Politologin Sully: „Das Problem ist die Spaltung der Tories“
Die TT sprach mit der britischen Politologin Melanie Sully über die Gründe für das Scheitern von Liz Truss und mögliche Nachfolger.
Wie konnte es so weit kommen, dass die britische Premierministerin Truss nur sechs Wochen nach ihrem Amtsantritt schon wieder ihren Rücktritt bekannt gegeben hat?
Melanie Sully: Das Problem heißt nicht nur Truss. Ihre konservativen Tories sind tief gespalten, in der Partei gibt es einen regelrechten Stammeskrieg. Truss wurde mit den Stimmen der Johnson-Anhänger und des rechten Flügels der Partei zur Premierministerin gewählt. Aber sie war nie wirklich eine von ihnen. Sie war vielmehr ein Vehikel, um etwa die Ziele des extremen rechten Flügels, der Brexit-Hardliner, durchzusetzen. In einer zweiten Phase der Brexit-Revolution gegen das Polit-Establishment sollten etwa rigorose Steuersenkungen, Deregulierung, die Maxime eines schlanken Staates, aber auch eine harte Linie gegenüber der EU in der Nordirland-Frage durchgesetzt werden. Truss selbst sah sich als neue Margaret Thatcher. Doch der Plan von Truss und ihrem geschassten Finanzminister Kwarteng, Steuersenkungen mit Schulden zu finanzieren, konnte nicht funktionieren. Vor allem nach der Pandemie, welche den Staat finanziell ausbluten ließ.
Liz Truss wurde als Nachfolgerin von Boris Johnson nur ein kurzes Gastspiel als konservative Regierungschefin gewährt. Wer kann ihr nun nachfolgen?
Sully: In der Fraktion hat Ex-Finanzminister Rishi Sunak, der Truss im Rennen um die Nachfolge Johnsons bei der Abstimmung der Parteimitglieder im Sommer schließlich unterlag, viele Unterstützer. Allerdings müssten, will Rishi Sunak diesmal das Rennen machen, die Johnson-Anhänger mit einem Deal besänftigt werden. Gute Chancen als Kompromisskandidat hat Verteidigungsminister Ben Wallace. Der frühere Soldat gilt als allseits beliebt. Übrigens: Wallace arbeitete nach seiner Schulausbildung als Skilehrer in Alpbach.
Kann es nun zu Neuwahlen kommen?
Sully: Laut Verfassung gibt es keinen Grund für Neuwahlen. Neuwahlen würden auch eine Parlamentsauflösung mit sich ziehen und damit auch die Verabschiedung des neuen Haushaltsplans verunmöglichen.
Das Interview führte Christian Jentsch
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