Italien

Meloni erhebt Anspruch auf Regierungsbildung, PD-Chef tritt zurück

Fratelli d'Italia waren bei der Parlamentswahl 2018 mit etwas mehr als 4,0 Prozent noch weitgehend unbedeutend gewesen. Jetzt gelang ihnen ein Erdrutschsieg.
© ANDREAS SOLARO

Bei den Parlamentswahlen in Italien zeichnet sich laut ersten Hochrechnungen ein klarer Wahlsieg der Mitte-Rechts-Allianz um die Wahlfavoritin und Rechtsaußen-Politikerin Giorgia Meloni ab. Sozialdemokraten-Chef Letta kündigte Rückzug an.

Rom – Bei den Parlamentswahlen in Italien zeichnet sich ein klarer Wahlsieg der Mitte-Rechts-Allianz um die Rechtsaußen-Politikerin Giorgia Meloni ab. Meloni, deren postfaschistische Partei Fratelli d ́Italia der klare Sieger der Wahl ist, erhob in der Nacht auf Montag Anspruch auf die Regierungsbildung. Ihr Mitte-Rechts-Block kommt laut Hochrechnungen auf rund 44 Prozent der Stimmen. Das dürfte dank des Wahlrechts in beiden Kammern des Parlaments für eine bequeme Mehrheit reichen.

Laut Prognosen des öffentlich-rechtlichen Senders RAI am Montag kommt das Mitte-Rechts-Lager in der Abgeordnetenkammer auf 232 bis 252 der insgesamt 400 Mandate, im Senat auf 114 bis 126 der insgesamt 200 Sitze. Wie erwartet gewann der geeinte Rechtsblock viele der nach Mehrheitswahlrecht vergebenen Sitze.

Melonis Partei ist eine der Nachfolgeparteien der von alten Faschisten nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Partei Movimento Sociale Italiano (MSI). Die Brüder Italiens tragen nach wie vor die Flamme in den italienischen Nationalfarben, das Symbol der MSI, in ihrem Parteilogo. Meloni hielt trotz massiver Kritik an der "fiamma tricolore" fest. Sonst gab sie sich im Wahlkampf betont moderat und bemühte sich besonders, auch Sorgen im Ausland vor einem Rechtsruck zu zerstreuen.

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Meloni sah bereits in der Nacht den Regierungsauftrag beim rechten Lager unter Führung ihrer Partei. Auf Grundlage der Hochrechnungen lasse sich sagen, dass die Italiener an den Wahlurnen ein klares Zeichen gesendet hätten, sagte Meloni in Rom. Sie sprach von einer "Nacht des Stolzes" und einer "Nacht der Erlösung".

Meloni sieht den Regierungsauftrag beim rechten Lager unter Führung ihrer Partei. Auf Grundlage der ersten Hochrechnungen lasse sich sagen, dass die Italiener an den Wahlurnen ein klares Zeichen gesendet hätten, sagte Meloni Dienstagfrüh in Rom. Sie sprach von einer "Nacht des Stolzes" und einer "Nacht der Erlösung".

Zu ihren Anhängern sagte sie, man sei nicht am Ziel angelangt, sondern stehe am Beginn eines Aufbruchs. Nun sei Einigkeit gefragt, um die vielen Probleme im Land anzugehen. "Wenn wir dazu aufgerufen werden, diese Nation zu regieren, werden wir dies für alle Italiener tun, mit dem Ziel, das Volk zu vereinen, das Verbindende zu fördern und nicht das Trennende", sagte Meloni vor Journalisten. Man werde das Vertrauen der Wähler nicht missbrauchen.

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Sozialdemokraten-Chef Letta kündigte Rückzug an

Der Chef der Sozialdemokraten kündigte wegen der Wahlniederlage seinen Rückzug von der Parteispitze an. . Er werde seine Partei noch bis zum Parteitag im Frühjahr führen. Danach werde er nicht mehr für den Chefposten kandidieren, erklärte Letta am Montag auf einer Pressekonferenz in Rom. Letta, der zwischen 2013 und 2014 Regierungschef war, führt die Mitte-Links-Partei seit 2021.

Bei der Wahl landete die PD mit rund 19 Prozent klar abgeschlagen hinter den Fratelli d ́Italia auf dem zweiten Platz. Melonis Partei dürfte mit knapp 26 Prozent der Stimmen klar stärkste Einzelpartei werden. Für die einstige Kleinpartei, die bei der Parlamentswahl 2018 noch 4,4 Prozent erreicht hatte, ist es ein Erdrutschsieg.

Auf Platz drei kam die Fünf-Sterne Bewegung mit mehr als 15 Prozent der Stimmen. Die mit Meloni verbündete Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini stürzte dagegen laut den Hochrechnungen auf unter 9 Prozent und den vierten Platz ab. Sie liegt nur knapp vor der konservativen Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi, der ebenfalls dem Rechtsbündnis angehört.

