828 Millionen Menschen hungern: Österreich erhöht Mittel für World Food Programme
Der Welthunger-Index der Welthungerhilfe kam für 2021 auf bis zu 828 Millionen Menschen, die nicht genug zu essen haben – das sind um ein Fünftel mehr als noch 2019. Multiple Krisen verschärfen die Lage. NGOs fordern mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Die Regierung stockt die Mittel für World Food Programme auf 20 Millionen Euro jährlich auf.
Wien – 2030 sollte niemand mehr hungern. So lautet das UN-Ziel, das immer weiter in die Ferne rückt: Weltweit leiden 828 Millionen Menschen – um ein Fünftel mehr als noch 2019 und insgesamt jeder Zehnte – an Hunger. NGOs fordern anlässlich des Welternährungstag am Sonntag (16. Oktober) und im Angesicht der Budgetverhandlungen mehr Mittel für die Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit.
„Nicht zuletzt wegen des Ukraine-Kriegs, aber auch als Folge der Klimakrise, der Covid-19-Pandemie, lokaler Konflikte und des Inflations- und Preisdrucks erleben wir aktuell eine dramatische Hungerkrise in vielen Weltregionen", sagte Andreas Knapp, Auslandshilfe-Generalsekretär der Caritas. „Österreich hinkt bei der Entwicklungszusammenarbeit hinterher. Deutschland beispielsweise investiert fast viermal so viel in direkte Projekthilfe."
„Alle vier Sekunden stirbt ein Mensch an Hunger"
In Ostafrika bahnt sich laut Caritas eine Hungersnot ungeahnten Ausmaßes an, auch im Nahen Osten sei die Situation dramatisch. Neun von zehn Syrerinnen bzw. Syrern würden bereits unterhalb der Armutsgrenze leben. Knapp 15 Millionen Menschen seien auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter rund 6,5 Millionen Kinder.
Die Zahl der Hungernden weltweit droht laut der Hilfsorganisation Care noch heuer auf eine Milliarde zu steigen, warnt die Hilfsorganisation Care. „Weltweit stirbt alle vier Sekunden ein Mensch an Hunger", sagte Geschäftsführerin Andrea Barschdorf-Hager. „Die Zahl der hungernden Menschen steigt, während die Finanzierung für Entwicklungshilfe sinkt. Das ist keine Frage von Leistbarkeit, sondern eine Frage des politischen Willens. Wir appellieren daher dringend an die Regierung, die Mittel für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit im Budget 2023 wie im Regierungsprogramm vorgesehen aufzustocken."
Österreich erhöht Mittel für World Food Programme
Österreich hat versichert, auch weiterhin einen Beitrag zur Linderung der humanitären Situation zu leisten. Dies sicherten Bundeskanzler Karl Nehammer, Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig und Außenminister Alexander Schallenberg (alle ÖVP) in einer Aussendung zu. Die im Budget vorgesehenen Mittel für das World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen wurden von 1,6 Mio. Euro jährlich auf 20 Mio. Euro jährlich erhöht.
„Nur mit vereinten Kräften kann es uns gelingen, den Hunger auf der Welt effektiv zu bekämpfen", betonte Nehammer. Millionen Menschen weltweit seien auf die Hilfe des WFP angewiesen. „Seit vielen Jahren unterstützt Österreich dieses Engagement und ist im Sinne seiner humanitären Tradition mittlerweile zu einem ein wichtigen Partner geworden", so Nehammer.
„Die Corona-Pandemie, der Klimawandel und der russische Angriffskrieg in der Ukraine haben Auswirkungen auf die weltweite Lebensmittelversorgung", teilte Totschnig mit. In Österreich müsse sich niemand Sorgen machen. „Andere Länder sind jedoch massiv von Engpässen und Hungersnöten betroffen." Im Zeitraum von 2023 bis 2025 seien daher im Budget 60 Mio. Euro für das WFP vorgesehen, so Totschnig. „Ernährung ist ein globales Sicherheitsthema. Umso wichtiger ist es, dass wir weiterhin unseren Beitrag leisten."
In vielen Staaten habe der russische Angriffskrieg eine Nahrungsmittelkrise ausgelöst. „Putin (Russlands Präsident Wladimir, Anm.) setzt – mit unglaublichem Zynismus – Lebensmittel bewusst als Waffe ein. Er treibt, durch Blockaden von Häfen und Zerstörung von Getreidesilos, die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe und somit Menschen in die Armut", teilte Außenminister Schallenberg mit. Österreich steuere kraftvoll entgegen und leiste Hilfe vor Ort.
Fakten zum Welternährungstag
- Mehr als 3 Milliarden Menschen (fast 40 Prozent der Weltbevölkerung) können sich keine gesunde Ernährung leisten.
- Fast 2 Milliarden Menschen sind übergewichtig oder haben eine schlechte Ernährung und sitzenden Lebensstil. Bis 2030 könnten die damit verbundenen Gesundheitskosten 1,3 Billionen Dollar pro Jahr übersteigen.
