Klimakatastrophe

Kampf gegen Klima-Ungerechtigkeit: Wohlstand für alle denken

Zum „Kampf gegen Klima-Ungerechtigkeit“ ruft diese Demonstrantin in München auf.
© imago

Im Globalen Süden ist die Erderwärmung vielerorts bereits zur Katastrophe geworden. Die Industrieländer feilschen um Kompensation. Gefragt ist aber noch etwas anderes.

Von Gabriele Starck

Sharm el-Sheikh, Innsbruck – Bei der 27. Weltklimakonferenz in Ägypten wird weniger über Grade im Zehntelbereich als über Dollar in Milliardenhöhe gesprochen. Es geht darum, eine Ungerechtigkeit auszugleichen, die zum Himmel schreit und das Irdene im Globalen Süden zerstört. Denn dort wurde bislang kaum zur Klimakrise beigetragen, dafür aber müssen die Einheimischen sie umso häufiger und heftiger ausbaden. Die Verluste an Menschenleben, Existenzgrundlagen und Wirtschaftskraft sind bereits enorm. Das zeigt auch der Verlustbericht der „Vulnerablen 20 – V20“, ein Zusammenschluss von knapp 60 besonders verwundbaren Ländern, vom Juni. Und in Asien, meldete die Weltwetterorganisation WMO am Montag, hätten 2021 im Vergleich mit dem Durchschnitt der Jahre 2001 bis 2020 die Schäden durch Erdrutsche um 147 Prozent zugenommen, durch Dürren um 63 Prozent und durch Überschwemmungen um 23 Prozent. Wirtschaftlicher Schaden: 35,6 Mrd. Dollar allein im vergangenen Jahr.

Zur Ungerechtigkeit kommt erschwerend hinzu: „Die besonders betroffenen Länder haben weniger Mittel zur Verfügung, um Schäden zu beheben und Anpassungen durchzuführen“, sagt Teresa Millesi, Koordinatorin des Forschungsschwerpunkts „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“ an der Universität Innsbruck. Schon vor etlichen Jahren seien 100 Milliarden Dollar jährlich als Ausgleich vereinbart gewesen, zu Gänze eingehalten hätten dies die Industrieländer aber nicht. Dass das Thema bei der COP27 erstmals offiziell auf die Agenda genommen wurde, wertet die Forscherin deshalb als Fortschritt. Nun gehe es darum, Verbindlichkeiten zu etablieren.

Klimagerechtigkeit hat für Millesi allerdings nichts damit zu tun, dass die ärmeren Länder den Industrienationen nacheifern sollen. Die Idee des Aufholens sei in einem Entwicklungsnarrativ verankert – in der Überzeugung, dass die Menschheit eine lineare Entwicklung nehme, der Westen die Spitze dieser Entwicklung darstelle und sein Weg der einzig richtige sei. Dieses Denken aufzubrechen, werde ein wesentlicher Beitrag dazu sein, der Klimakrise zu entkommen. „Es geht nicht mehr darum aufzuholen“, sagt die Kulturwissenschafterin. Denn das rücke in den Hintergrund angesichts einer Zukunftsvision, die von Katastrophen geprägt ist. Und diese gelte es abzuwenden.

Zur Person

Teresa Millesi promovierte im Fach Kultur- und Literaturwissenschaft an der Uni Innsbruck. 2019 wurde sie mit dem OeAD-Nachwuchs­preis für Entwicklungsforschung ausgezeichnet.

Es gehe vielmehr darum, sich zu überlegen, was es wert ist anzustreben, welche Alternativen es gibt und wie man die Menschen von diesen überzeugt – mit dem Ziel eines Wohlstands für alle, nicht nur für den Westen. Diese Verantwortung habe die Politik endlich zu übernehmen. Welche Prioritäten gesetzt und welche Positionen übernommen werden, würde darüber entscheiden, ob die Katastrophen-Vision eintritt oder nicht.

Daher müsse parallel zur Unterstützung für den Süden alles darangesetzt werden, das Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung doch noch zu erreichen. „Es zählt jedes Zehntelgrad“, betont Millesi.

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Die Politik müsse endlich klimafreundliches Verhalten belohnen und klimaschädliches erschweren. Stattdessen werde Letzteres aber immer noch subventioniert, sagt sie und nennt das österreichische Dieselprivileg als Beispiel. Und die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen, damit klimafreundliches Verhalten möglich wird. Das reiche bis in die Gestaltung des öffentlichen Raums hinein. „Wenn es keine Radwege gibt, wird sich bei der Mobilität nichts verändern“, sagt sie.

Und auch wenn es bei dieser Weltklimakonferenz noch kein Thema sei: Nicht nur Arbeits- und Perspektivenlosigkeit führten zu Emigration, sagt Millesi. „Es sind zunehmend ökologische Krisen, die den Menschen die Lebensgrundlage nehmen und sie zur Flucht zwingen. Und irgendwann wird sich die Frage stellen, ob genau das nicht ein Asylgrund ist.“

Loss and Damage

Verlustbericht. Die V20 – ein Zusammenschluss aus 58 besonders von der Erderwärmung betroffenen Ländern mit insgesamt 1,5 Milliarden Menschen – haben im Juni einen Verlustbericht zu den klimagefährdeten Volkswirtschaften herausgegeben. Demnach hat der Klimawandel in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein Fünftel des Reichtums der V20-Volkswirtschaften vernichtet. Ohne Klimaschäden wären die V20 heute um 20 Prozent wohlhabender. In US-Dollar ausgedrückt haben die V20-Volkswirtschaften aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels auf Temperatur- und Niederschlagsmuster etwa 525 Milliarden US-Dollar verloren.

Schutzschild. Die wirtschaftsstarken G7-Staaten haben am Montag mit den besonders verwundbaren Ländern der V20 einen globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken an den Start gebracht. Zu den ersten Empfängern der 120-Millionen-Anschubfinanzierung durch Deutschland werden Costa Rica, Fidschi, Ghana sowie Pakistan und Senegal gehören. Kritiker fordern aber weiterhin einen Geldtopf für klimabedingt erlittene Verluste und Schäden (Stichwort Loss and Damage) unter UNO-Dach.

Österreichs Beitrag. Österreich hat jährlich 50 Millionen Euro bis 2026 für die Finanzierung der Behebung, Vermeidung und Minimierung von Schäden („Loss and Damage“) durch die Klimakrise – insbesondere in den vulnerabelsten Ländern – zugesagt.

G20. Im Entwurf zur Abschlusserklärung des G20-Treffens auf Bali ist festgehalten, dass die reichen Staaten ihre bereits für 2020 gemachte Zusage erfüllen müssen, jährlich 100 Milliarden US-Dollar für ärmere Länder zu mobilisieren. Laut OECD sind es erst 83 Millionen. (sta, dpa)