Salvini versicherte bei einer Pressekonferenz am Montag in Mailand, dass er über Melonis Wahlerfolg "nicht neidig" sei. Er werden jedenfalls an einer "Neuorganisation" seiner Partei arbeiten und vor allem auf Lokalpolitiker setzen. An den Rücktritt denke er nicht. Auf die neue Regierung setzt Salvini große Hoffnungen. "Die neue Regierung geht aus den Beschlüssen der Italiener hervor", sagte Salvini.

Als Überraschung erwies sich die relativ gute Leistung der liberalen Zentrumspartei Azione von Ex-Industrieminister Carlo Calenda im Bündnis mit der Mitte-Links-Partei Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi, die 7,7 Prozent der Stimmen erobern könnte, was deutlich über den Erwartungen der Meinungsforschungsinstitute vor den Wahlen liegt.

Die Beteiligung an der Parlamentswahlen erreichte einen historischen Tiefstand. 64 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Das sind zehn Prozent weniger gegenüber den letzten Parlamentswahlen im März 2018, teilte das italienische Innenministerium mit. Vor allem in Süditalien blieben die Wähler von den Wahllokalen fern.

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Kritiker bemängelten, dass sich Melonis Partei nie klar von Faschismus losgesagt hat. Meloni distanzierte sich zwar selbst von eigenen früheren Aussagen, wonach Mussolini ein großer Mann gewesen sei, eine klare Abgrenzung vom Faschismus fehlt aber. Vertreter ihrer Partei fielen zudem immer wieder mit rechtsextremen Ausfällen auf. Erst wenige Tage vor der Wahl brachte ein Regionalpolitiker der Fratelli d'Italia Meloni unter Druck. In einem Video war zu sehen, wie er bei der Beerdigung eines früheren Rechtsextremen den Arm zu dem im Faschismus verwendeten sogenannten römischen Gruß ausstreckte. Brisant: Der Politiker ist der Bruder von Ignazio La Russa, einem Mitbegründer und führenden Vertreter von Fratelli d'Italia.

Dieser reagierte erstaunt über die Aufregung: "Ich bin stinksauer und zwar wegen der Sache an sich, aber auch wegen der völlig übertriebenen Art und Weise, wie mit diesem Gruß umgegangen wird, den sich ein Toter gewünscht hat. Auch Meloni ist über den Wirbel wegen des Vorfalls erstaunt", erklärte Ignazio La Russa.

EU-Abgeordnete besorgt über Sieg des Rechtsbündnisses

Nach den Parlamentswahlen in Italien warnen führende EU-Abgeordnete vor einer Regierung in Rom, die von der rechtsnationalen Partei Giorgia Melonis angeführt wird. "Giorgia Meloni wird eine Ministerpräsidentin sein, deren politische Vorbilder Viktor Orbán und Donald Trump heißen. Der Wahlsieg des Bündnisses von Rechts-Mitte-Parteien in Italien ist deshalb besorgniserregend", sagte Katharina Barley (SPD), Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, zur "Welt".

Melonis wahlkampftaktisches Lippenbekenntnis für Europa könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine Gefahr für das konstruktive Miteinander in Europa darstelle. "Die Autokraten bekommen mit ihr eine Lobbyistin im Rat, also der Vertretung der 27 EU-Mitgliedsländer, um Sand ins Getriebe der EU zu streuen." Barley rief die Parteien im Europäischen Parlament und die EU-Länder auf, sich Störmanövern aus Rom von Anfang an zu widersetzen.

Der Co-Chef der europäischen Grünen, der Österreicher Thomas Waitz, sagte der "Welt", die EU könne nur funktionieren, wenn sie zusammenhalte, beispielsweise bei der Kooperation auf den Energiemärkten, bei Beschlüssen über Russland-Sanktionen oder bei der Bewältigung der Corona-Krise."Meloni würde dagegen auf nationale Alleingänge setzen, sie kann eine Katastrophe für Europa werden."

Kräfteverhältnis bei Rechts-Parteien gedreht

Innerhalb des Mitte-Rechts-Lagers hat sich damit das Kräfteverhältnis umgekehrt. Der einstige politische Anführer des Lagers, der fast 86-jährige Silvio Berlusconi, ist mit seiner konservativen Forza Italia schon seit Jahren nur mehr ein Schatten seiner selbst. Nun scheint auch der Stern des Rechtspopulisten Matteo Salvini seinen Zenit überschritten zu haben. Seine Lega verlor offenbar massiv Stimmen an den verbündeten FdI.