- In der Ernährungswirtschaft sind derzeit 1 Milliarde Menschen beschäftigt, mehr als in jedem anderen Sektor.
- 10 Prozent der Menschen sind von unsicheren Nahrungsmitteln betroffen z.B. durch Bakterien, Viren, Parasiten oder chemische Substanzen.
- Kleinbauern produzieren mehr als 33 Prozent der weltweiten Nahrungsmittel, trotz Herausforderungen wie Armut und mangelndem Zugang zu Ressourcen wie Finanzen, Bildung und Technologie.
- Weltweit leben 20 Prozent mehr Frauen als Männer im Alter 25–34 in extremer Armut. Mehr als 18 Prozent der Frauen leben von weniger als 1,90 Dollar pro Tag.
- Mehr als 33 Prozent der globalen anthropogenen Treibhausgasemissionen entfallen derzeit auf die Ernährungssysteme der Welt.
- 55 Prozent der Weltbevölkerung leben in Städten, bis 2050 werden es 68 Prozent sein.
- 14 Prozent der weltweiten Nahrungsmittel gehen durch unzureichende Ernte, Handhabung, Lagerung und Transport verloren, und 17 Prozent werden auf der Ebene der Verbraucher verschwendet.
- Die Biodiversität leidet und Böden werden durch die Intensivierung der Landwirtschaft, den steigenden Verbrauch ressourcenintensiver Lebensmittel und die Umwandlung natürlicher Ökosysteme für den Anbau von Pflanzen oder Weideflächen geschädigt.
- Der Klimawandel wirkt sich auf die arme Landbevölkerung, die landwirtschaftlichen Erträge und die Produktivität aus und kann zu Veränderungen in der Nährstoffzusammensetzung wichtiger Grundnahrungsmittel beitragen, unter anderem zu einem Rückgang des Proteingehalts und einiger wichtiger Mineralien und Vitamine.
300 Mio. Menschen von Humanitärer Hilfe abhängig
Weil die Bundesregierung die Mittel für den Auslandskatastrophenfonds erhöht hatte, „konnte Österreich in der Ukraine-Krise oder den verheerenden Überschwemmungen in Pakistan schnell reagieren und hunderttausenden Menschen helfen. Diese und noch mehr Investitionen wird es angesichts der multiplen Krisen auch langfristig brauchen." Die Dotierung des Auslandskatastrophenfonds solle daher beibehalten und an die Inflation angepasst werden, fordert Care.
Auch die langfristig angelegte bilaterale Entwicklungszusammenarbeit müsste erhöhen werden, unterstrich die Caritas. Bei derzeit 0,31 Prozent des Bruttonationaleinkommens sei bis zum international vereinbarten Ziel von 0,7 Prozent noch Luft nach oben. „Investitionen in die Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sind Gelder, von dessen Ertrag letztlich auch wir in Österreich in Form von Stabilität und Sicherheit profitieren", unterstrich Knapp.
Aktuell sind laut Diakonie und Brot für die Welt 300 Millionen Menschen von Humanitärer Hilfe abhängig, so viele wie nie zuvor. Und noch nie hätten so viele Menschen in extremer Armut gelebt, „bald eine Milliarde". „Nothilfe allein wird aber nicht ausreichen. Zusätzlich zum Feuerlöschen braucht es in Krisenzeiten auch mehr Investitionen in dringend benötigte Entwicklungszusammenarbeit", sagte Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Bis 2030 könnten weltweit 700 Millionen Menschen durch weitere Klimakatastrophen genötigt sein, ihre Heimat zu verlassen.
860 Millionen Menschen leben in extremer Armut
„Wir ersuchen die Bundesregierung, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen und dazu beizutragen, die lebensbedrohliche Krisenspirale zu stoppen. Damit nicht mehr fast 50 Millionen Menschen an der Kippe zum Hungertod stehen", hieß es von Südwind-Geschäftsführer Konrad Rehling. Bis Jahresende könnten rund 860 Millionen Menschen in extremer Armut leben, so die Menschenrechtsorganisation vor dem Internationalen Tag für die Beseitigung von Armut nächsten Montag (17. Oktober). Als extrem arm gelte, wer weniger als 1,90 Dollar pro Tag zur Verfügung hat. Vor allem Menschen in Südasien und Subsahara-Afrika seien betroffen. „Für Menschen in Ländern des Globalen Südens, die bereits extrem arm sind, ergeben die multiplen Krisen eine lebensbedrohliche Spirale", so Rehling.
„Die österreichische Entwicklungshilfe stagniert bei 0,31 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) auf niedrigem Niveau – kein berauschender Wert", sagte Petra Bayr, SPÖ-Bereichssprecherin für globale Entwicklung und Obfrau des Unterausschusses Entwicklungszusammenarbeit. „Wo bleibt die im Regierungsprogramm versprochene schrittweise Erhöhung der Entwicklungsgelder Richtung 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens?"