Eskalation bei WM in Katar

FIFA verbietet „One Love”-Binde: „Beispielloser Vorgang in der WM-Geschichte“

Die „One Love"-Kampagne war eine gemeinsame Aktion der Teams aus Deutschland, England, den Niederlanden, Belgien, Schweiz, Wales, Frankreich, Dänemark sowie Norwegen und Schweden, die beide nicht für die WM qualifiziert sind.
© imago

Die „One Love"-Kapitänsbinde sorgt in Katar für Zoff. Mehrere Mannschaftskapitäne von europäischen Teams, darunter Deutschland und England, wollten mit einer „One-Love"-Armbinde ein Zeichen setzen. Jetzt machen die Mannschaften einen Rückzieher – aus Angst vor Strafen seitens der FIFA.

Doha ‒ Das mehrfarbige Stückchen Stoff für die Oberarme von Deutschland-Kapitän Manuel Neuer und anderen Starspielern sorgt in Katar für einen neuen Schlagabtausch und für das nächste WM-Streitthema. Die „One Love"-Kapitänsbinde von ursprünglich zehn europäischen Verbänden wird vom Fußball-Weltverband FIFA nicht akzeptiert. Sportliche Strafen und Konsequenzen für Spieler und Teams wurden angedroht.

Deutschland, die Niederlande, Belgien, Schweiz, Wales, Frankreich, oder Dänemark wollten mit der Armbinde in Katar ein Zeichen gegen Homophobie und Rassismus und für Menschenrechte setzen. Dafür hätten sie Geldstrafen in Kauf genommen

Am Montag dann der Rückzieher: Die Teilnehmer der Aktion lenken ein und beschweren sich in einem gemeinsamen Statement über den Druck der FIFA, die mit Sanktionen auf dem Platz gedroht hat. Jeder mit der Schleife auflaufende Spieler werden mit einer Gelben Karte bestraft, wie die Verbände mitteilten.

Nach Beratungen der Arbeitsgruppe der Europäischen Fußball-Union UEFA mit dem Fußball-Weltverband entschieden die beteiligten UEFA-Nationen, das Risiko einer möglichen Gelben Karte oder anderer sportlicher Sanktionen während der WM in Katar nicht einzugehen.

Inwieweit der streng muslimische WM-Gastgeber Katar in die Entscheidung involviert war, blieb am Montagmittag offen. Von den europäischen Verbänden hieß es jedenfalls, man werde in den kommenden Monaten einen „kritischen Blick auf unsere Beziehung zur FIFA" werfen.

Wut und teils Fassungslosigkeit über FIFA-Entscheidung

In der gemeinsamen Stellungnahme der Verbände von Deutschland, England, Wales, Belgien, Dänemark, der Niederlande und der Schweiz am Montag heißt es:

„Die FIFA hat sehr deutlich gemacht, dass sie sportliche Sanktionen verhängen wird, wenn unsere Kapitäne die Armbinden auf dem Spielfeld tragen. Als nationale Verbände können wir unsere Spieler nicht in eine Situation bringen, in der sie mit sportlichen Sanktionen, einschließlich Platzverweisen, rechnen müssen. Deshalb haben wir die Spielführer gebeten, die Armbinden bei Spielen der FIFA-WM nicht zu tragen."

Und weiter: „Wir waren bereit, Geldstrafen zu zahlen, die normalerweise bei Verstößen gegen die Ausrüstungsvorschriften verhängt würden, und haben uns nachdrücklich für das Tragen der Armbinde eingesetzt. Wir können unsere Spieler jedoch nicht in die Situation bringen, dass sie verwarnt oder sogar gezwungen werden könnten, das Spielfeld zu verlassen. Wir sind sehr frustriert über die Entscheidung der FIFA, die unserer Meinung nach beispiellos ist. Wir haben die FIFA im September schriftlich über unseren Wunsch informiert, die 'One Love'-Armbinde zu tragen, um die Inklusion im Fußball aktiv zu unterstützen, und haben keine Antwort erhalten. Unsere Spieler und Trainer sind enttäuscht – sie sind starke Befürworter der Inklusion, und werden ihre Unterstützung auf andere Weise zeigen."

Diese Kapitänsbinde wird er nicht tragen: DFB-Kapitän Manuel Neuer.
© IMAGO/ULMER/Markus Ulmer

Niederlande: „Gegen den Geist des Sports"

„Dass die FIFA uns auf dem Platz bestrafen will, ist einmalig und geht gegen den Geist des Sports, der Millionen verbindet", hieß es vom niederländischen Verband KNVB.