Auf Grund der Rivalität wurden in den vergangenen Wochen vermehrt Spannungen zwischen den verbündeten Politikern offensichtlich. Salvini ließ wiederholt mit offener Kritik an seiner Verbündeten Meloni aufhorchen. Allerdings gehen zahlreiche Beobachter davon aus, dass die Rechtsparteien zusammenarbeiten werden, um an der Macht zu bleiben. "Die Regierung wird felsenfest sein, weil sie wollen wirklich an die Macht", meinte etwa der Direktor des Robert Schuman Zentrums am Europäischen Hochschulinstituts (EUI) in Florenz Erik Jones gegenüber der APA. Schließlich sei auch die bisher am längsten amtierende italienische Nachkriegsregierung eine Rechtsregierung unter der Führung Berlusconis gewesen. Gemeinsam mit der Lega Nord, wie die Lega damals noch hieß, und der postfaschistischen Alleanza Nazionale, der auch Giorgia Meloni einst angehörte, regierte die Forza Italia von 2001 bis 2005.

Schauspielerin Lollobrigida verfehlte Sprung in Senat

Die italienische Diva Gina Lollobrigida muss auf ihre Träume einer späten politischen Karriere verzichten. Die 95-jährige Filmikone, die in den Reihen der Anti-Establishment-Partei "Italia sovrana e popolare" kandidiert hatte, verfehlte den erhofften Sprung in den Senat. Die Partei eroberte laut vorläufigen Wahlergebnissen lediglich 1,3 Prozent der Stimmen und scheiterte damit an der Drei-Prozent-Hürde.

Bereits 1999 hatte Lollobrigida mit einer Kandidatur ins EU-Parlament für die Mitte-Links-Allianz von Ex-EU-Kommissionschef Romano Prodi den Einstieg in die Politik versucht hatte. Damals hatte sie 10.000 Stimmen erhalten, den Sprung ins Straßburger Parlament jedoch verfehlt.

Salvinis Position innerhalb seiner Partei dürfte zudem wegen des schwachen Abscheidens der Lega geschwächt sein. Die lange Zeit in Umfrage führende Partei stürzte laut ersten Prognosen auf unter zehn Prozent ab. Seine parteiinternen Rivalen, die eine eher unternehmensfreundliche moderatere Linie verfolgen, könnten dadurch nun mehr Einfluss gewinnen. Laut Medienberichten ist zudem das Verhältnis von Giorgia Meloni zu diesen Lega-Vertretern wie Giancarlo Giorgetti und Massimiliano Fedriga viel besser als zu Salvini.

Georgia Meloni konnte schon im Vorfeld mit dem guten Abschneiden ihrer Partei rechnen: Die Umfragen sahen sie bis zuletzt vorne.
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"Mit diesen Zahlen können wir regieren", erklärte der Abgeordnete von Fratelli d ́Italia Fabio Rampelli bereits am Wahlabend nach Veröffentlichung der Nachwahlbefragungen. Die Spitzenpolitiker der Rechtsaußen-Partei versammelten sich im Hotel Parco dei Principi im Herzen Roms und feierte dort die ersten Ergebnisse. Wahlfavoritin Meloni hatte kurz vor Schließung der Wahllokale um 23 Uhr ihre Stimme in einem Wahllokal im römischen Außenbezirk Torrino abgegeben. Lega-Chef Salvini begrüßte trotz des relativ schwachen Ergebnisses seiner eigenen Partei den klaren Vorsprung der Mitte-Rechts-Koalition. "Wir sind vorn, danke!", twitterte Salvini.

Die Fünf Sterne-Bewegung, die Italien vier Jahre lang regiert hatte, freute sich trotz herber Verluste über den überraschenden dritten Platz. "Wir waren totgesagt worden, doch wir sind die drittstärkste Partei im Land", kommentierte Michele Gubitosa, Vizepräsident der Fünf Sterne. Vor allem mit dem Versprechen, eine 2019 eingeführte Mindestsicherung weiterhin zu finanzieren, hat die vom Komiker Beppe Grille gegründete populistische Partei Wählerstimmen erobert, vor allem im ärmeren Süden des Landes.

Kompliziertes Wahlsystem

Die vorgezogenen Parlamentswahl wurde notwendig, weil der frühere EZB-Präsident Mario Draghi im Juli nach dem Bruch seines breiten Regierungsbündnisses als Ministerpräsident zurückgetreten war.

Die Parlamentswahlen fanden nach einem "Rosatellum" genannten komplizierten Wahlsystem statt. Es ist eine Mischung aus Mehrheits-und Verhältniswahlrecht. Die Zahl der Parlamentssitze schrumpft dieses Mal infolge einer Verfassungsreform von 945 auf 600. Der Wahlkampf war auch vor diesem Hintergrund härter als zuvor.

Die Beteiligung an der Parlamentswahlen erreichte einen historischen Tiefstand. 64 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Das sind zehn Prozent weniger gegenüber den letzten Parlamentswahlen im März 2018, teilte das italienische Innenministerium mit. Vor allem in Süditalien blieben die Wähler von den Wahllokalen fern. (APA)

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