Theater in der Josefstadt: "Wir waren nicht überschuldet"
Seit 1. Juli hat das Theater in der Josefstadt mit Thomas Drozda einen neuen Vorsitzenden des Stiftungsvorstands. Zuvor war er u.a. kaufmännischer Chef des Burgtheaters, VBW-Generaldirektor und SPÖ-Kulturminister. Doch die Zeiten sind schwierig: Das Theater benötigte 5,5 Mio. Euro Zusatzsubvention und musste die Vorstellungszahl reduzieren. Nun drohen hohe Kostensteigerungen. Drozda und der kaufmännische Direktor Alexander Götz gaben der APA ihr erstes gemeinsames Interview.
APA: Herr Drozda, im Juni hatte man den Eindruck, Sie würden als neuer Stiftungsvorstand nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Die Entscheidung "wurde mir mitgeteilt, und ich musste das zur Kenntnis nehmen", sagte Direktor Herbert Föttinger damals. "An der Entscheidungsfindung waren wir nicht beteiligt." Das sei "statutenmäßig nicht ganz korrekt passiert - wir hatten aber keine Alternative anzubieten". Wie geht es Ihnen heute an "Ihrem" neuen Haus?
Thomas Drozda: Ich bin hier sehr freundlich und offen empfangen worden. Ich durfte an einer sehr sympathischen Premierenfeier in den Kammerspielen teilnehmen. Ich fühle mich hier gut aufgenommen und nicht gemobbt.
Alexander Götz: Da ging es wirklich nicht um die Person des Mag. Drozda, sondern ausschließlich darum, dass in unseren Statuten steht, dass bei Ernennung von neuen Organen das Einvernehmen zwischen den Subventionsgebern Bund und Stadt und den Mitgliedern der Gruppe Josefstadt herzustellen ist. Das hat nicht stattgefunden und wollte Herbert Föttinger mit seiner Aussage zum Ausdruck bringen.
Drozda: Ich habe mich sehr über das Angebot der Staatssekretärin und der Kulturstadträtin gefreut. Auf die Frage, wie und wann welcher formalrechtliche Beschluss zustande gekommen ist, habe ich weder Einfluss noch davon Kenntnis gehabt.
APA: Damals war bei der Pressekonferenz auch ein Thema: Wie gut kennt der neue Stiftungsvorstand das Haus? War er denn überhaupt in Vorstellungen der Josefstadt? Diese Frage können Sie nun selbst beantworten.
Drozda: Ich habe mein halbes Berufsleben in Theatern verbracht, war fast ein Jahrzehnt Präsident des Bühnenvereins. Ich bin also "frequent visitor", wenngleich nicht immer in Premieren. Aber in Wien gilt, wer nicht in der Premiere war, war nicht dort. Ich freue mich sehr, dass ich nun die Gelegenheit habe, die Josefstadt nicht nur durch den Vordereingang zu besuchen, was ich immer wieder getan habe, sondern auch backstage. Das ist für mich etwas Besonderes, insofern bin ich glücklich mit der neuen Funktion und fühle mich auch ausreichend qualifiziert dafür.
APA: Sie sind aus der Politik ausgeschieden und ins Wohnbaumanagement gewechselt. Wieso hat es Sie nun quasi im Nebenjob wieder zurück zum Theater gezogen?
Drozda: Es ist meine private Leidenschaft. Theater und Oper sind für mich als Gesamtkunstwerke die wichtigsten Kunstformen. Wie viele andere habe ich darunter gelitten, als in der Pandemie Liveaufführungen phasenweise unmöglich waren. Meine neue Funktion ist für mich eine Bereicherung und macht mein Leben glücklicher.
APA: Schauen wir einmal, wie lange das Glück anhält - denn gerade, als man dachte, Corona halbwegs im Griff zu haben, kamen die nächsten Krisen. Herr Götz, wie geht es dem Theater in der Josefstadt derzeit angesichts von hoher Inflation und Energiekrise? Wie sehr haben Sie Ihr Budget bereits adaptieren müssen?
Götz: Wir haben uns - auch dank der Unterstützung von Bund und Stadt Wien - wieder auf eine stabile Basis begeben und dies auch durch Forecasts untermauert. Jenen von März mussten wir allerdings bereits im Juni erstmals adaptieren und bei den zu erwartenden Aufwendungen für Energie nachfassen. Ob das ausreichen wird, ist Kaffeesudlesen. Gas kann man bei uns mit einem Anteil von zwei bis drei Prozent vernachlässigen. Fernwärme macht bei uns 21 Prozent der Energiekosten aus, Strom 76 Prozent. Wir haben schon im Vorfeld in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Schritte in Richtung einer besseren Energiesteuerung unternommen. Wir werden daher weniger Strom verbrauchen - die Energiekosten werden dennoch von 250.000 Euro (in der "vorpandemischen" Saison 2018/19, Anm.) auf knapp eine Million Euro steigen.
