Kinderlähmung in New York löst Katastrophenalarm aus
US-Bundesstaat kämpft gegen die Rückkehr der Polio-Viren. Und denkt zu deren Bekämpfung jene Impfung an, die das Problem wieder aufleben ließ.
New York – Seit fast einem Jahrzehnt hat es in den USA keine Fälle von Kinderlähmung gegeben. Die Infektionskrankheit galt dort als ausgerottet. Im Sommer aber infizierte sich ein junger Mann im Bundesstaat New York, nun sind seine Beine teilweise gelähmt. Im Abwasser etlicher Gemeinden und der Stadt New York wurden seither immer wieder Polio-Viren nachgewiesen.
„Wenn man einen Polio-Erkrankten mit Lähmungen hat, weiß man, dass es ein größeres Problem gibt“, hatte Polio-Expertin Diedrich vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin kürzlich erklärt. Denn nur in etwa einem von 200 Fällen führe eine Infektion zu den für Polio typischen irreversiblen Lähmungen – und das zudem nur bei Ungeimpften. Ein solcher Fall kann daher Hunderte Infizierte ohne Symptome in der Region bedeuten.
New Yorks Gouverneurin Kathy Hochul rief deshalb den Katastrophenfall aus. Das Risiko sei für nicht gegen Kinderlähmung geimpfte Menschen hoch, sagte sie und rief alle auf, Immunisierungen, wenn nötig, nachzuholen. „Wenn Ihr Kind nicht geimpft ist oder der Impfstatus nicht auf dem aktuellsten Stand ist, dann ist das Risiko real“, appellierte die Gesundheitsbeauftragte Mary Bassett an alle Eltern. Rund 14 Prozent der Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren sind laut Behörden allein in der Metropole nicht oder nicht vollständig gegen Polio geimpft. Routine-Impfungen wie diese wurden in den Pandemie-Jahren in vielen Ländern unterbrochen.
Schluckimpfung in Europa längst abgeschafft
Die frühere Schluckimpfung mit einem Lebendimpfstoff (meist auf einem Stück Zucker) wurde in Österreich schon vor vielen Jahren eingestellt. Seit 1999 ist sie in der ganzen EU tabu. Stattdessen wird die inaktivierte Polio-Impfung (IPV) – ein Totimpfstoff – eingesetzt. Sie ist in Österreich im kostenfreien Impfprogramm enthalten und wird im Rahmen der Sechsfach-Impfung bei Babys und im Schulalter durch die Kombinationsimpfung Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Polio verabreicht. Im Erwachsenenalter sollte alle zehn Jahre eine Auffrischung erfolgen, ab dem 60. Lebensjahr alle fünf Jahre. (APA, sta)
Die Erkrankung, die oft über Hände als Schmierinfektion oder über verunreinigtes Wasser verbreitet wird, kann Lähmungen auslösen und zum Tod führen. Eine Heilung gibt es nicht. Durch die 1988 initiierten weltweiten Impfkampagnen konnten bisher rund 20 Millionen Menschen vor einer Lähmung und eineinhalb Millionen vor dem Tod bewahrt werden, wie es bei der WHO heißt. Inzwischen allerdings liegen die Impfquoten vielerorts viel zu niedrig.
Betroffen sind nicht nur die USA. In Israel war der Erreger Anfang März zunächst bei einem erkrankten vierjährigen Kind nachgewiesen worden. Dann wurden weitere Fälle und im Abwasser mehrerer Städte Polio-Viren entdeckt. In London wurden die Behörden im Juni aufmerksam, als wiederholt Polio-Viren in Abwasserproben gefunden wurden. Allein dort sind laut Regierung Zehntausende Kinder gefährdet.
Bei diesen nachgewiesenen Erregern handelt es sich nicht um den Wildtyp des Polio-Virus, sondern um Viren, die auf die Schluckimpfung mit abgeschwächten, aber lebenden Erregern zurückgehen. Sie können von Geimpften bis zu sechs Wochen lang ausgeschieden werden, anfangs ist auch eine Weitergabe über Speichel und Rachensekrete möglich. Israel nutzt als Schluckimpfung verabreichte Lebendimpfstoffe (OPV) – die USA und Großbritannien allerdings nicht. Dort wie auch in Österreich sind schon länger inaktivierte Impfstoffe (IPV) ohne lebensfähige Viren im Einsatz. Die in London und New York kursierenden Erreger dürften also von Menschen eingeschleppt worden sein, die in ihrem Land eine Schluckimpfung erhalten hatten.
Vor allem in Afrika und Asien wird noch verbreitet auf die Schluckimpfung gesetzt. Das sehr geringe Risiko eines Impfpolio-Falls wird in Kauf genommen zugunsten einer großflächigen Immunisierung der Bevölkerung. Auch in den USA wird nun über eine Wiedereinführung der Schluckimpfung nachgedacht. Inzwischen gebe es einen Lebendimpfstoff mit einem Virus, das sich weniger gut vermehren und nicht so lange ausgeschieden werden kann. (TT, APA)