„Geistiger Schaden“: Homophober WM-Botschafter legt nach, FIFA schweigt
Die Freiheit der LGBTQI*-Gemeinschaft ist eines der großen Themen vor der Fußball-WM in Katar. Homophobe Aussagen des lokalen Turnier-Botschafters Khalid Salman sorgen für Empörung. Dabei wusste eigentlich bereits im Vorfeld jeder, dass es der Wüstenstaat mit den Menschenrechten nicht immer ganz genau nimmt.
Doha – Khalid Salman sitzt mit dem ZDF-Journalisten Jochen Breyer in einer belebten Fußgängerzone in Doha, er lächelt und sagt gestenreich: „Lass uns zum Beispiel über Schwule reden.“ Und das, was er in seiner Rolle als einer der zehn offiziellen „lokalen“ Botschafter des WM-Organisationskomitees ausführt, bestätigt in großen Teilen die lautstarke Kritik zahlreicher Fan- und Menschenrechtsorganisationen vor dem Fußball-Großturnier am Persischen Golf. Schwulsein sei „haram“, verboten, meint Salman, weil es ein „damage in the mind“ sei, ein geistiger Schaden. In diesem Moment der ZDF-Dokumentation „Geheimsache Katar“ bricht ein Pressesprecher das Gespräch ab.
📽️ Video | Das Interview des katarischen WM-Botschafters mit dem ZDF
Es folgte ein internationaler Sturm der Entrüstung. Besonders in Deutschland gingen nach dem homophoben Sager die Wogen hoch. Die Aussagen „über Schwule sind verstörend und dennoch keine Überraschung“, teilte etwa Alfonso Pantisano aus dem deutschen Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) mit. „Wenn das Organisationskomitee (...) queere Fans scheinbar willkommen heißen möchte und dann ein WM-Botschafter solch verstörende Bemerkung macht, beweist es die Bedrohung des Regimes gegenüber queeren Menschen.“
Der Verband forderte von allen Fans einen Boykott der WM und vom deutschen Auswärtigen Amt eine Reisewarnung. Letztere wird nicht ausgesprochen, so viel steht schon fest. Andrea Sasse, Sprecherin des deutschen Auswärtigen Amtes, verurteilte die Aussagen Salmans zwar: „Es handelt sich aus unserer Sicht um einen unglaublich homophoben Ausfall.“ Eine Warnung für LGBTIQ*-Personen für Reisen in das Emirat sei jedoch nicht geplant, hieß es am Mittwoch.
LGBTIQ*
Die englische Abkürzung LGBTIQ steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transmenschen, intergeschlechtliche sowie queere Menschen. Ein oft verwendetes zusätzliches Sternchen ist Platzhalter für weitere Identitäten und Geschlechter.
Salman fühlt sich missverstanden, FIFA schweigt
Salman selbst fühlt sich offensichtlich missverstanden und informierte die Öffentlichkeit über Twitter, dass seine Aussagen „aus dem Zusammenhang gerissen“ seien. „Jeder“ sei in Katar willkommen, „aber unsere Kultur und Religion ändern sich nicht für die Weltmeisterschaft“.
Das Organisationskomitee antwortete am Dienstagvormittag nicht auf eine Anfrage zu den aktuellen Aussagen des 60 Jahre alten Ex-Nationalspielers, der auf der offiziellen Internetseite des Organisationskomitees als „Star“ der Junioren-WM 1981 beschrieben wird. Auch der Weltverband FIFA schweigt bisher. Erst kürzlich hatte ein Brief von FIFA-Präsident Gianni Infantino an die 32 WM-Teams für Empörung bei Spielern und Trainer gesorgt. Darin hatte er dafür plädiert, dass bei dem Turnier der Fußball im Mittelpunkt stehen soll und nicht Politdebatten.
Klare Worte kamen hingegen vom Deutschen Fußball-Bund: „Die Entgleisung des WM-Botschafters ist völlig indiskutabel und macht uns fassungslos“, sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf der Bild-Zeitung. „Die Äußerung diskreditiert die gesamte LGBTIQ*-Community und offenbart ein überaus problematisches Verhältnis zu den Menschenrechten. Aus unserer Sicht sollte die FIFA ernsthaft prüfen, ob sich hiermit nicht die Ethikkommission befassen muss.“
Bis zu sieben Jahre Haft für Homosexualität in Katar
Laut Gesetz ist Homosexualität in Katar verboten und wird mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft. Offiziell beteuert der WM-Ausrichter – unterstützt von FIFA-Präsident Gianni Infantino –, jeder sei willkommen. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser brachte von ihrem Besuch aus Katar eigenen Angaben zufolge eine „Sicherheitsgarantie“ des Premierministers mit, dass sich alle Fans während des Turniers vom 20. November bis 18. Dezember frei und ohne Angst bewegen“ könnten.
