Meisterkonzert in Innsbruck: Bach die Perücke abgenommen
Sir András Schiff spielte beim Innsbrucker Meisterkonzert sechs Klavierkonzerte von Johann Sebastian Bach. Ein Abend des Dialogs zwischen einem großen Pianisten und einem Komponistengenie.
Innsbruck – András Schiff treibt einem die Schweißperlen auf die Stirn: Wie soll man derart viele Zeilen mit Wörtern füllen, wenn ein einziges, noch dazu kurzes Wort für die Rezension genügt: Genial! Das wär’s eigentlich gewesen. Damit ist alles gesagt.
Aus?
Nein, stopp, lesen Sie bitte weiter, nach einem solchen Mittwochabend im Congress Innsbruck ist das eigentlich angebrachte andächtige Schweigen einfach nicht möglich. Zu sehr bewegte und begeisterte Pianist András Schiff. Da will man jenen, die das fantastische Meisterkonzert nicht miterleben durften, mitteilen, was sie versäumt haben. Und jenen, die dabei waren, die Argumente dafür darlegen, warum der Abend ein musikalisches Erlebnis war und Schiff zu den besten Pianisten der Gegenwart zählt.
Wenn sich Sir András (ja wirklich, er wurde von Queen Elizabeth in den Adelsstand erhoben) Johann Sebastian Bach spielt, dann gibt es nichts zu meckern, dann ist zuhören und lernen angesagt. Und genießen – wie es sich von selbst versteht. Er und sein von ihm Ende des Jahrtausends zusammengestelltes Kammerorchester Capella Andrea Barca nahmen das Innsbrucker Publikum dabei mit auf eine Zeitreise. Eine verkehrte: Er holte die bis zu 300 Jahre alten Klavierkonzerte von J. S. Bach in die Gegenwart. Da mag man über Interpretationsvorgaben diskutieren – immerhin hatte Bach Mitte des 18. Jahrhunderts kein modernes Klavier zur Verfügung, damit war ihm eine derartig differenzierte Anschlagtechnik wie heute nicht möglich –, Schiff jedoch macht solche Dispute obsolet und Barockpuritaner (hoffentlich) schweigen. Er trifft die Seele der Musik, holt aus x-fach auf Tonträgern eingespielten und auf den Bühnen dieser Welt aufgeführten Werken wie dem so visionären Konzert in d-Moll (BWV 1052) Nuancen heraus, die man bislang nicht zu hören bekam. Läufe werden da zu feinen Perlenketten, einzelne Töne akzentuiert und damit eine Linie herausgearbeitet. Klaviertechnik vom Feinsten, die man präsentiert bekam. Die Barockperücke blieb da im Schrank, die Puderquaste so oder so. Ein „moderner“ Bach, aber ohne Gewalt in die Gegenwart gebracht, sondern aus dem Werk heraus entwickelt. Mit einer selten gehörten Leichtigkeit und Innigkeit dem Steinway entlockt .
Dabei machte es Schiff dem Innsbrucker Publikum nicht ganz leicht: sechs Bach-Klavierkonzerte hintereinander, nur von einer kurzen Pause unterbrochen. Geht sich das aus, wird das nicht eintönig, lautete die bange Frage beim ersten Blick in das Programmheft. Am Ende schien die Unterbrechung zu lang, weil man die Fortsetzung des Konzerts nicht erwarten konnte. Seine treuen BegleiterInnen seit mehr als 20 Jahren sind die MusikerInnen der Capella Andrea Barca. Alles hervorragende SolistInnen (eine Freude ob ihrer Musikalität und Begeisterung anzusehen und anzuhören die Kontrabassistin Brita Bürgschwendtner), die sich mit ihrem „Sir“ ohne große Gestik verstanden. Da trafen sich Freunde, dafür gab es Händeschütteln, Umarmungen und für die eine oder andere sogar Bussis vom Meister.
Nur eine negative Anmerkung sei erlaubt: Es erklangen nur sechs der sieben Konzerte für Klavier und Streichorchester. Das siebte hätte es auch noch leicht vertragen.
Danke, Sir András, für diesen Abend, es war eine Ehre, dabei zu sein. Noch dazu an Ihrem 69. Geburtstag.