Krieg in Ukraine

Moskau bezeichnet Vorwürfe zu Gräbern in Isjum als „Lügen"

Die Region Charkiw ist vom Krieg gezeichnet. Selenskyj möchte bald weitere Gebiete zurückerobern.
© APA/AFP/SERGEY BOBOK

Laut Medienbegriffen gab es in Donezk durch Beschüsse 13 Tote. Der ukrainische Präsident Selenskyj kündigt weitere Rückeroberung von Gebieten an. Unterdessen meldete die Ukraine russische Angriffe auf das Atomkraftwerk Piwdennoukrajinsk.

Kiew, Moskau – Moskau hat die ukrainischen Vorwürfe zu hunderten Gräbern in der Nähe der Stadt Isjum im Osten der Ukraine als "Lügen" zurückgewiesen. "Das sind Lügen. Wir werden natürlich die Wahrheit in dieser Geschichte verteidigen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag. Nach Angaben ukrainischer Behörden wurden nach der Rückeroberung des lang von russischen Truppen besetzten Gebietes von Isjum durch ukrainische Einheiten mehr als 440 Gräber und ein Massengrab entdeckt.

Seit Beginn der russischen Intervention in der Ukraine hat Russland mehrfach dementiert, dort Gräueltaten verübt zu haben. "Das ist dasselbe Szenario wie in Butscha", sagte Peskow am Montag mit Blick auf eine andere ukrainische Stadt in der Nähe von Kiew, wo den russischen Einheiten nach deren Abzug ebenfalls Gräueltaten vorgeworfen worden waren.

In der von russischen Truppen kontrollierten ostukrainischen Stadt Donezk starben indes mindestens 13 Menschen durch Artilleriebeschuss. Zwei Granaten seien an einer Bushaltestelle und in einem nahen Geschäft eingeschlagen, berichteten lokale Medien am Montag. Zur Zahl der Verletzten gab es zunächst keine Angaben. Die lokalen Machthaber machten ukrainische Truppen für den Beschuss verantwortlich. Kiew weist derartige Anschuldigungen regelmäßig zurück und wirft Moskau vor, mit Selbstbeschuss Bilder für die eigenen Medien zu produzieren. Unabhängig bestätigen ließen sich die Angaben nicht.

Russische Luftwaffe mit Verlusten

Britische Experten kamen unterdessen zur Einschätzung, dass die russische Luftwaffe im Krieg zunehmend unter ukrainischen Druck gerät. In den vergangenen zehn Tagen habe Russland offensichtlich vier Kampfjets verloren und damit insgesamt 55 Maschinen seit Beginn des Angriffs Ende Februar, teilte das britische Verteidigungsministerium am Montag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit.

Experten: Putin setzt auf Alternativen zu regulären Truppen

Washington, Kiew, Moskau – Angesichts bedeutender Verluste bei seinen Streitkräften im Ukraine-Krieg ist Kreml-Chef Wladimir Putin nach Ansicht unabhängiger Militärexperten immer stärker auf Alternativen angewiesen. Der Kreml konzentriere sich zunehmend darauf, schlecht vorbereitete Freiwillige in irregulären improvisierten Einheiten zu rekrutieren, schrieben die Analysten des Institute for the Study of War (ISW) mit Sitz in Washington am Sonntagabend (Ortszeit).

Einen Grund dafür sehen die Experten in Putins getrübtem Verhältnis zur eigenen Militärführung und dem Verteidigungsministerium über den Sommer hinweg, insbesondere nach den jüngsten Gebietsverlusten. Bei ihrer Gegenoffensive im Nordosten der Ukraine Anfang September sind die ukrainischen Kräfte im Gebiet Charkiw bis an den Oskil vorgestoßen.

Eine Generalmobilmachung für den seit mehr als einem halben Jahr dauernden Krieg in der Ukraine gibt es in Russland bisher nicht. Die Armee und Präsident Putin sind daher auf Freiwillige angewiesen. Die russischen Streitkräfte rekrutierten zudem zunehmend Strafgefangene, setzten Elemente der russischen Sicherheitsdienste ein und mobilisierten verdeckt Männer aus den teilweise besetzten Gebieten Donezk und Luhansk, hieß es in dem ISW-Bericht weiter.

