Frankfurter Buchmesse

74. Frankfurter Buchmesse: Branchentreff in bedrohlichen Zeiten

Kim de l’Horizons „Blutbuch“ gewann am Montag den Deutschen Buchpreis. De l’Horizon stellte es gestern auch der Buchmesse vor.
© imago

Bestsellerkonzentration, „Booktok“ und gelegentliches Gedränge fast wie früher: Die 74. Frankfurter Buchmesse ist seit gestern für Fachpublikum geöffnet. Ein Rundgang.

Von Joachim Leitner

Frankfurt – Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann muss sich dieser Tage vor Gericht verantworten. Ihm wird Vorteilsannahme vorgeworfen. Untermauert hat die Staatsanwaltschaft ihren Verdacht durch Kurzmitteilungen vom Telefon des Politikers. Auch ohne nähere Kenntnis des Kontextes eröffnen sie Einblick in ein politisches Sittenbild, das aus Österreich sattsam bekannt ist. 50 Seiten Feldmann-SMS wurden am Dienstag am Frankfurter Landgericht vorgelesen. Wenige Stunden später wurde etwa 30 Gehminuten vom Gericht entfernt die Frankfurter Buchmesse eröffnet. Ohne Oberbürgermeister, aber – noblesse oblige – mit dem spanischen Königspaar. Spanien ist heuer Gastland der Buchmesse. Und die, kündigte Messedirektor Juergen Boos an, wolle nach zwei pandemischen Notversionen wieder das sein, was sie immer war: „Der wichtigste Treffpunkt der internationalen Verlagsbranche.“

Der Branche ging es schon besser. Auch im September 2022 verzeichnete der deutsche Buchmarkt einen spürbaren Umsatzrückgang – im Vergleich mit 2019 sind es zwar „nur“ drei Prozent. Aber die Tendenz sei „bedrohlich“, sagt Katharina E. Meyer von der Kurt Wolff Stiftung. Die Stiftung versteht sich als Interessenvertretung unabhängiger Verlage in Deutschland. Meyer sieht die Vielfalt der Literaturlandschaft bedroht. „Verlage sterben leise“, sagt sie. Zuerst würden Vorhaben verschoben, dann abgesagt – und irgendwann verstummen Verlage ganz. Selbst namhafte Häuser, Suhrkamp zum Beispiel oder Hanser, haben ihre Messepräsenz im Vergleich zu vorpandemischen Zeiten reduziert. Weithin sichtbare Stände leisten sich 2022 vor allem die großen Konzernverlage. Dort, auch das belegen jüngste Erhebungen, erscheinen die Bücher, die nach wie vor Kasse machen. Während die Buchverkäufe insgesamt zurückgehen, gibt es eine „Bestsellerkonzentration“: Das, was sich schon gut verkauft hat, verkauft sich auch in Zukunft.

Mehr zum Thema:

undefined

Literatur

„Wow!": Deutscher Buchpreis für Kim de l'Horizon aus der Schweiz

Die hiesige Literaturbranche ist zunächst vergleichsweise gut durch die Corona-Jahre gekommen. Aber auch in Österreich setzen gestiegene Papier- und Energiepreise den Verlagen zu. Das hat Benedikt Föger, Czernin-Verleger und Präsident des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels (HVB), gestern bei der Eröffnung des HVB-Gemeinschaftsstandes unterstrichen. Er gratulierte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) zu den „erfolgreichen Budgetverhandlungen“ – das Kulturbudget steigt 2023 laut Voranschlag um etwa 63 Mio. Euro – und hob hervor, dass auch der Literaturbetrieb auf weitere Unterstützung angewiesen sein wird. 2023 ist Österreich Gastland der Buchmesse in Leipzig. Das dazugehörige Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm läuft seit Frühjahr. Frankfurt ist eine der zentralen Etappen von „meaoiswiamia“. Buchmessen, sagte Mayer, seien „nicht nur Marktplätze, sondern Orte des Austausches und der Erfahrung“. Hier kämen Menschen aus aller Welt zusammen „und fördern – wie die Literatur selbst – auf friedliche und freundliche Weise das gegenseitige Verständnis“. Am Abend luden Kulturministerium und HVB zum traditionellen Österreichempfang ins Städelmuseum.

