Stürmisch war lediglich das Wetter: Das will die neue Landesregierung
Anton Mattle (VP) und Georg Dornauer (SP) besiegelten am Freitag den schwarz-roten Koalitionspakt unter freiem Himmel am Landhausplatz. Die Ziele sind hoch gesteckt.
Von Manfred Mitterwachauer und Peter Nindler
Innsbruck – Keine Politik ohne Symbolik. Und die gab es gestern en masse. Geschlossen traten ÖVP und SPÖ am Vormittag aus dem Landhaus auf den Eduard-Wallnöfer-Platz. Steuerten – angeführt von den beiden Parteichefs Anton Mattle (VP) und Georg Dornauer (SP) – fokussiert die wenige Meter entfernten Rednerpulte an. Unterwegs wurde gescherzt, die Stimmung war betont locker. Einzig so manche Böe, die durch die Häuserzeilen brach und den nahenden Föhnsturm ankündigte, machte der achtköpfigen Truppe da und dort ein wenig zu schaffen.
Doch das passte ebenfalls ins Bild: Will Schwarz-Rot doch Tirol in wirtschaftlich stürmischen Zeiten wieder in ruhigere Gefilde führen. Die Verkündung von Schwarz-Rot unter freiem Himmel sollte – zumindest laut Mattle – den Tirolerinnen und Tirolern zeigen, dass man „auf die Bevölkerung zugehen“ wolle. Ein Absperrband ließ einen aber doch die leichte Brise von einer geschlossenen Veranstaltung spüren.
Ticker-Nachlese, Kommentare und Co.
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Am Wort waren ausschließlich Mattle und Dornauer. Die künftigen Regierungsmitglieder dienten lediglich als Kulisse. Dies sei dem „Respekt vor dem Landtag“ geschuldet, wurde entschuldigend vorgebracht. Denn erst am Dienstag wird die Regierung, und somit ihre Mitglieder, vom Landtag – zumindest mit der Stimmenmehrheit von ÖVP und SPÖ – gewählt und anschließend angelobt.
Zehn Gruppen, 60 Verhandler, 50 Stunden – es seien „intensive Verhandlungen“ gewesen, sagte gestern Mattle. Am Ende habe man einen „Weg mit der SPÖ gefunden“. Letztlich sei es „ein guter Kompromiss, um zu gestalten und Tirol Sicherheit zu geben“. Einer, der unter das Motto „Stabilität in der Krise. Erneuerung für Tirol“ gestellt wurde. Das betonte auch Dornauer in Bezug auf das gleichnamige Regierungsprogramm, welches Schwarz-Rot als inhaltlicher Leitfaden bis ins Jahr 2027 führen soll: „Wir haben einen Plan, der Tirol sicher durch die Krise und in eine gute Zukunft führen wird.“
Mattle und der ÖVP streute Dornauer zwar nicht die SP-typischen Nelken, dafür jede Menge Rosen: „Es waren Verhandlungen auf Augenhöhe. Und ich danke der VP auch für eine gewisse Kompromissbereitschaft.“
📽️ Video | Mattle und Dornauer stellten Regierungsteam vor
Was das 73 Seiten starke Regierungsprogramm betrifft, so zogen sowohl Mattle als auch Dornauer gestern wechselseitig Schwerpunkte heraus, die Schwarz-Rot mit besonderer Priorität anzugehen gedenken. In erster Linie die Themenbereiche Teuerung, Energie, Wohnen/Raumordnung sowie Verkehr.
Mattle kündigte an, sofort eine „Expertengruppe Teuerung“ einzusetzen. Diese solle aktuelle wie künftige Hilfsmaßnahmen von Bund und Land auf ihre Kompatibilität hin abklopfen. Die Kostenexplosion in vielen Alltagsbereichen bereite den Menschen Sorge, so Mattle: „Wir wollen aber niemanden in Tirol im Stich lassen.“
Die Energieunabhängigkeit ist zwar in Tirol bereits unter Schwarz-Grün paktiert und für das Jahr 2050 avisiert worden, den Schwung in die Energiewende muss nun aber Schwarz-Rot bringen. Stichwort: erneuerbare Energien. Eine großangelegte Photovoltaik-Offensive will Mattle insbesondere in der Überbauung von Großparkplätzen erreichen. Fünf Millionen Quadratmeter PV-Flächen sollen installiert werden. Wie allerdings die unzähligen Großparkplätze in privater Hand hierfür mobilisiert werden sollen – da blieben die Neo-Koalitionäre vage. Das Stichwort „Förderung“ fiel.