„Ich habe jetzt keine neuen Anzeichen von ihm selbst, dass sich daran etwas geändert haben sollte“, hatte Faeser noch am Dienstag gesagt. „Natürlich sind solche Äußerungen furchtbar und das ist ja auch der Grund, warum wir daran arbeiten, dass sich die Dinge in Katar hoffentlich perspektivisch auch verbessern“, so die SPD-Politikerin nach Bekanntwerden von Salmans Aussagen.
„Wenn wir bei den Rechten von Homosexuellen davon reden, dass sich beispielsweise zwei Männer in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung nicht zeigen dürfen, dürfen wir auch nicht unterschlagen, dass Mann und Frau das auch nicht dürfen“, sagte hingegen Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, beim Deutschen Fußball-Bund als Botschafter für Vielfalt beschäftigt, in einem t-online.de-Interview. „Es geht also nicht nur um Homosexualität, sondern Paare allgemein. Wenn das konsequent umgesetzt wird, werden auch heterosexuelle Paare Probleme bekommen. Nach aktuellen Vorstellungen ist das ein Problem.“
Der 40-Jährige, der seine Homosexualität nach seiner aktiven Karriere öffentlich gemacht hatte, war zuletzt für eine ARD-Dokumentation erneut in Katar. „Wie ich es vor Ort erlebt habe, könnte es passieren, dass man dann ermahnt und einem mitgeteilt wird, dass es in der dortigen Kultur nicht erwünscht ist – aber man wird deswegen nicht sofort eingesperrt.“ Angst habe er nicht gehabt, „dass mir in Katar etwas passieren würde. Aber ich kann verstehen, dass Menschen äußerst vorsichtig sind und auf die Reise verzichten.“
Die Diskussionen um die Freiheit der LGBTQI*-Gemeinschaft während des Turniers, das dem Grundgedanken nach verbinden soll, begleitet den WM-Vorlauf seit Monaten. Salman spricht in der ZDF-Dokumentation Englisch und benutzt das Wort „gay“, das auch mit „homosexuell“ übersetzt wird. Aus dem Kontext wird klar, dass er Männer meint.
Deutsche Nationalspieler mit klaren Worten
Beschäftigt hat die Situation auch längst die deutsche Nationalmannschaft, die kritisiert wurde, weil sie statt der symbolträchtigen Regenbogen-Kapitänsbinde eine mehrfarbige mit dem Schriftzug „One Love“ einpackt. Die Nationalspieler Manuel Neuer und Leon Goretzka fanden deutliche Worte. „Das passt keineswegs in unser Weltbild, was wir haben. Das ist inakzeptabel und sehr traurig, so was zu hören“, sagte der Torwart des FC Bayern. Zuvor hatte Goretzka die Äußerungen Salmans scharf kritisiert. „Das ist schon sehr beklemmend, muss man sagen. Das ist einfach ein Menschenbild aus einem anderen Jahrtausend. Das ist nicht das, wofür wir stehen wollen und was wir vorleben. Es ist absolut inakzeptabel, so eine Aussage zu treffen“, sagte der 27-Jährige.