In den Stunden davor macht der Messerundgang sichtbar, wie „business as usual“ in nach wie vor außergewöhnlichen Zeiten aussieht. Die Messe ist luftiger geworden. Die Gänge zwischen den Ständen sind breiter als früher, die Bestuhlung vor den Bühnen großzügiger. 2019 präsentierten sich 7500 Aussteller. Heuer sind es etwas mehr als die Hälfte.

Spaniens Gastlandpavillon verspricht „Creatividad Desbordante“, „sprühende Kreativität“ also – und spielt technisch alle Stückln: Auf raumhohen Tuchkonstruktionen wandern die Buchstaben von Cervantes zu Llorca zu Javier Cercas; irgendwo spielt irgendwer Gitarre; eine KI kommentiert und eine Schulklasse tiktokt; über „Booktok“ als Aufmerksamkeitsmultiplikator wird auch hier gefachsimpelt. Klassischer geht es einen Stock tiefer zu: Auf der ARD-Bühne rezensiert sich Denis Scheck, der zuletzt mit seltsam sexualisiertem Lob für Nobelpreisträgerin Annie Ernaux aufgefallen war – und einen kleinen Shitstorm auslöste –, durch eineinhalb Regalmeter Novitäten. Für Robert Menasses „Die Erweiterung“ ist er voll des Lobes. Auf sein Urteil für den jüngsten Gstrein „Vier Tage, drei Nächte“ kann die TT nicht mehr warten. Kim de l’Horizon und das Buchpreis-gekrönte „Blutbuch“ werden am Dumont-Stand vorgestellt. 3Sat ist schon da. Mobiltelefone filmen mit. Es ist eng. Es gibt Gedrängel. Fast wie in alten Zeiten.

Zahlen, Daten und Fakten zur Buchmesse

Die jährliche Buchmesse in Frankfurt ist der größte und traditionsreichste Branchentreff des deutschsprachigen, aber auch des internationalen Literaturbetriebs. Heuer haben sich rund 4000 Aussteller aus 95 Ländern angemeldet. 75 österreichische Verlage stellen in Frankfurt aus – 30 davon am Stand des Buchhandelshauptverbands (HVB). Größere Verlage, wie der Innsbrucker Haymon-Verlag oder Droschl aus Graz, präsentieren sich an einem eigenen Stand. Dazu kommt der Stand der IG Autorinnen Autoren, an dem 600 österreichische Neuerscheinungen aufliegen.

Die Delegation des heurigen Gastlandes Spanien umfasst rund 200 Personen. 320 Verlage präsentieren sich auf der Messe. Spanien ist einer der größten Buchmärkte der Welt. Die Ehrengast-Einladung gelte weniger dem Nationalstaat als dem Sprachraum, erklärt Buchmesse-Direktor Juergen Boos dazu. Auch Katalanisch, Galizisch und Baskisch sind in Frankfurt vertreten. 2023 wird Slowenien Ehrengast der Buchmesse sein. Literarisch vorgestellt wird das nächste Gastland heute u. a. von Bachmann-Preisträgerin Ana Marwan.

Begleitet wird die Buchmesse vom traditionellen Bookfest mit mehr als 60 Veranstaltungen an mehr als 20 Orten in ganz Frankfurt und dem Lesefestival Open Books mit mehr als 100 Lesungen in der Frankfurter Altstadt.

Kritik hatte es in den vergangenen Jahren an der Präsenz rechter Verlage gegeben. Hier bleibt die Buchmesse bei ihrer Linie. „Es geht um die Freiheit des Wortes“, sagt Messechef Boos. „Alles, was in Deutschland nicht verboten ist, kann stattfinden.“

Zum Abschluss der Messe wird am Sonntag in der Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vergeben. Ausgezeichnet wird heuer der ukrainische Autor Serhij Zhadan.