Der erste Kapitän, der während der Endrunde offen gegen die FIFA-Regularien verstoßen hätte, wäre Englands Harry Kane im Spiel am Montag gegen Iran gewesen. „Wir waren bereit gewesen, Strafen zu zahlen, was normalerweise bei Verstößen gegen Kleider-Regularien der Fall wäre. Dennoch konnten wir unsere Spieler nicht in eine Situation bringen, in der sie eine Gelbe Karte bekommen könnten oder gar gezwungen werden, das Spielfeld zu verlassen", hieß es in der von der englischen FA verbreiteten gemeinsamen Stellungnahme.

DFB-Präsident: „Beispielloser Vorgang der WM-Geschichte"

Der deutsche Verbandspräsident Bernd Neuendorf kritisierte das Vorgehen scharf. „Wir erleben einen beispiellosen Vorgang in der WM-Geschichte. Die von der FIFA herbeigeführte Konfrontation werden wir nicht auf dem Rücken von Manuel Neuer austragen", sagte Neuendorf. Er ortete eine „Machtdemonstration der FIFA".

„Eine Gelbe Karte zu kriegen, wenn man schon auf den Platz kommt – das kann nicht sein", sagte etwa Dänemarks Nationaltrainer Kasper Hjulmand, der bei der Spieltags-Pressekonferenz von den neuesten Entwicklungen überrascht wurde. Zwar ließ Hjulmand es offen, ob sein Kapitän Simon Kjaer nicht doch die Schleife verwenden wird, doch sein Verband trägt die Verzichterklärung laut der gemeinsamen Erklärung der Europäer mit.

FIFA verwies auf Ausrüstungsregeln

Der viel kritisierte Weltverband hob in einer Mitteilung vom Montag explizit den Artikel 13.8.1 der Ausrüstungsregeln hervor: „Für FIFA-Finalwettbewerbe muss der Kapitän jeder Mannschaft eine von der FIFA gestellte Armschleife tragen." Die FIFA unterstütze Kampagnen wie „One Love", aber dies müsse im Rahmen der allen bekannten Regeln erfolgen. Als Folge könnten die Spielführer der Teams nun mit vom Weltverband bereitgestellten Sprüchen auflaufen. Statt dem für den ersten Spieltag vorgesehenen Motto „Fußball verbindet die Welt" zog die FIFA kurzerhand den Slogan „Keine Diskriminierung" vor.

Dabei scheinen sich gerade bei der am Sonntag begonnenen WM Gräben zwischen den Fußball-Mächtigen und den Fans aufzutun. „Heute fühlen sich LGBT+-Fußballfans und ihre Verbündeten wütend. Heute fühlen wir uns verraten", paraphrasierte die Fan-Organisation Football Supporters' Association (FSA) die jüngste Rede von FIFA-Präsident Gianni Infantino. „Heute fühlen wir Verachtung für eine Organisation, die ihre wahren Werte unter Beweis gestellt hat, indem sie den Spielern die Gelbe Karte und der Toleranz die Rote Karte gezeigt hat."

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Amnesty International: „Schlag ins Gesicht"

Kritik übte auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. „Die FIFA fährt schweres Geschütz gegen einzelne Spieler auf, um nationale Fußballverbände daran zu hindern, sich für Menschenrechte auszusprechen", erklärte der Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Markus N. Beeko. „Das ist grotesk und ein weiterer Beleg dafür, dass die FIFA ihre eigenen Werte und Verantwortlichkeiten mit Füßen tritt." Die FIFA habe sich „zu den Menschenrechten bekannt und dazu gehört auch das Recht, zu lieben, wen man möchte, ohne Angst vor Verfolgung und Diskriminierung".

Diesem Bekenntnis folgten aber keine Taten, kritisierte Beeko. „Stattdessen geht der Verband gegen Spieler vor, die auf dieses Versäumnis reagieren und ihre Solidarität bekunden wollen." Beeko nannte dies einen „Schlag ins Gesicht aller Menschen, die sich für die Rechte der LGBTI+ Community einsetzen".

Der Belgier Thomas Meunier sah einen Schachzug des Weltverbands. „Du kannst keine Proteste starten, wenn du hier bist. Jetzt ist es zu spät. Jetzt können wir die Situation nur akzeptieren", sagte der 31-Jährige von Borussia Dortmund. „Aus FIFA-Sicht ist es natürlich klug, dies erst jetzt zu verbieten", meinte Meunier. „Wir alle wissen, wie die Dinge hier sind. Wir kennen die Regeln und müssen akzeptieren, dass sie von unseren abweichen." (TT.com/APA/dpa/Reuters/AFP)

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