Lukas Resetarits: Neues Buch, neues Programm und bald 75
75 Jahre und kein bisschen leise. Am 14. Oktober feiert der Kabarettist und Schauspieler Lukas Resetarits seinen 75. Geburtstag. Vier Tage davor wird sein 29. Soloprogramm im Stadtsaal Premiere haben. Es heißt "Über Leben". Der Altmeister wird darin nicht nur über sein Leben erzählen, sondern auch vom Überleben, das schon einmal deutlich leichter war. Über seine Kindheit und Jugend erzählt er dagegen in seinem heute erscheinenden Buch "Krowod". Viele Gründe für ein Interview.
Das Buch hat Lukas Resetarits seinem im April gestorbenen Bruder Willi gewidmet. Wie sehr geht er ihm ab? "Einerseits sehr, andererseits gar nicht, denn oft fühlt es sich noch so an, als wäre er eh' noch da." Ohne seinen jüngeren Bruder wäre aber Lukas sicher nicht dort, wo er seit 1977 nicht mehr wegzudenken ist: auf der Kabarettbühne. Denn seine erste Bühnenfigur, einen Tramwayschaffner, der als Hobby-Naturforscher die urigsten Tiere entdeckt, hat er auf Willis Vorschlag entwickelt und vor und zwischen Auftritten der "Schmetterlinge" zum Einsatz gebracht.
Mit Willi verbindet ihn unter anderem auch eine doppelte Identität: Als Erich Lukas Resetarits geboren, war Lukas bis zu seinem 30. Lebensjahr für alle der Erich. Erst als in der Kabarettgruppe Keif mit Erich Demmer ein Namensvetter mit dabei war, wechselte er zu seinem zweiten Vornamen. In der Familie und für frühe Freunde sei er bis heute der Erich (und für den jungen, ebenfalls über Stinatzer Jugend-Bindungen verfügenden Kollegen Thomas Stipsits, der "Onkel Erich", Anm.), in allen Kabarett-Zusammenhängen jedoch der Lukas. "Diese beiden Identitäten konkurrieren jedoch nicht, sondern sie koexistieren." Bei Willi und seiner Kunstfigur Ostbahn-Kurti sei die Gefahr der Schizophrenie viel größer gewesen, sagt Lukas Resetarits - und enthüllt, dass es zunächst durchaus Überlegungen gegeben habe, die Figur des Kurt Ostbahn nicht seinem Bruder, sondern ihm auf den Leib zu schneidern.
Dazu fehlte ihm jedoch die Courage - und die musikalische Begabung, wie er freimütig zugibt. Immerhin leben noch Augen- und Ohrenzeugen, die den späteren gefeierten Kabarettisten als Leadsänger der Beat-Band "Jerry and the G-Men" kennengelernt haben. Deren Auftritte füllen einige amüsante Kapitel der von Fritz Schindlecker in dem Buch aufgezeichneten Erinnerungen. Für eine Rocker-Karriere habe ihm Musikalität und Übungsehrgeiz gefehlt, sagt Lukas, "aber die Stones-Nummern habe ich alle spielen können". Dass er zu Erich, Lukas und Jerry später mit dem von ihm im TV verkörperten Major Kottan noch eine vierte Identität verpasst bekam, deren Popularität zwar verkaufsfördernd, doch auch überaus lästig war, ist eine andere Geschichte, die möglicherweise einmal in einem weiteren Buch erzählt wird.
War der herannahende 75er eigentlich Auslöser für das jetzige Buch über seine ersten 30 Jahre? "Gar nicht so sehr", meint er im Gespräch mit der APA. "Geschichten über diese Zeit waren immer schon ein Thema." Nur habe er sie bisher nie gesammelt und in eine Form gebracht. Dafür war nun sein langjähriger Freund Schindlecker verantwortlich, dessen zahlreiche ergänzende Recherchen das Erinnerungsbuch auch ein wenig zu einem zeithistorischen Dokument machen. Das Buch heißt "Krowod" - obwohl der kleine Lukas schon mit vier Jahren mit seinen Eltern aus dem kroatischsprachigen Stinatz nach Wien-Favoriten übersiedelte und dort aufwuchs. "Ich habe aber alle Ferien bei den Großeltern verbracht. Dieser Bezug hat sich später natürlich verdünnt, die Erfahrungen von damals sind aber immer präsent geblieben."