Apropos mobilisieren: Obwohl die Raumordnung – mit viel oppositioneller Kritik – nicht zur SP wandert, sondern bei der ÖVP ( noch dazu bei Bauernbundobmann und LHStv. Josef Geisler) verblieben ist, sprach Dornauer, künftig für die Wohnbauförderung zuständig, beim Wohnen von „epochalen Neuerungen, die wir geschafft haben“. Als da wären die flächendeckende Einführung der Vertragsraumordnung sowie eine Baulandmobilisierungsabgabe. Letztere will Dornauer noch in der ersten Hälfte der nun anbrechenden Amtszeit beschlussreif sehen. Diesen „Auftrag“ gab Dornauer Geisler volley mit. Zugleich will Dornauer eine „Koordinationsstelle“ für Wohnbauförderung, Raumordnung, Grundverkehr und den Bodenfonds einrichten. Auch das ist eine Ansage an Geisler.
Dornauer, dessen SP künftig die Sozialagenden verantworten wird, gab ein klares Bekenntnis zur Tiroler Mindestsicherung ab und versprach den Sozialvereinen bessere Planbarkeit in Form von „ehestmöglich“ Drei-Jahres-Subventionsverträgen.
📽️ Video | Toni Mattle und Georg Dornauer in „Tirol Live”
Auch der Transit wird bis 2027 unter roter Flagge und Bald-Ex-ÖBBler René Zumtobel firmieren. Die Mobilitätswende will Dornauer „in fünf bis zehn Jahren schaffen“. Der Lkw-Transit solle „halbiert“ werden, doch das sei nicht in einer Legislaturperiode umsetzbar. Mattle setzt auf die Karte SLOT-System. Also eine mengenmäßige Begrenzung durch eine zeitliche Staffelung von Durchfahrtsrechten über den Brenner. Auch in Bayern müsse Druck gemacht werden. Die Zulaufstrecken zum Brennerbasistunnel müssten fertig sein, wenn der BBT seine Pforten 2032 „funktionsfähig“ öffnen solle, so Mattle.
Dass man der Wirtschaftsbündlerin und Telfer Vizebürgermeisterin Cornelia Hagele ein kaum zu bewältigendes ressortmäßiges Arbeitspensum aufgehalst habe – diese Kritik will Mattle nicht gelten lassen: „Hagele ist eine Generalistin und hat viel Erfahrung in der Kommunalpolitik gesammelt.“
Weit mehr Erklärungsbedarf hatten Mattle und Dornauer bei der Frage, wieso nun just ihre Koalition mit der Polizistin Astrid Mair eine eigene „Sicherheitslandesrätin“ installiert. „Wir stehen vielleicht vor einer großen Herausforderung bei den Flüchtlingen“, begründete Mattle. Sicherheitsrelevante Fragen seien aber auch der Verkehr, die Naturgefahren und im Arbeitsnehmerbereich zu verorten, versuchte Mattle einen größeren Bogen zu spannen.
Auf eine mögliche Unvereinbarkeitsdebatte – Mair ist die Lebensgefährtin von Landespolizeidirektor Helmut Tomac – lässt sich Mattle nicht ein. Er habe Mair schließlich wegen ihrer Qualifikation ausgewählt. Der Verfassungs- und Verwaltungsexperte Peter Bußjäger spricht hingegen schon von einer „ein wenig heiklen“ Situation. Hier sprang Dornauer seinem Koalitionspartner hilfreich zur Seite: „Sicherheit ist, weiter zu fassen und komplexer zu denken. Die Zusammenarbeit mit Mair wird gut funktionieren.“ Dornauer deckt auch die Integration ab.
Koalitionsfreien Raum gibt es bei der Neuauflage von Schwarz-Rot keinen. Ebenso sei auch „nicht alles auf Punkt und Beistrich ausformuliert“.
⚫🔴 Das ist die neue Landesregierung
Anton Mattle (ÖVP): Der künftige Landesha uptmann kann sich über fehlende Arbeit nicht beschweren: Gemeinden, Finanzen, Personal, Kultur und Europa wird er in der Regierung verantworten. Dazu ist er noch für das Ehrenamt zuständig.
Georg Dornauer (SPÖ): Der 1. Landeshauptmannstellvertreter hat das Wohnbauressort, die Integration mit der Flüchtlingsgesellschaft TSD und den Sport erhalten. Zugleich ist er für den Hochbau im Land wie den Neubau des MCI zuständig.
Josef Geisler (ÖVP): Landwirtschaft, den Grundverkehr und das Energiewesen betreute Geisler schon bisher. Jetzt kommt noch die Raumordnung (Widmungsagenden) hinzu. Und von Hannes Tratter erbt er das Traditionswesen.
