Nach Scholz-Machtwort: Berlin bringt AKW-Laufzeitverlängerung auf den Weg
Berlin, Hannover – Nach dem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz hat die deutsche Regierung die geforderte Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atomkraftwerke in die Wege geleitet. Das deutsche Wirtschafts- und das deutsche Umweltministerium erarbeiteten am Dienstag einen Gesetzesentwurf, wonach die Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis zum 15. April 2023 laufen können. Die Entscheidung von Scholz wurde am Dienstag intensiv diskutiert.
Während der deutsche Grünen-Parteichef Omid Nouripour betonte, die Entscheidung zu respektieren und sich die FDP zufrieden zeigte, kritisierten Umweltverbände Scholz scharf. Deutsche Energieunternehmen begrüßten dagegen das Machtwort des Kanzlers.
Kanzler erklärte Streit für beendet
Scholz hatte am Montag den Streit innerhalb der Ampel-Koalition insbesondere zwischen den Grünen und der FDP für beendet erklärt. Der Kanzler hatte die zuständigen Minister angewiesen, Gesetzesvorschläge zu machen und machte damit von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Demnach bestimmt der Kanzler "die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung".
Nouripour betonte im rbb24 Inforadio am Dienstag, die Grünen hielten zwar nichts davon, neben den beiden süddeutschen AKW auch das AKW Emsland weiter laufen zu lassen, "auch weil wir sehen, dass das fachlich nichts bringt, weil wir sehen, dass das kein Beitrag zur Energieversorgung in Deutschland ist." Das Atomkraftwerk liege im Energieüberschuss-Land Niedersachsen, wo die erneuerbaren Energien gut ausgebaut seien. Aber: "Ich glaube, dass das Ergebnis unter dem Strich etwas ist, was auch vorm Respekt vor der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, dann entsprechend so sein wird." Die Grünen-Bundestagsfraktion soll den Kompromiss mittragen, erklärte auch Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann am Dienstag in Berlin. Damit sei klar, dass der Atomausstieg Mitte April 2023 verbindlich komme. Neue Brennelemente würden nicht mehr angeschafft. "Das ist gut und wichtig."
Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr zeigte sich zufrieden mit der Entscheidung von Scholz. Es gehe darum, nicht die richtige Entscheidung für Parteien zu treffen, sondern am Ende fürs Land, sagte Dürr am Dienstag in Berlin. Natürlich sei es so, dass Koalitionspartner von unterschiedlichen Positionen kommen würden, allerdings hätte keine Partei in ihrem Wahlprogramm bei der letzten Bundestagswahl eine Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken drin gehabt.
Trittin und die Grünen kritisch
Kritischer sahen dies der frühere deutsche Umweltminister Jürgen Trittin und die Grünen in Niedersachsen. Die Entscheidung sei "politisch außerordentlich fragwürdig", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Trittin dem ZDF. "Das wird glaube ich noch eine ganz schwierige Operation." Die Niedersachsener Grünen bezeichneten das Vorgehen des Kanzlers als "in hohem Maße irritierend".
Der Umweltverband BUND bezeichnete das "Machtwort" als Symbolpolitik. "Die Kanzler-Entscheidung wirkt nur auf den ersten Blick wie eine notwendige Rettungsaktion für den anstehenden Winter", sagte Antje von Broock, Geschäftsführerin des BUND, am Dienstag. In Wahrheit habe der Kanzler seine Richtlinienkompetenz aber nutzen müssen, um den Koalitionspartner FDP auf Linie zu bringen.
Die deutsche Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller begrüßte den Vorstoß dagegen. "Das ist insgesamt ein kluger Kompromiss für die Versorgungssicherheit", sagte er. Alle Kraft müsse jetzt auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien und den Netzausbau gerichtet werden.
Auch die E.ON-Tochter PreussenElektra begrüßte die AKW-Entscheidung. Der Betreiber des AKW Isar 2 in Bayern will die Vorbereitungen auf einen Weiterbetrieb fortsetzen und treibt die Wartungspläne für den Meiler Isar 2 voran. Der Energiekonzern EnBW hält einen Weiterbetrieb seines AKW Neckarwestheim 2 für möglich.
CDU geht Entscheidung nicht weit genug
Der CDU geht die Entscheidung nicht weit genug. Die Bundesnetzagentur warne vor zwei harten Wintern, die Entscheidung greife daher zu kurz, sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Andreas Jung am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin".
Die SPD verteidigte Scholz. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte am Dienstag dem Deutschlandfunk: "Es war notwendig, diese Entscheidung zu treffen".
Die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland laufen nur bis Mitte April 2023 weiter, bekräftigte Scholz. Es werde nicht mehr geprüft, ob dies noch notwendig sei, die Betreiber könnten sich darauf einstellen, sagte Scholz am Dienstag in Berlin nach einem Treffen der "Allianz für Transformation" mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften. Am 15. April sei mit der Atomkraft Schluss, sagte Scholz.
Gemäß dem Gesetzesvorschlag, der der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt, könnten die drei AKW im Jahr 2023 rund 5,4 Terawattstunden Strom erzeugen. Dann sind die Brennstäbe der Anlagen aufgebraucht. Neue sollen nach der Richtlinienentscheidung des Kanzlers nicht mehr eingesetzt werden. Die Ministerien der Regierung sollen nun bis Mittwoch den Entwurf zum Atomgesetz billigen. Bis Ende November soll es die parlamentarischen Hürden nehmen.
Deutschland
Scholz ordnet an: Drei deutsche AKWs sollen bis April weiter laufen
Isar 2 muss im Oktober für eine Reparatur für eine Woche heruntergefahren werden. Neckarwestheim und Emsland müssen Anfang 2022 jeweils rund zwei Wochen lang aussetzen für eine neue Konfiguration des Reaktorkerns, wie es im Entwurf heißt. Die Brennelemente von Isar 2 würden dann wohl Anfang März aufgebraucht sein, die anderen könnten bis 15. April laufen.
Mit dem Gesetzesentwurf zum Streckbetrieb wird klargestellt, dass die Meiler grundsätzlich bis Frühjahr 2023 im sogenannten Streckbetrieb weiter laufen. Das Konzept einer Einsatzreserve von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist damit hinfällig. (APA/dpa)