Die Bildung solcher improvisierten Einheiten werde zu weiteren Spannungen, Ungleichheit und einem Mangel an Geschlossenheit unter den Truppenteilen führen. Angesichts ihrer kurzen Ausbildung verfügten sie über "nur wenig effektive Kampfkraft". (dpa)

Der Anstieg der Verluste sei womöglich teilweise darauf zurückzuführen, dass die russische Luftwaffe ein größeres Risiko eingehe, um Bodentruppen unter dem Druck ukrainischer Vorstöße aus nächster Nähe zu unterstützen, hieß es in der britischen Expertise weiter. Hinzu komme das schlechte Situationsbewusstsein russischer Piloten. Einige Flugzeuge seien wegen der sich schnell bewegenden Front über ukrainisch kontrolliertem Gebiet in dichtere Luftverteidigungszonen geraten. "Russlands andauernder Mangel an Luftüberlegenheit bleibt einer der wichtigsten Faktoren, die die Fragilität seines operativen Designs in der Ukraine untermauern", betonte das Ministerium.

Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor.

Wie die ukrainische Armee auf Telegram mitteilte, schoss eine Luftabwehrrakete gegen 8.00 Uhr Ortszeit (07.00 Uhr MESZ) einen Kampfjet des Typs Su-25 in der Region Cherson ab. Dort ist derzeit eine ukrainische Offensive zur Rückeroberung im Gange.

TT Digitalabo: 1 Monat um nur € 1,-

inkl. TT-ePaper und tt.com plus

Selenskyj kündigt Offensiven an

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte indes neue Angriffe auf das von russischen Truppen besetzte Gebiet an. "Vielleicht erscheint es irgendjemandem unter Ihnen so, dass nach einer Reihe von Siegen Stille eingetreten ist, doch das ist keine Stille", sagte Selenskyj am Sonntag in seiner täglichen Videoansprache. Vielmehr sei es die Vorbereitung auf die nächste Offensive, deren Ziel die Rückeroberung von Mariupol, Melitopol und Cherson sei.

Nach Angaben Selenskyjs wird sich die Ukraine dabei nicht nur auf die Gebiete konzentrieren, die es vor dem russischen Überfall im Februar kontrollierte. Auch die Territorien der von Moskau unterstützten Separatisten im Osten des Landes und Städte auf der seit 2014 von Russland annektierten Krim würden zurückerobert, kündigte der 44-Jährige an. "Denn die gesamte Ukraine muss frei sein." Derzeit hält Moskau noch rund 125.000 Quadratkilometer der Ukraine besetzt, was etwa einem Fünftel des Staatsgebietes entspricht.

Selenskyj erhob am Montag in der Früh neuerlich schwere Vorwürfe gegen Russland. Mit seinem neuerlichen Beschuss eines Atomkraftwerkes würde der Aggressor "die ganze Welt bedrohen", schrieb der Präsident auf Telegram. "Wir müssen sie stoppen, bevor es zu spät ist." Die Ukraine hatte zuvor russische Angriffe auf das Atomkraftwerk Piwdennoukrajinsk im Süden des Landes gemeldet. Alle drei Reaktoren des AKW blieben aber unbeschädigt und funktionierten normal, teilte der staatliche Betreiber Energoatom am Montag weiter mit. Eine Detonation habe es 300 Meter entfernt von den Reaktoren gegeben. Dabei seien Gebäude beschädigt worden, außerdem seien durch den Angriff Schäden an einem Wasserkraftwerk in der Nähe entstanden. (APA/dpa)

undefined

Ukraine-Krieg

Druck steigt: Scholz für „Besonnenheit" bei Waffenlieferungen an Ukraine

undefined

Ukraine-Krieg

Russland verstärkt angeblich Angriffe mit Langstreckenraketen deutlich

Verwandte Themen