Drozda: Dieses Thema treibt alle um, Haushalte wie Unternehmen, Gewerbe, Industrie - und natürlich auch die Kulturbetriebe. Das ist ein riesiges ausgabenseitiges Problem. Daher braucht es unbedingt auch eine diesbezügliche Unterstützung der Kulturlandschaft. Es wäre wichtig, dass das im Rahmen der Budgetierung Berücksichtigung findet.
APA: Zuletzt gab es für das Theater 5,5 Mio. Euro an zusätzlichen Mitteln von den Subventionsgebern. Ist absehbar, wann Sie weiteres zusätzliches Geld brauchen?
Götz: Dank dieser Zuwendungen haben wir ein positives Eigenkapital, und das wird laut letzten Planungen gerade noch reichen bis zum Ende des Geschäftsjahres 2022/23, das bis Ende August 2023 reicht. Die Energiekosten werden sich sicher weiter erhöhen, und das Zweite, was mir Sorge bereitet, sind die Kostensteigerungen beim Personalaufwand, der mit 75 Prozent der Gesamtkosten den wesentlichsten Hebel ausmacht. Wir haben 20 Millionen Personalaufwand. Jedes Prozent kollektivvertragliche Steigerung entspricht daher weiteren 200.000 Euro Erhöhung des Personalaufwandes.
APA: Aufgrund der Einsparungs- und Umstrukturierungsvorschläge der Unternehmensberatungsfirma BDO hat man Doppelvorstellungen und viele Zusatzveranstaltungen gestrichen. Früher war man gewohnt, dass es in der Josefstadt nur so gebrummt hat, dass, salopp gesagt, zu jeder Tages- und Nachtzeit gespielt wurde. Wird die neue Situation von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nur als Erleichterung empfunden? Oder geht auch ein wenig vom Spirit des Hauses verloren?
Götz: Wir brummen nach wie vor - aber wir brummen in einem etwas anderen Modus. Ich glaube, dass der Modus, sich bis zur Erschöpfung zu verausgaben, speziell in den vergangenen zwei Jahren extrem anstrengend war. Da vom Tempo runterzugehen, ist für alle eine gewisse Erleichterung. Natürlich ist damit auch innerbetrieblich eine gewisse organisatorische Umstellung verbunden - die wir aber schon vor dem Sommer angegangen sind. Ökonomisch ist es ein Vorteil, denn Theaterspielen kostet mehr als es bringt - und soll ja auch einen wichtigen kulturellen und gesellschaftlichen Auftrag erfüllen.
Drozda: Das ist sicher eines der überlegtesten, bestgerechneten und wohlbegründetsten Betriebskonzepte, die ich jemals bei einem Theaterbetrieb gesehen habe. Die Reduktion von 660 auf 550 Vorstellungen mit einhergehender Reduktion der Bühnenproben ist wirklich eine exzellente Grundlage. Es macht keinen Sinn, permanent mit 140 Stundenkilometern auf der Autobahn zu fahren, wenn in Wahrheit alles auf 100 ausgerichtet ist.
Götz: Wir sind auch weiterhin der effizienteste Theaterbetrieb im deutschen Sprachraum, weil wir die besten Kennzahlen haben. Es geht darum, dass wir uns stabil, zukunftsorientiert und in Abstimmung mit Subventionsgebern und Beratern auf einem sicheren Weg in die Zukunft bewegen. Was wir jetzt umgesetzt haben, bedeutet ja nicht, dass das in Stein gemeißelt ist. Wenn wir in der Lage sind, zusätzliche Deckungsbeiträge zu erzielen, dann sind wir auch berechtigt, das wieder zu überdenken.
APA: Ist auch die andere Richtung denkbar? Bei der Vereinbarung mit den Subventionsgebern wurde ja auch eine Überprüfung von "Alternativen zum derzeitigen Repertoire- und Premierensystem" vereinbart.
Götz: Das Konzept, das von Aufsichtsrat und Stiftungsvorstand abgenommen wurde, hat eine Position gefunden, die den Anforderungen des Subventionsgebers entspricht. Wir gehen daher davon aus, dass es jetzt in ein ruhigeres Fahrwasser kommen muss, damit wir das, was wir uns vorgenommen haben, auch umsetzen können - mit einem monatlichen und quartalsweisen Controlling. Wir sind gut unterwegs.