René Zumtobel (SPÖ): Der bisherige Regionalmanager der ÖBB wird künftig den Transitverkehr und den öffentlichen Nahverkehr managen. Der Umwelt-, Natur- und Klimaschutz fällt ebenso in seinen Aufgabenbereich.
Cornelia Hagele (ÖVP): Die Wirtschaftsbündlerin muss ein Superressort stemmen. Der Bereich Gesundheit und Pflege ist ein Eckpfeiler in der Regierung mit den größten Ausgaben. Zugleich betreut sie die Bildung und die Wissenschaft.
Eva Pawlata (SPÖ): Die Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums übernimmt die Aufgaben ihrer Vorgängerin Gabriele Fischer (Grüne). Sie hat den gesamten Sozialbereich sowie die Agenden für die Frauenpolitik im Land über.
Mario Gerber (ÖVP): Beim Hotelier und Touristiker werden die Bereiche Wirtschaft und Tourismus zusammengeführt. Darüber hinaus wird der Hotelier aus dem Kühtai die Digitalisierung und den Breitbandausbau in Tirol vorantreiben.
Astrid Mair (ÖVP): Die Bezirkspolizeikommandantin von Kufstein fasst im Sicherheitsressort den Zivil- und Katastrophenschutz zusammen. Arbeitnehmerförderung, Jugend-, Familie- und Seniorenagenden sind ebenfalls bei ihr angesiedelt.
📝 Das Regierungsprogramm in Kürze
Wohnen, Raumordnung: Schwarz-Rot will den Gemeinden ein Mindestmaß an leistbaren Wohnungen vorschreiben. Die verpflichtende Vertragsraumordnung soll eingeführt werden. Eine Wohnbedarfsstudie für ganz Tirol ist zu erstellen. Ein Modell für eine Baulandmobilisierungsabgabe soll ausgearbeitet werden. Die Aufnahme der Gemeinden in das Interessentenmodell gemäß Grundverkehrsgesetz soll geprüft werden.
Soziales, Integration: Die Richtsätze in der Mindestsicherung sollen auch unterjährig krisen- und situationsbedingt angepasst werden, Verschlechterungen zum Ist-Stand sind auszuschließen. Für die Flüchtlingsgesellschaft TSD ist eine nachhaltige Lösung auszuarbeiten.
Sicherheit: Der Flugwetterdienst am Flughafen Innsbruck soll über 2024 hinaus bestehen bleiben. Die Landesfeuerwehrschule soll ausgebaut werden.
Kunst, Kultur, Sport: Die leer stehende Rotunde (ehem. Rundgemälde) in Innsbruck soll einen zeitgemäßen kulturellen Zweck erhalten. Bestehende Sport-Sponsorings sollen adaptiert, nicht pauschal beendet werden.
Familie, Frauen, Generationen: Ein Jugendpass (analog zum Familienpass) soll eingeführt werden. Der Frauenanteil im Landesdienst (Führungspositionen) soll 50 Prozent erreichen.
Gesundheit, Pflege: Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen soll durch Ausbau des ambulanten Angebots im niedergelassenen Bereich oder in öffentlichen Einrichtungen sichergestellt werden. Der Strukturplan Pflege soll erneuert, die Finanzierung langfristig gesichert werden.
Wirtschaft, Tourismus: Die Wirtschaftsförderung soll neu aufgestellt, die Lebensraum Tirol Holding GmbH optimiert werden. Internationale Vermittlungsplattformen im Tourismus sollen künftig eine Abgabenpflicht haben. Das Seilbahn- und Skigebietsprogramm ist neu zu verhandeln.
Energie, Umweltschutz: Der Ausbau von Wind-, PV- und Wasserkraft soll durch Regionalpläne festgelegt, der Kriterienkatalog Wasserkraft evaluiert werden. Die aktuelle Gletscherschutzverordnung soll beibehalten, das Naturschutzgesetz novelliert werden.
Land-, Forstwirtschaft, Gemeinden: Das Jagdrecht soll für eine schnelle und unbürokratische Entnahme von Großraubtieren geändert werden. Die Transferzahlungen Land/Gemeinden sind neu zu verhandeln.
Verkehr: Der Nahverkehr soll eine Taktverdichtung bekommen. Entwicklung eines SLOT-Systems im Lkw-Transitverkehr.
Bildung, Wissenschaft: Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung soll stufenweise, zunächst ab dem 2. Lebensjahr, eingeführt, der MCI-Neubau schnellstmöglich umgesetzt werden.
Finanzen: Am Doppelbudget 2022/23 wird festgehalten.