Viele Geschichten und G'schichtln sind in den Buch enthalten, aber auch manche große Namen: beim jungen Adolf Holl ministrierte er, bei Professor Asperger absolvierte er Übungen im Psychologie-Studium. Aber vor allem lernt man den jungen Mann, dessen Vater am Bau zum Polier aufstieg und sich in Wien-Floridsdorf den Traum eines eigenen Hauses erfüllen konnte, als langhaarigen "Gammler" in München und Venedig kennen - samt Polizei- und Drogenerfahrungen. "Wirklich gefährdet war ich aber nicht: Vieles probiert, aber never addicted." Die Schilderung eines Trips, bei dem eine Mischung aus Schwarzer Afghane und LSD seinem Hirn eine brutale Razzia vorgaukelte, zählt jedoch zu den Höhepunkten des Buches. "Ich kann mich heute noch ganz genau daran erinnern - wie an eine Filmszene."
Dass er am Ende doch nach Hause zurückkehrte, Haare ließ und einen bürgerlichen Beruf annahm, sei "der Weg der Verantwortung" gewesen, meint Lukas Resetarits - Verantwortung für Frau und Kind und dafür, "dass ich meine Eltern nicht ins Grab bringe". Er wurde Traffic-Officer auf dem Flughafen Schwechat, konnte die Beladung für 30 verschiedene Flugzeugtypen berechnen und hatte offenbar mit einer Gruppe gleichaltriger Kollegen einen Riesen-Spaß an dem Job, in dem je nach Verkehrslage Schmäh und Verantwortung, Konzentration und Verwegenheit einander abwechselten.
"Es war die Zeit der Flugzeugentführungen", erzählt er. "In mancher Woche hatten wir bis zu drei Highjacks mit Destination Vienna. Und wenn etwa Polen mit einem Schraubenzieher die Maschine nach Wien entführten, um hier um politisches Asyl anzusuchen, blieb mitunter auch gleich die Hälfte der entführten Passagiere hier." Er selbst kehrte jedoch von einer Fortbildung in Sydney, wo ihn die australische Airline Qantas am liebsten dabehalten hätte, nach Hause zurück. Doch noch heute verfolgt er die Flüge seiner Lieben am Flight-Radar ("Ich hab die Platin-Version auf meinem Handy.") und checkt Wetter und Windstärken auf deren Routen.
Davon, dass in seiner Jugend Strawanzen noch möglich und das Zeitgefühl ein anderes war, will Lukas Resetarits auch in seinem neuen Programm "Über Leben" erzählen: "Ich möchte den Leuten nahe bringen, dass man beim Gehen eine geringere Geschwindigkeit hat als beim Surfen." Dass sein voriges Programm "Das Letzte" mit Scherzen über "Basti, Blümi und Elli" und ihren Weg in die "ökosoziale Sklavenwirtschaft" zwar real noch kaum eineinhalb Jahre her, von den Inhalten jedoch eine gefühlte Ewigkeit entfernt ist, beweist für den Kabarettisten: "Man kann nicht mehr Schritt halten. Man kommt nicht mehr nach. Bis zu meinem 20. Programm konnte ich stets die komplette Ministerriege auswendig. Mittlerweile hab ich schon mal in zwei Programmen fünf Regierungen gehabt."
Angesichts von Klimakatastrophe sowie Untätigkeit und Unfähigkeit auch jener Parteien, zu denen er früher eine Nähe verspürt habe, schwankt er zwischen Wut und Sorge. Zwar habe die Dummheit nicht zugenommen ("sie wird nur sichtbarer"), die Dinge seien jedoch noch komplizierter geworden: "Finden Sie einmal jemanden, der die Energiepreisbildung erklären kann!" Als Kabarettist schaffe er auf der Bühne Dystopien mit realem Hintergrund, als typischer Österreicher glaube er, dass es wohl nicht ganz so schlimm werde. Wenn es also im Senegal so heiß wird, "dass dort nur noch die Bratwürstl wachsen können", dann werde eben der Safaripark Gänserndorf mit senegalesischem Personal wieder aufgesperrt, lautet einer seiner Vorschläge im neuen Programm. Freilich müsse man den dort lebenden Raubtieren erst vegane Kost schmackhaft machen. Weil Autofahren künftig gar nicht mehr geht, muss der Safaripark-Besuch nämlich per Fahrrad absolviert werden.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Lukas Resetarits: "Krowod - Erinnerungen an meine Jugend", aufgezeichnet von Fritz Schindlecker, Ueberreuter Verlag, 196 Seiten, mit zahlreichen Fotos und einem Vorwort von Thomas Stipsits, 25 Euro)