DFB-Präsident Neuendorf hatte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser bei deren Reise in der vergangenen Woche nach Doha begleitet. Die Verbandsspitze bemüht sich, den richtigen Ton zu treffen, muss sich dabei während offiziellen Reisen aber in diplomatischen Grenzen bewegen. Christian Rudolph von der 2021 vom DFB und dem LSVD eingerichteten „Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ im Fußball wurde zuletzt sehr deutlich, was die „Sicherheitsgarantie“ betrifft: „Das ist genau das, was wir nicht wollten“, sagte Rudolph im Interview der Frankfurter Rundschau. „Das haben wir in allen entsprechenden Gesprächsrunden zuvor hinterlegt, dass der Dialog zum jetzigen Zeitpunkt kurz vor der WM nichts mehr bringt (...). Wenn jetzt gesagt wird, dass die WM bedenkenlos für queere Menschen sei, ist das ein fatales Zeichen für die queere Community in Katar. Welches Katar hat denn Nancy Faeser bitte gesehen? Dann kann sie sich auch gleich durch Nordkorea führen lassen.“
Salman sagt in der ZDF-Dokumentation (Sendetag: 8. November, 20.15 Uhr): „Das Wichtigste ist doch, jeder wird akzeptieren, dass sie hierherkommen, aber sie werden unsere Regeln akzeptieren müssen.“ Er habe vor allem Probleme damit, wenn Kinder Schwule sähen. Denn diese würden dann etwas lernen, was nicht gut sei. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani zuletzt die Kritik an Katar vorwiegend aus Europa als „sehr arrogant und sehr rassistisch“ bezeichnet. Zugleich hatte er auf Reformen in seinem Land verwiesen, die auch nach der WM fortgesetzt würden.
Neue Aktion #PFUIFA
Mit dem eigens kreierten Hashtag #PFUIFA (abgeleitet von den beiden Wörtern Pfui und FIFA) wollen Mitglieder der LGBTIQ*-Community im Netz Haltung zeigen. Ausgegangen ist die Aktion von der Hamburger Dragqueen Olivia Jones (52), die die Aussagen Salmans aufs Schärfste kritisiert. „Der Mann braucht dringend einen Volkshochschwulkurs. Ich gebe gerne Nachhilfe“, so Jones. Das Mittelalter sei Geschichte, sagte Jones weiter dazu. Egal, wie sehr er sich eine Zeitmaschine wünsche. „Und dieses Homoratorium, das sein Land für die Dauer der WM schwulen Gästen gewährt - da fehlen mir einfach nur die Worte.“
Sie könne nicht verstehen, warum der Fußball-Weltverband FIFA diese WM auf seiner Internetseite als die beste WM aller Zeiten feiere. Es gebe kein größeres Eigentor als dieses Eigenlob. „Menschenrechte sind kein Spiel!“ Sie hoffe, dass der Hashtag #PFUIFA trendet und von vielen im Internet genutzt wird, um ihre Kritik an der WM loszuwerden. (TT.com, dpa)
Human Rights Watch warnt homosexuelle Fußballfans vor Katar-Reise
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat homosexuelle Fußballfans vor der Reise zur WM nach Katar gewarnt. Am besten lasse man es, sagte Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch. Die Botschaft aus Katar an Gäste und Touristen, sich an Traditionen des Landes zu halten, könne man als „charmant vorgebrachte Warnung“ verstehen, sagte Michalski, da schwinge mit: „Wenn ihr das so auslebt wie in Berlin-Schöneberg, dann werden wir uns schon irgendwas ausdenken.“
Er glaube zwar nicht, dass viel passieren werde, weil die ganze Welt zuschauen werde, sagte Michalski – und dass westliche homosexuelle Fans, sofern sie sich an die Sitten der Katarer hielten, dort Fußball schauen können. „Aber eine Garantie gibt es nicht.“ Einheimische Homosexuelle schwebten zudem in großer Gefahr, ihnen drohten nach der WM strafrechtliche Maßnahmen. Michalski sprach von einer totalen Überwachung in dem Land. Überall in den Stadien gebe es etwa Kameras.
Katars Emir Tamim Bin Hamad Al Thani hat daraufhin in einer Rede bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen erneut betont, dass alle Fans bei der anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft ohne Diskriminierung willkommen seien. „Die Menschen aus Katar werden Fußball-Fans aus allen Gesellschaftsschichten mit offenen Armen empfangen.“
Hotelzimmer-Buchung erwies sich als schwierig
Eine im Mai veröffentlichte gemeinsame Recherche skandinavischer Sender hatte ergeben, dass es in Katar für Schwule und andere Menschen der LGBTQI*-Gemeinschaft schwierig werden kann, ein Hotelzimmer zu mieten. Journalisten hatten sich als schwules Paar ausgegeben und bei 69 offiziellen WM-Hotels ein Zimmer angefragt. Drei Hotels lehnten die Anfrage direkt ab. 20 weitere Hotels wollten demnach nicht, dass die Gäste offen ihr Schwulsein zeigen. In der Vergangenheit habe es Vorfälle gegeben, bei denen die Polizei homosexuelle Katarer aus Hotels geholt habe, hieß es von einem Hotel.
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