„Così fan tutte“ am Landestheater: Maus macht Hatz auf die Katz’
Mozarts „Così fan tutte“ als musikalisch hochstehendes, sehr kurzweiliges Opernspektakel am Tiroler Landestheater. Das fragwürdige Libretto Da Pontes wird mit Klamauk und manchem Dreh etwas entschärft.
Innsbruck – Schön, dass Sie hier sind (und bitte noch ein Weilchen hierbleiben)! Das bietet die Chance einer persönlichen Vorbetrachtung, quasi ein Wort zum Sonntag am Montag, in Sachen Mozarts „Così fan tutte“.
Über die Musik müssen wir nicht streiten. „Così“ vereint mit das Beste, was Salzburgs ewiger Vorzeige-Promi komponiert hat. Aber dieser jämmerliche Text, das Libretto!
Zum dritten Mal nach „Le nozze di Figaro“ und „Don Giovanni“ hat Lorenzo Da Ponte für Mozart eine Opernstory erdichtet. „Così“ sollte Spaß machen, übertreiben, war vor 230 Jahren vermutlich sogar gewagt. Aus heutiger Sicht wirkt dieses Handlungsetwas jedoch megadick aufgetragen – und hochgradig frauenfeindlich.
Auf die Schnapsidee, die Treue ihrer Herzdamen auf die Probe zu stellen, können wohl nur Männer kommen. Und die beiden (unbedarften?) Frauchen checken gar nicht, dass es der beste Kumpel ihres Verlobten ist, der sich da an sie heranmacht. Nein, sie enttarnen auch den eigenen Habschi nicht, obwohl der, eher dürftig verkleidet, umherstakst. „Così fan tutte“ – im Ernst? Tutte, so viel Italienisch kratzt man zusammen, ist die weibliche Pluralform von „alle“. Ergibt auf Deutsch: „So (treulos, situationselastisch, opportunistisch?) machen es alle Frauen.“ Und die Männer?
Nun aber hinein in die Premiere von „Così fan tutte“ am Samstagabend am Tiroler Landestheater. Zunächst krallt sich hier Intendant Johannes Reitmeier das Mikro: Umbesetzung! Chefdirigent Lukas Beikircher wurde von der Grippe erwischt (gute Besserung!).
Auf Zuruf springt Kapellmeister Tommaso Turchetta ein. Zum Glück hat er „Così“ bei einem der Probedurchläufe schon geleitet. Seine Anfangsnervosität verfliegt rasch. Den ganzen Abend erklingt aus dem Graben Erfreuliches, Erbauliches. Mozart’s finest mit einem groß aufspielenden Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter dem unerschrockenen Signor Turchetta. Grazie mille!
Regisseurin Anette Leistenschneider verfrachtet „Così fan tutte“ – 1790, ein Jahr vor Mozarts Tod, uraufgeführt – in die Gegenwart. Schauplatz ist ein stylishes Apartment im modernen Zeitgeist-Chic (Bühne: Christian Floeren).
Hier vertreiben sich die Schwestern Fiordiligi (Susanne Langbein) und Dorabella (Lamia Beuque) die Zeit mit der Anprobe neuer Fummel (Kostüme: Michael D. Zimmermann), dem Triezen ihrer Reinigungskraft Despina (Annina Wachter) sowie dem gelegentlichen Glaserl Schampus und einem Sonnenbad im Garten. Im TV läuft „Sissi“. Das Smartphone ist für Selfies allzeit bereit. Schnödestes dolce far niente.
Die beiden männlichen Gegenstücke vulgo Verlobten, Ferrando (Jon Jurgens) und Guglielmo (Ilya Lapich), gockeln als schulter- und sprücheklopfende Kumpane daher, perfekte Opfer für den bösartigen Mephisto-Verschnitt Don Alfonso (Johannes Maria Wimmer). Der fordert die beiden von sich sehr überzeugten Herzbuben per Wette auf, ihre Herzdamen einem Elchtest der Tugendhaftigkeit zu unterziehen. In Despina findet Don Alfonso eine Gehilfin, die für Geld alles macht. Wieder eine Breitseite gegen die Frauen.
„Change the rules“ prangt in fetten Lettern auf der Hausmauer. Banksy-like setzt darüber zeichnerisch eine Maus zur Hatz auf die Katz’ an. Die (Spiel-)Regeln zwischen den Geschlechtern also ändern? Ja, klar, warum nicht.
Fiordiligi und Dorabella lassen sich allerdings von zwei unbekannten Gangster-Rap-Typen mit Goldkette, Kapuzenpulli und Sonnenbrille (=die Original-Lover in geistreicher Verkleidung) zum hurtigen Fremdgehen samt Turbo-Hochzeit hinreißen – bis hier Da-Ponte-mäßig also alles beim Alten. Wo bleibt der Befreiungsschlag der Frauen, wieso stehen bzw. knien sie als böse Betrügerinnerin da, flehen um Vergebung, obwohl ihre Männer ja genauso untreu waren? Eine kleine Umdeutung kommt, so viel sei verraten, im Finale. Da heißt es genau hinsehen, wer mit wem, Obacht!
Man kann aber ohnehin nicht anders, als sich der Musik Mozarts geschlagen geben. Also genug des Gemeckeres über das Libretto. Wir erleben hier einen fantastischen Opernabend, fraglos eine der besten Produktionen der letzten Jahre, ein großes Vergnügen, einen Ohrenschmaus. Die Musik glänzt und strahlt, im Orchestergraben (es sei zum zweiten Mal erwähnt und unterstrichen) und aus den Kehlen der SängerInnen, bei schwierigen, ausführlichen Soli oder im vereinten Ensemblegesang.
Die beiden liebestrunkenen Schwesterlein Fiordiligi/Susanne Langbein und Dorabella/Lamia Beuque ergänzen einander prächtig, Sopran und Mezzo. Langbein berührt mit herzerweichenden Arien über Fiordiligis angebliche Standhaftigkeit. Beuque legt ihre Partie resoluter an, stimmlich nicht weniger umwerfend. Motto: „Girls wanna have fun.“
Für den ganz großen Spaß sorgt aber Annina Wachter, die als listige Fädenzieherin Despina großartig singt und schauspielerisch blendend unterhält. Auch die Männer, Jon Jurgens, Ilya Lapich und Johannes Maria Wimmer, geben stimmlich alles. Man gewinnt den Eindruck, das Ensemble mobilisiere letzte Reserven als Reaktion auf die (letztlich unbegründeten) personellen Sorgen noch vor dem ersten Takt.
Regisseurin Anette Leistenschneider erfindet „Così fan tutte“ in Innsbruck nicht neu. Schieflagen rückt sie ansatzweise zurecht. Vielleicht sollte man die Oper einfach auch nur umbenennen: „Così fan tutti“. So machen es alle – Weiblein und Männlein.
Bleibt nur noch der höfliche Ratschlag, sich das alles selbst anzusehen. No regrets.