurückgedrängt. So wurde mit Kupjansk der wichtigste Eisenbahnknotenpunkt eingenommen, wodurch die Nachschublinien aus Russland nach Südwesten gekappt wurden. Wenig später konnten die Ukrainer auch die strategisch bedeutende Stadt Isjum unter ihre Kontrolle bringen. Von dort aus werden weite Teile des Donbass beherrscht. Isjum war Anfang April von den Besatzern eingenommen und zur Bastion mit tausenden Soldaten ausgebaut worden.
Ukraine rückte offenbar auch im Donbass vor
Der Rückzug wurde vom Verteidigungsministerium in Moskau am Samstagnachmittag verkündet. Offiziell wurde er damit begründet, dass durch die Umgruppierung Einheiten im angrenzenden Gebiet Donezk verstärkt werden sollen. Viele Militärexperten gehen jedoch davon aus, dass die Russen angesichts des massiven ukrainischen Vorstoßes im Charkiwer Gebiet zuletzt so stark unter Druck geraten sind, dass sie sich zur Flucht entschieden haben.
Zugleich gab es am Samstagabend Berichte, wonach die ukrainischen Truppen auch in die beiden Donbass-Gebiete Luhansk und Donezk vorgerückt sein sollen. So soll etwa der Flughafen von Donezk eingenommen worden sein. Der Militärgouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, berichtete, die eigenen Truppen seien bereits an den Stadtrand von Lyssytschansk vorgestoßen. Lyssytschansk war im Juli nach wochenlangen Kämpfen als letzte größere Stadt des Gebietes Luhansk von der russischen Armee erobert worden. Vor dem Ende Februar von Russland begonnenen Einmarsch in die Ukraine hatte die Industriestadt knapp 100.000 Einwohner.
Der Chef der prorussischen Separatisten in der selbsternannten "Volksrepublik" Donezk, Denis Puschilin, sprach von einer "schwierigen Lage". Die Situation in der Stadt Lyman sei "ziemlich schwierig, ebenso wie in einer Reihe anderer Orte im Norden der 'Volksrepublik'", sagte Puschilin in einem auf dem Online-Dienst Telegram veröffentlichten Video.
Nach der Bekanntgabe des Rückzugs riefen die russischen Besatzer alle Bewohner der bisher unter ihrer Kontrolle stehenden Orte in Charkiw zur Flucht auf. "Ich empfehle nochmals allen Bewohnern der Region Charkiw, das Gebiet zum Schutz ihres Lebens und ihrer Gesundheit zu verlassen", sagte der Chef der von Russland eingesetzten Militärverwaltung, Witali Gantschew, laut der Agentur Tass. "Jetzt in seinem Haus zu bleiben, ist gefährlich." (APA/Reuters/dpa)
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