Drozda: Diese Zuversicht teile ich ausdrücklich. Ich bin der Meinung, dass man bei einem Theater mit dieser Tradition und Reputation nicht Grundfragen über Ensembleprinzip und Repertoiresystem stellen sollte. Das ist das Theater mit der höchsten Eigenfinanzierung im D-A-CH-Raum. Es ist das Theater mit der größten Vorstellungsanzahl, das Theater mit einem der höchsten AbonnentInnenanteile. Das kann man alles ganz schnell zerstören. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, hier die Stimme der Erfahrung und der Vernunft zu erheben. Für so einen Unsinn würde ich nicht zur Verfügung stellen.
APA: Die radikal unterschiedliche Darstellung der Lage der Wien Energie hat mich neulich an die Diskrepanz erinnert, wie im vergangenen Winter die finanzielle Lage des Theaters in der Josefstadt dargestellt wurde. "Die Lage war bedrohlich, aber wir sind unserer gemeinsamen Verantwortung nachgekommen. Eine drohende Insolvenz ist ein schreckliches Szenario", hat es die Staatssekretärin im Gespräch mit mir genannt. Der damalige Stiftungsvorstand Rhomberg nannte Berichte über eine arge finanzielle Schieflage dagegen eine "unkorrekte Meldung Wiener Medien". Föttinger sagte, die 5,5 Mio. - die sich laut Angaben der Politik aus einem in der Saison 2020/21 entstandenen Jahresverlust von 2,3 Mio. Euro und einem bereits davor bestehenden Bilanzminus von weiteren 3,2 Mio. Euro zusammensetzten, seien keine Entschuldung gewesen, sondern "eine Zusatzförderung". Wie dramatisch war die Situation wirklich?
Götz: Wir haben ein Gutachten erstellen lassen, ob der Betrieb konkurs- oder insolvenzrechtlich überschuldet ist. Es hat sich herausgestellt, dass das selbstverständlich nicht der Fall ist. Die 5,5 Millionen waren jedoch sehr wohl erforderlich. Wir hatten aufgrund der Pandemie Mindereinnahmen von 13,3 Mio Euro. Wir haben angesucht wie die Wilden, doch die covid-spezifischen Hilfen, die wir lukrieren konnten, lagen leider nur bei 7,8 Millionen. Was uns gefehlt hat, um ausgeglichen zu sein, waren die 5,5 Millionen, die wir dankenswerter Weise bekommen haben. Ein Wirtschaftsprüfer hat uns für 2021 einen unbeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt. Ich mache mir keine Sorge, dass wir so einen Bestätigungsvermerk auch für 2022 bekommen werden.
APA: Laut der Verlautbarungen der Politik ging es aber sehr wohl nicht nur um Corona, sondern auch um die gelebte Struktur des Theaters, die eine permanenten Überforderung bedeutet hat.
Götz: Die gewünschte Strukturänderung hat nun auch zu substanziellen Änderungen geführt. Wir haben jetzt eben weniger Vorstellungen - das ist ja okay. Auf der Autobahn dürfen Sie auch nur 130 fahren. Wenn wir zu schnell unterwegs sind, und das wird als Problem identifiziert, dann werden wir uns dem nicht verschließen.
APA: Hätte die Geschäftsführung des Theaters das aber nicht selber rechtzeitig erkennen und bremsen müssen?
Götz: Welcher Künstler steigt von selber auf die Bremse und macht freiwillig weniger? Welcher Kaufmann ändert ein System, das bisher so gut funktioniert hat? Umsatz, Besucher, Vorstellungsanzahl - das waren die Kennzahlen, an denen man uns gemessen hat. Da erleben wir jetzt eine gravierende Veränderung. Das ist kein Vorwurf - sondern ein Umdenkprozess, der eingekehrt ist, und der, wie ich glaube, für die Josefstadt gut und zukunftsweisend ist.
APA: Apropos zukunftsweisend: Herr Drozda, Ihr Vorgänger war 17 Jahre im Amt. Auf wie viele Jahre legen Sie es an?
Drozda: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Zwei Geschäftsführungsperioden zu begleiten ist aber, denke ich, ein guter Zeitraum für den Vorsitzenden eines Aufsichtsorgans. Es werden ja auch Personalentscheidungen zu treffen sein. Herbert Föttinger, der nichts anderes geschafft hat als die komplette Neuerfindung dieses Theaters, steht glücklicherweise noch bis 2026 zur Verfügung. Die Findung seiner Nachfolge werde ich jedenfalls begleiten - und hoffentlich noch eine gewisse Zeit danach.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)