Ausstellung im Kunsthaus Bregenz

Künstlerin Anna Boghiguian: Eine Nomadin mit Gespür für das Revolutionäre

„The Chess Game“ hat Anna Boghiguian speziell für ihre große Personale im Kunsthaus Bregenz gebaut.
© Markus Tretter

Die ägyptische Künstlerin Anna Boghiguian hat im Kunsthaus Bregenz die ideale Bühne gefunden, um ihre „Period of Change“ opulent in Szene zu setzen.

Bregenz –Anna Boghiguian bezeichnet sich selbst als „nomadisch arbeitende Künstlerin mit Affinität zur Literatur“. Ist die 1946 in Kairo geborene Malerin mit armenischen Wurzeln und kanadischem Pass doch eine, die, seit sie denken kann, zwischen den Kulturen und Kontinenten switcht. In der großen weiten Kunstwelt ist sie erstmals 2015 mit ihrer spektakulären Bespielung des armenischen Pavillons bei der venezianischen Biennale aufgetaucht, um nun das Kunsthaus Bregenz mit ihrer ebenso betörenden wie verstörenden Kunst zu bespielen.

In einen Ort verwandelt, an dem die Augen genauso wie das Hirn voll auf ihre Rechnung kommen. Taucht Boghiguian in ihrer Kunst doch ganz tief in die Geschichte ein, zelebriert allerdings in einem Setting, das partiell verführerisch-spielerisch daherkommt. Wenn sie etwa im ersten Obergeschoß lebensgroße, delikat mit Wachsfarben bemalte Pappfiguren über einem schwarzweiß verspiegelten Schachbrett baumeln lässt. Angetreten zum tödlichen „Chess Game“ sind u. a. Marie Antoinette und ihre Mutter Maria Theresia genauso wie Egon Schiele (mit Mundschutz), Erzherzog Franz Ferdinand, Freud, Tolstoi und Nietzsche, Aribert Heim oder Josephine Baker. Prägende ProtagonistInnen politischer, gesellschaftlicher, künstlerischer oder geistiger Verwerfungen aus unserer näheren und ferneren Vergangenheit, stilisiert zu ephemeren Marionetten, die durch den leisesten Luftzug ihre Position ändern.

Anna Boghiguian malend in ihrem Atelier in Kairo.
© Miro Kuzmanovic

Neuerdings sind es allerdings primär politische Protestbewegungen, die Anna Boghiguian interessieren. Aufgehängt an den revolutionären Umwälzungen im 18. Jahrhundert in Frankreich und in den USA, die sie unmittelbar mit widerständigen Strömungen von der russischen Oktoberrevolution bis zu den jüngsten Protestbewegungen in Ägypten oder Haiti verknüpft.

Zelebriert als hundertteiliger, mit expressiver Wucht auf mittelgroße Papiere geschriebener Bilderbogen. Gespeist durch auf Recherchereisen quer durch die Welt entstandene Skizzen, u. a. nach Berlin, wo sie auf den Spuren Aribert Heims unterwegs war – dem als „Dr. Tod“ schaurige Berühmtheit erlangt habenden „Schlächter von Mauthausen“, der nie gefasst 1992 in Kairo gestorben ist.

Diese Zeichnungen kommen als ebenso rätselhaftes wie pittoreskes Puzzle daher. Ereignisse, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, gehen hier zum Nachdenken animierende Allianzen ein. Figuren, die man kennt oder auch nicht, Zeichen und Symbole vermischen sich zu einem raffinierten, durch ihre intensive Farbigkeit sinnlich aufgeladenen Seh- und Lesestoff. Verdichtet zu einem zeitlosen, weil Zeiten und Ideologien übergreifenden, auf diese Weise hochaktuellen Welttheater.

Geschoß drei des Kunsthauses ist dagegen durch eine sich ständig drehende Discokugel in schummrig rotes Licht getaucht. Über einer verspiegelten Plattform im Zentrum baumelt kopfüber das Modell einer Guillotine, die alles andere als zufällig an Andy Warhols „Elektrischen Stuhl“ erinnert. Zwei Instrumenten für das legitimierte Töten unliebsamer Gegner durch politische Machthaber, letztlich Metaphern für den zeitlosen Kampf der Ideologien.

Unbedingt einlassen sollte man sich aber auch auf den zwar sehr langen, von Anna Boghiguian selbst gesprochenen Text, in dem sie sich mit den Mitteln der Sprache ihr reizvoll unlineares Geschichtsbild „ermalt“.

📍 Kunsthaus Bregenz. Karl-Tizian-Platz; bis 22. Jänner, Di–So 10–18, Do 10–20 Uhr.